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Suchtproblematik
Berlins neue Anti-Drogen-Offensive

Berlin ist die Drogenhauptstadt in Deutschland: Der Konsum von Rauschmitteln nimmt zu - wie auch die Zahl der Toten. Nun soll eine neue Drogenpolitik der Stadt bundesweit zum Vorreiter werden. Rot-Rot-Grün will staatlichen Cannabis-Handel, Drogen-Qualitätstests und mehr Toleranz.

Von Anja Nehls | 14.11.2017
    Ein Polizist hat am 10.04.2015 in Berlin am Görlitzer Park einen Mann festgenommen.
    Null Toleranz - ein Polizist nimmt einen mutmaßlichen Drogendealer im Görlitzer Park fest. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    An einem Weg im Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg stehen drei Afrikaner. Wenige Meter entfernt sitzt Antonie auf einer Bank und raucht: Cannabis – wie jeden Tag. Für seinen Nachschub sorgen die afrikanischen Dealer:
    "Ich bin so einer, ich kiffe natürlich auch. Ich komme hier jedes Mal hin, hole mir bei meinen guten alten Leuten meinen Stoff, sitze hier, rauche einen mit meinen Freunden, und bin jeden Tag fast hier. Bin auch schon viele Male verhaftet worden, aber im Endeffekt mache ich es trotzdem."
    Eine Joint und Marihuana
    Soll Kiffen legalisiert werden? (Imago)
    Die Realität im Görlitzer Park seit vielen Jahren. Der Park gilt als einer der Hauptumschlagplätze für Cannabisprodukte, also für Haschisch und Marihuana, in Berlin. Zeitweise weit über 100 Dealer gehen teilweise aggressiv auf Besucher zu und bieten ihnen Drogen an. Immer wieder kommt es zu Raubüberfällen, Messerstechereien und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Alle Bemühungen, den Drogenhandel im Park zu unterbinden, sind in den vergangenen Jahren gescheitert. Die Polizei kann den Dealern den Handel schwer nachweisen, weil sie die Drogen selten bei sich tragen, sondern in den Büschen verstecken.
    Der Konsum von Cannabis ist nicht verboten, der Besitz und der Handel damit aber schon. Mithilfe von großen aufwendigen Razzien, wie zur Zeit der Großen Koalition in Berlin, mit einem CDU Innensenator, wurden die Dealer zwar vertrieben, waren aber spätestens am nächsten Tag wieder da.
    Jetzt regiert rot-rot- grün in Berlin und will die Drogenpolitik neu ausrichten. Der Besitz von Cannabis ist zwar immer noch verboten, bleibt aber bis zu 15 Gramm für den Eigenbedarf in der Regel straffrei – nun auch wieder im Görlitzer Park. Die dort noch vor drei Jahren ausgerufene Null-Toleranz Zone gibt es nicht mehr. Aber es gibt seit diesem Sommer Cengiz Demirci, den Parkmanager. Mitte 40, türkische Wurzeln, Stoppelbart, zupackend, gewinnendes Lächeln. Er hat Arbeits- und Kommunikationspsychologie studiert und soll für ein friedliches Miteinander aller Nutzergruppen sorgen - das hat er auch den Dealern klargemacht:
    "Wir gehen damit konform und sagen, wir wollen nicht, dass du hier verschwindest, wir wollen aber, dass du Lösungen, andere Lösungen suchst und findest., 40,50 Leute an einer Straße haben, das wollen wir nicht, die können sich gerne so organisieren, dass drei oder vier da stehen und die anderen stehen woanders, aber grundsätzlich wollen wir nicht, dass jeder Dealer fragt, ey Weed? Weed? Gras? Weed? Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass der Park für andere Menschen auch nutzbar ist."
    Das scheint zu klappen. Zwei bis vier sogenannte Parkläufer sind seit diesem Sommer jeden Nachmittag bis in die Nacht hinein im Park unterwegs: junge Männer und eine Frau unterschiedlicher Nationalitäten. Sie kümmern sich um liegengelassenen Müll, abhandengekommene Kinder, freilaufende Hunde, zu laute Musik – und vor allem um ein möglichst zurückhaltendes Benehmen der Dealer. Das scheint zu klappen, jedenfalls ein bisschen. Die Begleitkriminalität des Drogenhandels wie Raub und Diebstahl ist in diesem Sommer verglichen mit 2016 um fast die Hälfte zurückgegangen. Die Zahl der Körperverletzungen, hauptsächlich wegen Revierstreitigkeiten unter den Dealern, hat allerdings nicht abgenommen.
    Es gibt etwas weniger gezählte Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, aber gegenüber dem vergangenen Jahr auch weniger Einsatzstunden der Polizei im Park.
    Der Görlitzer Park ist ein Beispiel für die neue Linie in der Berliner Drogenpolitik. Thomas Isenberg, der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, will aber noch einen Schritt weitergehen:
    "Ich möchte, dass der Konsument überall in der Öffentlichkeit wie eine Zigarette auch sein Cannabis rauchen kann und auf der anderen Seite der Dealer arbeitslos gemacht wird durch eine Abgabe in Apotheken oder lizenzierten Verkaufsstellen, da hätte man schon mal vieles bei den Parks sauberer als bisher."
    Nirgendwo in Deutschland wird so viel gekifft wie in der Hauptstadt. Nach Angaben der Landesdrogenbeauftragten haben 41,5 Prozent der Berliner Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren schon mindestens einmal Cannabis konsumiert. Mehr als 24.000 Berliner tun es laut einer Erhebung täglich. Ein "Spitzenwert" in Deutschland.
    Cannabis ist nach dem Betäubungsmittelgesetz aber weiterhin eine illegale Droge. Bisher ist ihre legale Abgabe in Deutschland nur an Schmerzpatienten möglich.
    Nicht nur bei Cannabis sei die Kriminalisierung das größte Problem in der Drogenpolitik meint Tibor Harrach, Pharmazeut und Drogenexperte der Berliner Grünen:
    "Einerseits führt sie dazu, dass Substanzen produziert werden, die völlig unbestimmt sind in ihrer Zusammensetzung und dann führt das eben auch dazu, dass Konsumenten von Prävention und Hilfeangeboten abgedrängt werden. Denn wer eine verbotene Substanz in der Tasche hat, hat eben eher ein Hemmnis, sich an eine Drogenberatung zu wenden und vielleicht Hilfe zu suchen, als wenn sich das jetzt im regulierten, legalen Bereich abspielen würde."
    Durch neue Drogenpolitik zum Vorbild?
    Menschen sitzen auf der Grünfläche vom Görlitzer Park.
    Im Görlitzer Park in Berlin findet man an allen Ecken Drogendealer (Deutschlandradio / Ursula Rütten)
    Berlin soll mit einer neuen Drogenpolitik bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen, hat sich die Landesregierung vorgenommen. Schon im Koalitionsvertrag hatte man den ersten Schritt in Richtung Cannabis-Legalisierung getan. Bereits 2015 machte der gründominierte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit Blick auf den Görlitzer Park einen entsprechenden Vorstoß. Ein geplantes Modellprojekt zur kontrollierten Cannabis-Abgabe an Erwachsene in Coffeeshops, das mit einem öffentlichen Interesse begründet wurde, war dann allerdings am Bundesamt für Arzneimittel gescheitert.
    Im Juli dieses Jahres lehnte der Bundesrat den Antrag der Länder Berlin, Bremen und Thüringen ab, Cannabisprodukte innerhalb eines wissenschaftlichen Modellversuchs frei zu verkaufen. So ein Versuch sei aber wichtig, um gegebenenfalls das Betäubungsmittelgesetz auf Bundesebene ändern zu könne, sagt Jan Fährmann, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Drogenpolitik bei den Grünen, und will das Projekt nicht ruhen lassen. Es sei wichtig, wissenschaftlich zu beweisen, dass ein verantwortungsvoller Cannabiskonsum nicht schädlich ist:
    "Das sind dann Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich schwerpunktmäßig damit beschäftigen und tatsächlich auch einer bestimmten Fragestellung nachgehen: Was weiß ich, lässt sich jetzt in so einem Modell, stellen wir jetzt mal hypothetisch in den Raum es ist ein Coffeeshop, lässt sich da überhaupt Präventionsarbeit leisten, oder entwickelt sich durch die legale Abgabe schneller ein problematischer Konsum oder kann man dem entgegenwirken?
    Und diese Frage wird dann evaluiert, dass wir da dann auch Schlüsse draus ziehen, wie wir es besser machen können und wie die Menschen, so weit konsumieren, dass sie sich nicht selber schaden und tatsächlich nur die negativen Begleiterscheinungen wegfallen."
    Kein einziges Todesopfer habe es bis jetzt durch den Konsum von Cannabis gegeben, argumentieren die Befürworter einer Legalisierung, allerdings über 70.000 Tote jährlich allein in Deutschland durch den Konsum der legalen Droge Alkohol. Auch auf Bundesebene gab es deshalb bereits den Vorstoß, Cannabis aus der Illegalität zu holen. Mit der Mehrheit von Union und SPD hat der Bundestag im Juni einen von der Grünen-Fraktion eingebrachten und von der Linksfraktion unterstützten Entwurf für ein "Cannabiskontrollgesetz" auf Empfehlung des Gesundheitsausschusses abgelehnt. Die Abgeordneten schlugen vor, Cannabis aus den strafrechtlichen Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes herauszunehmen und stattdessen einen kontrollierten, legalen Markt dafür zu eröffnen. Die bisherige Drogenbeauftragte Marlene Mortler von der CSU hatte sich allerdings stets dagegen ausgesprochen:
    "Die Forschung zeigt immer deutlicher, welche gesundheitlichen Risiken mit dem Konsum dieser Droge verbunden sein können: Angstzustände, Depressionen, Schizophrenie. Meine Damen, meine Herren, ich habe überhaupt nichts dagegen, darüber zu diskutieren, ob unser geltendes Sanktionsrecht ideal ist, aber es muss aus meiner Sicht Schluss sein mit dieser Lifestyle-getriebenen Legalisierungsdebatte, mit der die Gefahren dieser Droge permanent heruntergespielt werden."
    Hoffen auf die Jamaika-Koalition
    Dass Cannabis seit diesem Jahr für Schmerzpatienten über die deutsche Cannabisagentur in Apotheken zu erhalten ist, darauf hat sich Marlene Mortler eingelassen. Wenn sich jetzt auf Bundesebene eine Jamaika-Koalition aus CDU/ CSU, FDP und den Grünen bilden würde, könnten sich die beiden kleineren Koalitionspartner mit ihren Forderungen nach einer Liberalisierung des Umgangs mit Cannabis durchsetzen, hofft Heino Stöver von Akzept, dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik:
    "Wenn wir Jamaika kriegen wird die Entkriminalisierung der Cannabiskonsumenten ein Thema sein, das habe ich aus Koalitionsgesprächen herausgehört und überfällig ist das Thema allemal."
    Verlässliche Zahlen zum Cannabiskonsum in Deutschland zu finden ist schwierig. Knapp vier Millionen erwachsene Deutsche haben im vergangenen Jahr mindestens einmal Cannabis konsumiert genommen, sagt der deutsche Hanfverband. Die Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geht 2015 von bundesweit knapp zehn Prozent der Jugendlichen aus, die Erfahrung mit Cannabis haben, in Berlin seien es sogar über 18 Prozent, so die Fachstelle für Suchtprävention des Landes Berlin.
    Prävention statt Verbot
    Eine Crack-Pfeife wird angezündet
    Eine Crack-Pfeife wird angezündet (dpa/ Boris Roessler)
    Dass gerade Jugendliche vor Drogenkonsum geschützt werden müssen, darin sind sich Befürworter und Gegner einer liberaleren Drogenpolitik einig – nur um das "Wie" wird gerungen. Thomas Isenberg von der Berliner SPD setzt auf Aufklärung – das habe schließlich langfristig auch dazu geführt, dass heutzutage wesentlich weniger Jugendliche Zigaretten rauchen, als noch vor 20 Jahren. So ein Ergebnis müsse man auch beim Thema Cannabis anstreben:
    "Wir wollen parallel eine Präventionsoffensive starten. Die Fachstelle, die wir in Berlin haben, wollen wir jetzt im Haushalt stärken, die bekommen über 300.000 Euro mehr wenn der Haushalt im Dezember jetzt beschlossen wird, als bisher, das sind um die 70 Prozent mehr. Die gehen hinein in Schulen, die machen gemeinsam mit anderen Trägern Präventionsarbeit.
    Je früher die Menschen anfangen zu konsumieren, eben weil das Gehirn noch nicht ausgereift ist, desto höher ist die Quote eines Fehlkonsums bis hin zu auch gesundheitlich problematischen Entwicklungen."
    Ein falsches Signal
    Prinzipiell eine gute Idee, findet Gottfried Ludewig von der Berliner CDU. Gleichzeitig aber für Erwachsene die Droge freizugeben hält er – nach allen Erfahrungen, die es mit einer Freigabe in den USA gäbe - für ein falsches Signal:
    "Na da wissen wir doch wie die Sogwirkung ist, da werden die Jugendlichen sich sagen, naja wenn es der 18jährige nimmt, warum soll ich es denn als 15jähriger nicht nehmen dürfen, auch da sorgen wir dafür, dass es noch interessanter wird. Wenn man sich die Zahlen anguckt vom Drogenkonsum in Colorado nach der Legalisierung, dann ist der deutlich nochmal angestiegen. Der liegt eh auf einem ganz anderen Niveau als er in Deutschland liegt, klar sichtbar, dass er steigt."

    In den Niederlanden, wo seit Mitte der 70er-Jahre Erwachsene kleine Mengen Cannabis in Coffeeshops kaufen können, konsumieren allerdings weniger Jugendliche die Droge als in Deutschland.
    Drogenkonsum in Deutschland steigt
    Spritze, Löffel, Feuerzeug - Utensilien, die zum Heroinkonsum genutzt werden.
    Spritze, Löffel, Feuerzeug - Utensilien, die zum Heroinkonsum genutzt werden. (picture alliance / dpa / Marcus Simaitis)
    Ob der Kontakt mit Cannabis den Einstieg in eine Drogenkarriere bildet, bei der dann auch noch andere und schlimmere Substanzen genommen werden, ist unter Fachleuten umstritten. Fakt ist allerdings: Neben dem Cannabiskonsum steigt auch der Konsum anderer Drogen in Deutschland. Und die Zahl der Drogentoten steigt ebenfalls, so Marlene Mortler in ihrem aktuellen Drogenbericht. 1.333 Menschen starben 2016 an direkten oder indirekten Folgen des Konsums illegaler Drogen.
    Dramatische Sitaution in Berlin
    Besonders dramatisch ist die Situation in Berlin. Von Juli 2016 bis Juli 2017 verzeichnete das Landeskriminalamt 111 Drogentote, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 94. Todbringer Nummer eins ist Heroin mit 57 Fällen, gefolgt von Kokain mit 44 und Crystal Meth mit zehn Opfern. Besondere Sorgen machen Olaf Schremm, dem obersten Drogenfahnder des Berliner Landeskriminalamtes aber die neuen psychoaktiven Substanzen, die von Partygängern genommen werden, um möglichst lange feiern zu können:
    "Die aufgrund ihrer Art, wie man sie konsumiert, den Anschein erwecken, man würde vielleicht ein harmloses Cannabisprodukt zu sich nehmen, einen Joint rauchen beispielsweise. Diese neuen psychoaktiven Stoffe werden in der Regel als Kräutermischungen verkauft, diese Kräutermischungen sind beträufelt mit synthetischen Cannabinoiden und die wirken zum Teil hochtoxisch."
    Partypillen aus dem Onlineshop
    Eine Hand bedient eine Computermaus.
    Kräutermischungen, Pillen, Pulver: Viele Konsumenten kaufen ihre Drogen mittlerweile online (AFP / Robyn Beck)
    Fast hundert Todesopfer bundesweit gehen auf das Konto dieser relativ neuen psychoaktiven Substanzen. Gehandelt werden diese Stoffe und viele andere sogenannte Partypillen im Internet und teilweise im Darknet. Für die Polizei ist es schwer, hier einzugreifen, auch weil die Substanzen immer neu zusammengesetzt werden und damit bestehende Verbote unterlaufen. Durch das "Neue psychoaktive Substanzen Gesetz" NPSG, das unter der Drogenbeauftragten Mortler auf den Weg gebracht worden ist und seit dem vergangenen Jahr gilt, ist es für die Fahnder etwas leichter geworden:
    "Das NPSG erfasst zwei Stoffgruppen und unter diese Stoffgruppen lassen sich zumindest bisher nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sämtliche molekularen Abwandlungen auch unterordnen und insofern haben wir jetzt auch eine gesetzliche Handhabe dagegen."
    Die Polizei sei dem Legalitätsprinzip verpflichtet, egal welchen Kurs eine Bundes- oder Landesregierung gerade einschlägt, so Schremm. Den Rahmen bestimmt das Gesetz, und was gesetzeswidrig ist, müsse verfolgt werden.
    Ob allerdings wirklich polizeiliche Kapazitäten für die Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit harten Drogen frei werden, wenn man Cannabis legalisieren würde, bezweifelt Olaf Schremm. Die Nachfrage sorge für das Angebot.
    Drugchecking als qualifizierte Drogenberatung
    Ein Arzt hält Tabletten in der Hand.
    Mit dem sogenannten Drugchecking könnten Konsumenten testen lassen, welche Substanzen die im Internet bestellten Pillen wirklich enthalten (imago/STPP)
    Der Berliner Plan will nun auch bei eben diesen Nachfragenden ansetzen. Er sieht vor, dass in Zukunft nicht nur die Hersteller oder bestenfalls die Polizei wissen, was wirklich in den Substanzen oder Pillen enthalten ist, sondern auch die Konsumenten. Noch in dieser Legislaturperiode soll es die Möglichkeit des "Drugcheckings" in der Hauptstadt geben, sagt der Pharmazeut und grüne Drogenexperte Tibor Harrach. Jeder soll die Möglichkeit haben, Partypillen und Stoffe wie Ecstasy, Kokain, Speed oder auch Heroin chemisch analysieren zu lassen:
    "Diese Substanzen werden unter unregulierten Bedingungen illegal hergestellt und man weiß also nie genau, was man da tatsächlich hat und wie hoch dosiert die Substanzen dann in dem Pulver oder den Tabletten vorliegen. Wenn man jetzt weiß, was da jetzt drin ist in dem Pulver und vor allem wie viel davon drin ist, dann kann man entsprechend besser dosieren und man kann tatsächlich gesundheitliche Schäden und möglicherweise auch Drogentod vermeiden. Drugchecking ist immer verbunden mit einer qualifizierten Form von Drogenberatung."
    Und somit eine Möglichkeit, auch an solche Konsumenten zu erreichen heranzukommen, die niemals eine Drogenberatungsstelle aufsuchen würden, weil sie ihren Konsum selber nicht als problematisch einschätzen. Ein entsprechendes Angebot in der Schweiz zeige, dass mit Drugchecking weniger konsumiert werde als ohne. Dennoch hat Gottfried Ludewig von der CDU dabei kein gutes Gefühl:
    "Eigentlich machen wir das Testsiegel des Staates drauf und sagen, das ist eine gute Substanz der Droge, viel Spaß damit. Auch das stelle ich mir sehr schwer vor."
    Bereits in den 90er-Jahren hat es mal ein ähnliches Projekt in Berlin gegeben, es scheiterte an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Bei der Drogenberatung der Hilfeeinrichtung Fixpunkt begrüßt man die Bemühungen der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung. Um die Zahl der Drogentoten zu reduzieren setzt Astrid Leicht neben dem Drugchecking besonders große Hoffnung in das Medikament Naloxon. Es wirkt bei Menschen, die opiatabhängig sind wie ein Gegengift und kann im Falle eine Überdosierung gespritzt werden.
    "Da wäre es gut, wenn es einfach ein Standardmedikament würde für Leute, die mit Opiaten versorgt werden. Da wäre es auch für die Angehörigen gut, wenn die auch ein Notfallmedikament vor Ort haben, was unproblematisch ist."
    Mehr offizielle Drogenkonsumräume erforderlich
    Süchtiger trinkt Methadon: Die Ersatzdroge soll Süchtige von der Beschaffungskriminalität fernhalten
    Drogenbeauftragte fordern seit langem mehr offizielle Drogenkonsumräume (dpa/picture alliance/Ponizak Paulus)
    Für mindestens genauso wichtig hält Astrid Leicht deshalb auch das Vorhaben des Berliner Senats, die Möglichkeit der Heroinsubstitution für Abhängige auszubauen. Diese werden dabei mit Methadon oder Diamorphin, also künstlich hergestelltem Heroin versorgt und haben damit ein geringeres Risiko an einer ungewollten Überdosierung oder durch verunreinigten Stoff zu sterben. Ein weiteres wichtiges Instrument, um die Zahl der Drogentoten zu verringern, seien Drogenkonsumräume, sagt die Expertin von Fixpunkt.
    Dort können Abhängige wenigstens unter hygienischen Bedingungen spritzen und im Notfall medizinische Hilfe bekommen. Solche sogenannten Fixerstuben gibt es nur in sechs deutschen Bundesländern. Und da sei das Angebot in anderen Städten besser als in Berlin:
    "In Frankfurt und in Hamburg ist es so, dass eigentlich rund um die Uhr mindestens eine Einrichtung aufhat. Wir schaffen es mit zwei Kontaktstellen, die Konsumräume haben jeweils gerade mal so mit Mühe und Not fünf Stunden am Tag, Montag bis Freitag zwölf bis 17 Uhr abzudecken. Wie gesagt, Frankfurt, die haben auch Notübernachtungen mit hunderten von Plätzen, wo die Leute erst mal unterkommen können, fehlt hier völlig."
    Und diesbezüglich sei in Berlin auch keine Besserung in Sicht. Immerhin soll für den Ausbau der Drogenkonsumräume im nächsten Berliner Haushalt mehr Geld zur Verfügung stehen. In Bayern, wo es besonders viele Drogentote gibt, existiert überhaupt kein Drogenkonsumraum, dafür aber eine bessere niedrigschwellige Drogenarbeit, so Astrid Leicht.
    Große regionale Unterschiede
    Skyline von Frankfurt, im Vordergrund der Hauptbahnhof, hinten das Bahnkenviertel.
    Direkt hinter dem Frankfurter Hauptbahnhof war viele Jahre lang die Drogen- und Rotlichtszene angesiedelt. Auch Anti-Drogen-Programme konnten daran nur wenig ändern. (imago/Westend61)
    In Frankfurt hat man bereits Mitte der 80er-Jahre viel Geld in die Hand genommen, um die offene Drogenszene im Bahnhofsviertel einzudämmen, sagt der Frankfurter Heino Stöver von Akzept, dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit:
    "Wir haben das größte Drogenhilfezentrum Europas aufgebaut, mit Konsumraum, Übernachtungsmöglichkeit, Kontaktcafé, betreutes Wohnen, was auch immer, Sie habe vier Drogenkonsumräume, die 18 Stunden am Tag auf sind und haben Streetworker, viele Dinge, von denen andere träumen.
    Und ein weiteres Merkmal des Frankfurter Weges ist die enge Kooperation aller Beteiligten, also Sozialarbeit, Strafverfolgungsbehörden und Drogenhilfeadministration."
    All das zeigte zwar beachtliche Erfolge, löste das Problem aber nicht auf Dauer. Gerade in letzter Zeit hat Frankfurt, wie auch Hannover und Hamburg zunehmend Probleme mit Crack. Die östlichen Bundesländer, wie auch Berlin, haben dafür mehr Sorgen mit dem vorwiegend in Tschechien hergestellten Chrystal Meth. Die regionalen Unterschiede sind groß: Bei den vorwiegend konsumierten Drogen, bei den Möglichkeiten der Drogenhilfe bis hin zu der von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich großen tolerierten Menge an Cannabis für den Eigenbedarf. Heino Stöver beobachtet die Berliner Aktivitäten jedenfalls genau. Und Thomas Isenberg von der Berliner SPD hofft, dass eine mögliche Jamaika Koalition auf Bundesebene die neue Berliner Drogenpolitik beflügelt:
    "Wenn bei Jamaika auf Bundesebene da nichts sich bewegt, dann hat was die Drogenpolitik betrifft, Jamaika also versagt."