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Subtiles Porträt eines Suchenden

Am 3. November 2001 starb der Schriftsteller und Filmemacher Thomas Brasch. Christoph Rüters Dokumentarfilm, der jetzt zum 10. Todestag in die Kinos kommt, sucht die Annäherung an Brasch über Brasch selbst. Herausgekommen ist die sehenswerte Filmbiografie eines Künstlers, in dessen Werk die Leerstellen und Brüche den roten Faden bilden.

Von Jörg Albrecht | 02.11.2011
    "Schreiben heißt für mich öffentlich Angst überwinden. Weil ich mit dieser Angst und diesen Wünschen nicht allein bleiben will, möchte ich sie gerne sagen. Sonst machen sie mich zum Wrack."

    Öffentlich zu wünschen, öffentlich Furcht zu haben. Ein Autor analysiert sich und sein künstlerisches Schaffen, obwohl er genau das nie vorhatte.

    "Ich versuche mich nicht anzusehen, als wäre ich mein eigener Analytiker. Deshalb kann ich auch so nicht darüber reden. Wenn ich über meine Arbeit so zu sprechen lerne, dann würde ich lernen über einen Toten zu sprechen. Ich finde, man sollte zu einem Ornithologenkongress alle möglichen Leute einladen – nur nicht die Vögel."

    Dem Filmemacher und Dramaturg Christoph Rüter, der viele Jahre eng mit Thomas Brasch befreundet gewesen ist, wäre folgerichtig nur eine Möglichkeit geblieben: Er hätte Weggefährten und Zeitzeugen, Freunde und Feinde befragen müssen, um ein möglichst komplettes Bild zu erhalten. Genau das aber hat Rüter nicht getan. Seine Annäherung an Brasch erfolgt über Brasch selbst. Ein Mann, der 27 Stunden Film hinterlassen hat, auf dem er uns Einblicke in seine Gedankenwelt gewährt. Aus diesen Aufnahmen sowie Archivmaterial und Ausschnitten aus Theateraufführungen und Filmen ist ein Porträt entstanden, das weder den Anspruch von Objektivität erhebt noch den einer umfassenden und vollständigen Vita. Indem Christoph Rüter Brasch reden lässt, manchmal auch im Dialog mit ihm zu hören ist, wird vor allem eines deutlich: Der rote Faden im Werk eines Künstlers, den eine Biografie gemeinhin offen legen will, sind im Fall von Thomas Brasch die Leerstellen, Brüche und Risse.

    "Da gibt es ja diesen sehr schönen Satz: Ich ist nur eine Silbe. Und da denkt man automatisch an dich. Das Problem, Ich zu sagen, das ist auch das erste Mal, dass ich Teile von meinem Tagebuch, was ich nie machen wollte, veröffentlicht habe. Mit Flaubert glaube ich, wenn Schriftsteller anfangen, ihre Briefe oder ihre Tagebücher zu veröffentlichen und sich selber zum Gegenstand machen, dann ist die Literatur wirklich am Ende."

    Je mehr sich Thomas Brasch – vor allem in den Jahren nach dem Fall der Mauer 1989 – aus der Öffentlichkeit zurückzieht, desto häufiger scheint er sein Herz auf der Zunge zu tragen. Was auf den ersten Blick widersprüchlich scheint, spiegelt doch auf den zweiten die Zerrissenheit eines Künstlers, der sich mit der Staatsmacht – erst in der DDR, dann in der Bundesrepublik – auseinandergesetzt hat. Oft ist dieser Diskurs auch mit dem Abarbeiten der Herkunft und dem Elternhaus einhergegangen. So ist es der eigene Vater gewesen, der SED-Parteifunktionär Horst Brasch, der Thomas 1968 nach Protestaktionen gegen den Einmarsch des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei der Staatssicherheit übergibt.

    "Ich könnte nie sagen: Diese Figur bin ich, sondern ich erfahre über diese Figur, die mir erst mal fremd ist, auch Dinge über mich selbst."

    Ganz bei sich angekommen ist Thomas Brasch nie. Eine Ankunft wäre wohl auch einem künstlerischen Exitus gleichgekommen. Davon zeugen nicht zuletzt die 12.000 Seiten seines letzten Manuskripts, die nur in Auszügen im Prosaband "Mädchenmörder Brunke" veröffentlicht worden sind. Brasch ist zeit seines Lebens ein Rastloser und Suchender gewesen. Das macht Christoph Rüters spannende und subtile Filmbiografie "Brasch – Das Wünschen und das Fürchten" sehenswert.

    "Ich habe nichts anderes als meine Arbeit. Alles andere interessiert mich null."