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Suchtmedikament Baclofen
Wunderpille oder Flop?

Seit Jahren streiten Experten über die Wirksamkeit des Medikamentes Baclofen in der Therapie von Alkoholsucht. Auf dem Kongress der Gesellschaften für Biomedizinische Erforschung von Alkoholismus sind nun mehrere placebokontrollierte Studien vorgestellt worden. Hält die Pille, was sich so viele Betroffene von ihr versprechen?

Von Anneke Meyer | 05.09.2016
    Der Schatten einer Frau, die nachdenklich vor einem Glas Wein sitzt,
    Das Medikament "Baclofen" wurde als Wunderpille gegen Alkoholsucht angepriesen. Neue Studienergebnisse verpassen den Erwartungen einen Dämpfer (picture alliance )
    Es soll unstillbares Verlangen nach Alkohol quasi in Luft auflösen: Baclofen. Beiname "die Wunderpille". Und auch wenn Wissenschaftler und Ärzte in aller Regel nicht an Wunder glauben, gab es so einige, die den Vortragssaal mit einem langen Gesicht verließen. Vier Studien zur Wirksamkeit von Baclofen waren vorgestellt worden. Ihre Ergebnisse hätten kaum unterschiedlicher sein können. Von "voller Erfolg" bis "total wirkungslos" war alles dabei.
    Am größten war die Überraschung über das Ergebnis der Untersuchung, die von dem französischen Pharmaunternehmen "Ethypharm" als Zulassungsstudie geplant war. Studienleiter Michel Raynaud:
    "Das eigentliche Ziel, die Abstinenz, wurde nicht erreicht. Sowohl in der Placebo-, als auch in der Baclofen-Gruppe waren in sechs Monaten nur zehn Prozent abstinent geblieben! So kleine Zahlen haben wir bei keiner Studie, nirgendwo auf der Welt je gesehen."
    Eine kleinere Studie aus Deutschland hatte dagegen schon letztes Jahr von einem großen Erfolg durch Baclofen beim Abstinenzerhalt berichtet. 68 Prozent der Teilnehmer blieben mit dem Medikament trocken. Unter denen die Placebo nahmen, gelang das nur 23 Prozent. Raynaud erklärt das so:
    "Ich denke, diese Unterschiede haben mit der Erwartung und dem kulturellen Kontext zu tun. In Frankreich sind es die Patienten, die diese Behandlung fordern. Viele denken, mit Baclofen können sie wieder normal Alkohol trinken. Das hat es ein bisschen schwierig gemacht, eine Abstinenz-Studie durchzuführen."
    Studienergebnisse sind widersprüchlich
    Nirgendwo hat Baclofen eine solche Blitzkarriere gemacht wie in Frankreich. Dort ist das Mittel alleine aufgrund des Drängens von Betroffenen und ihren behandelnden Ärzten von der Arzneimittelbehörde temporär zugelassen worden. Dass der großartige Ruf des Mittels als Suchtbremse nicht ganz unbegründet ist, belegen die Ergebnisse der zweiten großen Studie aus Frankreich. Studienleiter Philippe Jaury:
    "Wir haben als Erfolg gewertet, wenn ein Patient während zwölf Monaten entweder abstinent war oder Alkohol in der Menge getrunken hat, die von der WHO als verträglich eingestuft wird. In unseren Ergebnissen fanden wir, dass von 162 Patienten mit Baclofen 56,8 Prozent erfolgreich behandelt wurden. In der gleich großen Placebogruppe waren es 36,5 Prozent."
    Betrachtet man statt der trockenen Tage die Menge getrunkenen Alkohols, zeigt sich auch in den Daten von Michel Raynaud ein Effekt. Die Baclofen-Gruppe reduzierte ihre Trinkmenge um etwa die Hälfte. Von durchschnittlich zwölf Gläsern Wein am Tag auf etwa sechs. Die Placebo-Gruppe trank gut sieben Gläser.
    Für Rainer Spannagel, Professor für Psychopharmakologie an der Uni Heidelberg, ein Hinweis darauf, dass es sich lohnt die Definition davon, was "wirksam" ist, grundsätzlich offener zu fassen:
    "Man muss schon auch einen Paradigmen-Shift, wie man die Sache angeht, ein bisschen betrachten. Es ist einfach für viele Patienten sinnvoll, sich an die Abstinenz langsam anzuführen. Baclofen ist ein Medikament, das aller Wahrscheinlichkeit nach hilft, wenn ein Trinktag kommt. Dann trinkt man einfach deutlich weniger, und das ist schon mal eine riesige Hilfe."
    Baclofen scheint die Trinkmenge zu reduzieren
    Neben dem Ziel Abstinenz oder reduziertes Trinken unterschieden die Untersuchungen sich deutlich in der höchsten verabreichten Dosis und dem Ausmaß der psychotherapeutischen Begleitung. Einleuchtende Gründe wie die widersprüchlichen Resultate zustande kommen, gibt es damit genug. Und obwohl die erhofften klaren Verhältnisse ausbleiben: Viele Suchtforscher und immer mehr Ärzte sind vom Nutzen Baclofens überzeugt.
    Auch die Ziele des Pharmaunternehmens Ethypharm, das die Rechte an zwei der vier Studien besitzt, bleiben unverändert: Der Konzern will unter dem Namen Xylca eine Zulassung von Baclofen für die Behandlung von Alkoholismus zunächst in Frankreich, später europaweit erwirken. Die derzeitige Datenlage macht das Unterfangen zwar schwieriger als ursprünglich gedacht, aber Charlotte Haas, Ressortleiterin bei Ethypharm, gibt sich zuversichtlich:
    "Unser Ziel ist es, vor dem Ende der temporären Zulassung im März ein Dossier zusammenzustellen, so dass die französische Behörde rechtzeitig entscheiden kann."
    Mit dem Mythos der Wunderpille sollte es nach diesen diversen Studienergebnissen vorbei sein. Ein Hoffnungsträger gegen Alkoholsucht bleibt das umetikettierte Multiple-Sklerose-Medikament trotzdem.