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Südafrikas Balanceakt zwischen Liberalität und Stammesrecht

In Südafrika wurde das traditionelle, afrikanische Recht während der Apartheid unterdrückt. Es wurde deshalb nach der demokratischen Wende offiziell anerkannt. Doch immer häufiger kommt es zu Konflikten mit der Verfassung.

Von Leonie March | 23.12.2012
    Südafrikas Präsident Zuma trägt ein Leopardenfell über den Schultern und einen Lendenschurz. Mit Speer und Schild bewaffnet tanzt er für seine neue Braut. Er ist mit vier Frauen verheiratet, rechtfertigt seine polygame Lebensweise mit der Kultur seines Volksstammes, der Zulu.

    "Kultur kann unterschiedlich interpretiert werden. Einige Leute denken, ihre Kultur sei anderen überlegen. Ich halte das für problematisch. In Südafrika werden alle Kulturen gleichermaßen respektiert. Und die Polygamie gehört nun mal zu meiner Kultur. Das ändert nichts an meiner politischen Einstellung, zu der auch die Gleichberechtigung der Frau gehört."

    Auch, wenn dies für westliche Ohren paradox klingt, so ist diese Argumentation in Südafrika rechtlich einwandfrei. Laut Verfassung darf jeder Bürger nach der Tradition und den Werten seiner Kultur leben. Das traditionelle, afrikanische Recht, das beispielsweise auch die Polygamie gestattet, wird seit der demokratischen Wende offiziell anerkannt. Vor dem Hintergrund der Unterdrückung schwarzer Südafrikaner und ihrer Kultur während der Apartheid war das besonders wichtig, betont Rechtswissenschaftler Lesala Mofokeng.

    "Der Vorteil dieser rechtlichen Vielfalt ist, dass sich jeder frei entfalten und seine Kultur leben kann. Unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Gleichzeitig werden die Gemeinsamkeiten aller Südafrikaner in unserer Verfassung betont. Sie ist für alle bindend. Konflikte gibt es dann, wenn Traditionen nicht mit den liberalen, demokratischen Rechten vereinbar sind, weil sie etwa Frauen oder Kinder diskriminieren. In diesen Fällen gab es bereits mehrere Gerichtsverfahren."

    Im Kern geht es bei diesen Fällen immer wieder um patriarchale Strukturen: Frauen, die in der Erbfolge einfach übersprungen werden, die kein Land erwerben dürfen. Oder Mädchen, die ohne ihre Zustimmung verheiratet werden. Kultur und Tradition würden zunehmend als Rechtfertigung missbraucht, betont Sizani Ngubane, die als Gründerin des "Rural Women's Movement" für die Rechte der Frauen in den ländlichen Gemeinden eintritt.

    "Unsere traditionellen Anführer behaupten zwar, dass sie die Hüter unserer Kultur sind, aber einige Bräuche stehen in krassem Widerspruch dazu. Zum Beispiel "Ukuthwala", die Entführung einer Frau vor der Hochzeit. Das ist tatsächlich ein uraltes Ritual. Es handelt sich um erwachsene Frauen, die in der Regel zustimmen müssen. In einigen ländlichen Regionen werden heute jedoch 13-jährige Mädchen auf diese Weise zwangsverheiratet, mit der Begründung, das sei Teil der Kultur. Dabei ist es eine pervertierte Praxis."

    Kultur wird zu einer bequemen Ausrede, zu einem Totschlagargument, um sich keiner Diskussion stellen zu müssen, und tun und lassen zu können, was man möchte. Mit den Ursprüngen des traditionellen afrikanischen Rechtssystems habe dies wenig zu tun, meint Lesala Mofokeng.

    "Da es während der Apartheid für nichtig erklärt wurde, gingen große Teile verloren. Aber das ist gerade der jüngeren Generation nicht bewusst. Sie kennen weder die Wurzeln der kulturellen Praktiken, noch verstehen sie die verfassungsrechtlichen Grenzen. Fälle, in denen Brauchtum missbraucht wird, nehmen zu. Meistens geht es um Macht, Bereicherung und persönliche Vorteile. Wie zum Beispiel im Fall eines Häuptlings, der zu einem traditionellen Jungfräulichkeitstest aufgerufen hat. Allerdings nur, weil er selbst gerade eine Frau suchte."

    Häuptlinge oder traditionelle Stammesführer haben seit der demokratischen Wende an politischem Einfluss gewonnen. Nicht nur in den ländlichen Gemeinden, sondern auch im Parlament. Die Mitbestimmung der ehemals Entmündigten ist ein zentraler Wert der neuen demokratischen Kultur in Südafrika. Die Regierung habe dabei jedoch einen grundsätzlichen Aspekt nicht beachtet, kritisiert Sizani Ngubane.

    "Allein in der Provinz Kwazulu Natal gibt es rund 300 Häuptlinge. Wesentlich mehr als früher. Viele von ihnen wurden während der Apartheid in den Häuptlingsstand befördert, weil sie mit dem Regime kooperiert haben. Ihnen fehlt das nötige Verständnis für die Ursprünge unserer Kultur. Sie instrumentalisieren sie für ihre eigenen Interessen. Die Verfassung erkennt jedoch alle an und der Regierung ist es zu heikel, zu untersuchen, wer wirklich ein traditioneller Stammesführer ist und wer nicht."

    Eine Lösung dieser Frage ist nicht absehbar. Aber der Widerstand gegen die Willkür einiger Häuptlinge im Namen der Kultur wächst stetig, ebenso wie die Zahl der Gerichtsprozesse gegen sogenannte traditionelle Bräuche, die verfassungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen. Für die junge Demokratie ein Balanceakt zwischen der Anerkennung der Vielfalt in einer multikulturellen Gesellschaft und der Schärfung eines gemeinsamen Profils als geeinte Nation.

    Serie im Überblick:
    Clash of Cultures - Neue Kulturkonflikte