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Stuttgarts Kultusministerin: Spardruck macht auch vor Schulen nicht Halt

Die rot-grüne Regierung in Baden-Württemberg will bis zum Jahr 2020 Tausende von Lehrerstellen streichen. Es sei eine "tragische Situation", dass die Schuldenbremse auch die "wichtigsten Zukunftsinvestitionen" beeinträchtige, meint die baden-württembergische Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD).

Gabriele Warminski-Leitheußer im Gespräch mit Sandra Pfister | 12.07.2012
    Sandra Pfister: Für die rot-grüne Regierung in Baden-Württemberg war Bildung immer ein Herzstück ihrer Politik. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte bei seinem Amtsantritt einen echten Bildungsaufbruch versprochen. Jetzt will er 11.600 Lehrerstellen streichen. Es gehört zu den unangenehmen Jobs einer Kultusministerin im Kabinett Kretschmann, solche Einschnitte dann auch noch zu verteidigen. Guten Tag, Gabriele Warminski-Leitheußer!

    Gabriele Warminski-Leitheußer: Guten Tag!

    Pfister: Frau Warminski-Leitheußer, Ihre Vorgängerregierung, die schwarz-gelbe, die hat noch dreieinhalbtausend Lehrerstellen geschaffen. Sie kassieren jede neunte Lehrerstelle. Das ist eine Neudefinition von Bildungsaufbruch, die müssen Sie uns mal erklären!

    Warminski-Leitheußer: Also, zunächst einmal ist nach wie vor für die grün-rote Landesregierung die Bildungspolitik das Herzstück unserer Politik, daran wird sich nichts ändern. Wir haben aber einfach folgende Situation: Die alte Landesregierung hat uns diverse Hypotheken hinterlassen, unter anderem auch in der Bildung, beispielsweise 8000 Lehrerstellen, die in der mittelfristigen Finanzplanung mit sogenannten KW-Vermerken sind, das heißt, das ist praktisch eine versteckte Kreditaufnahme, diese Stellen müssten abgebaut werden, um Finanzierung aus der Vergangenheit tatsächlich auch zu belegen mit tatsächlichen Einsparungen. Das ist eine Altlast. Und die qualitätsoffensive Bildung mit insgesamt 3500 Deputaten: auch nicht ausfinanziert. Und wir haben jetzt als neue Landesregierung die tatsächliche, zwar unangenehme, aber tatsächliche Aufgabe, dass wir bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt hinlegen müssen …

    Pfister: … Frau Warminski-Leitheußer, aber dass gespart werden muss, das war ja von Anfang an klar. Muss ausgerechnet bei der Bildung gespart werden?

    Warminski-Leitheußer: Also, zunächst einmal kommt es wirklich darauf an, deutlich zu machen, was wir eigentlich tun: Es ist klar, dass wir im Kultusressort uns auch beteiligen müssen an Sparbemühungen, auch das war ja immer klar. Für uns ist aber das Allerwichtigste, dass wir die Unterrichtsversorgung sicherstellen und konsolidieren. Wir haben jetzt in diesem laufenden Haushaltsjahr in die Unterrichtsversorgung und in die Weiterentwicklung von Pädagogik insgesamt 3300 Deputate reingesteckt. Die sind zusätzlich im System, oder wir haben die im System belassen, so ist der korrekte Ausdruck. Und die wird auch niemand rausnehmen. Was wir aber schon tun müssen, ist, uns genau anzuschauen, ob wir tatsächlich noch alle Strukturen, die wir bisher haben, so auch durchfinanzieren können.

    Pfister: Welche Strukturen meinen Sie?

    Warminski-Leitheußer: Es geht zum Beispiel um Schulgrößen, es geht auch um Strukturen in der Unterrichtsversorgung. Wir müssen es hinbekommen, dass wir die Ressourcen, die da sind, die Kapazitäten, also schlicht die Lehrer, die da sind, so verteilen, dass sie tatsächlich auch an jeder Schule richtig ankommen. Und wir müssen uns, vollkommen losgelöst von bisherigen Denkverboten uns tatsächlich anschauen, ob wir uns alles das, was wir auch ansonsten an Einrichtungen noch unterhalten, ob wir uns das leisten wollen. Und …

    Pfister: Aber Fakt ist ja: In den kommenden Jahren wird die Zahl der Lehrer schneller sinken als die Zahl der Schüler. Also, diese demografische Rendite, die Sie noch im Koalitionsvertrag versprochen haben, die wird nicht einhaltbar sein!

    Warminski-Leitheußer: Ja, wir werden es nicht hinbekommen, das muss man ganz klar sagen, nachdem wir einen sehr ausführlichen Kassensturz gemacht haben. Viel von dem war ja, als der Koalitionsvertrag geschlossen wurde, noch gar nicht klar, dass uns tatsächlich solche Altlasten hinterlassen würden. Wir haben das ja mit großem Schrecken festgestellt, in welcher Größenordnung uns da Aufgaben hinterlassen worden sind. Und wir mussten feststellen, dass wir in der Tat es nicht hinbekommen, die komplette demografische Rendite im System zu lassen. Die 3300 Deputate aus 2012, die bleiben drin, aber die 8000 Deputate, die jetzt folgen in den nächsten Jahren, die werden wir nicht zusätzlich zur Verfügung stellen können. Und jetzt ist es klar, dass wir nicht einfach diese Stellen abbauen können, denn das würde denknotwendig zu einer Verschlechterung der Unterrichtsversorgung führen, sondern wir müssen an anderer Stelle zu Einsparungen kommen, die dann sicherstellen, dass die Unterrichtsversorgung auf gleichem Niveau mindestens erhalten bleibt.

    Pfister: Was meinen Sie mit den anderen Stellen?

    Warminski-Leitheußer: Wenn Sie sich anschauen, dass etwa 9000 Deputate praktisch schulfremd genutzt werden, ohne dass tatsächlich eine pädagogische Arbeit am Kind stattfindet, dann gucke ich mir das natürlich sehr genau an.

    Pfister: Und jetzt machen Sie das konkret, das ist mir noch nicht ganz klar, wie werden die schulfremd genutzt?

    Warminski-Leitheußer: Eines der klarsten Beispiele ist die berühmte Schulbibliothek. Also, wenn zum Beispiel ein Lehrer es übernimmt, die Schulbibliothek zu verwalten oder aber das EDV-System zu warten, dann gibt es sogenannte Anrechnungsstunden. Und das müssen wir einfach anders organisieren. Die Pädagogen, die sind dafür da, dass sie tatsächlich auch Arbeit am Kind sozusagen erbringen, also, ihre eigentliche Aufgabe erfüllen …

    Pfister: … und gleichzeitig gäbe es ja noch viel mehr Bedarf, weil in den Ganztagsschulen nachmittags ja nicht unbedingt die Pädagogen am Kind arbeiten, sondern andere Kräfte.

    Warminski-Leitheußer: Absolut richtig! Diese Schuldenbremse, die führt selbst in einem so wohlhabenden Land wie Baden-Württemberg dazu, dass wir wichtigste Zukunftsinvestitionen, dass wir die nicht in den Schritten durchführen können, wie es eigentlich erforderlich wäre. Das ist eine tragische Situation. Wir müssen aber damit umgehen und die konstruktiv gestalten. Und da gibt es durchaus Möglichkeiten.

    Pfister: Über die werden wir sicher noch sprechen bei "Campus und Karriere". Baden-Württemberg streicht in den kommenden Jahren jede neunte Lehrerstelle, insgesamt 11.600. Rede und Antwort gestanden hat uns die Stuttgarter Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer, danke, Frau Warminski-Leitheußer!

    Warminski-Leitheußer: Bitte sehr!


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