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Südpol-Überflug vor 90 Jahren
Richard Byrd, der fliegende Entdecker

Der US-Amerikaner Richard Byrd überflog am 29. November 1929 als erster Mensch den Südpol. Obwohl er bei dem 19-stündigen Flug nicht am Steuerknüppel saß, wurde er nach seiner Rückkehr zu einem der berühmtesten Männer Amerikas und zum Begründer der Polarforschung.

Von Ulrike Rückert | 29.11.2019
    Admiral Richard Evelyn Byrd
    Richard Byrd sagte später: "Am Südpol gibt es nicht viel zu sehen." (Imago / Ken Welsh)
    "Der Mann, der das Sternenbanner über den Nordpol trug, wird eine Schar von Pionieren bei der Erforschung des letzten unbekannten Landes der Welt anführen, einer Wüstenei am Südpol."
    So kündigte die Presse 1928 den Aufbruch von Richard Evelyn Byrd in die Antarktis an. Es war der erste amerikanische Vorstoß auf den weißen Kontinent, die bis dahin größte und teuerste Polarexpedition, ausgestattet mit modernster Technik, und Byrd würde als erster Mensch über den Südpol fliegen.
    "Kein Entdeckungsabenteuer der Geschichte ist mit diesem kolossalen Unternehmen vergleichbar."
    Eisnebel bei -20 Grad über dem Meer beim Ross Ice Shelf in der Antarktis.
    Ross Ice Shelf, Antarktis (imago / Doug Allan)
    Byrd war im "Heldengeschäft", wie er selbst es nannte. Das Amerika der 20er-Jahre feierte die Vollbringer spektakulärer Taten als Nationalheroen; lukrativ war das durch Verträge für Bücher, Werbung und Vortragstourneen. Byrd hatte seinen Ruhm als Flieger erlangt - mit dem ersten Flug über den Nordpol und einem über den Atlantik. Allerdings hatten beide Male andere am Steuerknüppel gesessen. Byrd war ein ehemaliger Marineflieger, aber dennoch kein guter Pilot; er fungierte als Navigator. Doch Rekordflüge waren nun fast alltäglich geworden, und Byrd schuf sich ein neues Image: als fliegender Entdecker.
    "Das Flugzeug erscheint mir als das beste Mittel für Entdeckungen, wo immer es Land gibt, in das der zivilisierte Mensch noch nicht vorgedrungen ist."
    Von den unerforschten Flecken der Erde sei die Antarktis, so Byrd, der romantischste.
    "Wir finden womöglich Lebensformen, die uns völlig neu sind. Wer weiß, welche Verbindung zu prähistorischen Zeitaltern sich dort verbergen mag?"
    Heulende Blizzards, eisige Kälte, unbekannte Gebirge
    Schier unendliche Möglichkeiten böten sich der Wissenschaft, und vor allem könnte man mit dem Flugzeug die Gestalt des Kontinents erforschen.
    "Alles Land, über das wir fliegen, wird mit Hilfe spezieller Luftbildkameras kartiert werden."
    Pinguin in der Antarktis.
    Richard Byrd hoffte 1928, in der Antarktis unbekannte Lebensformen und Verbindungen zu prähistorischen Zeitaltern zu finden (Deutschlandradio/Folkert Lenz)
    Ende 1928 erreichten die Schiffe der Expedition die Antarktis. Die Mannschaft errichtete ein Lager am Rand des Ross-Schelfeises und baute die Flugzeuge zusammen. Vom Lager aus unternahmen Meteorologen und Geologen Exkursionen, und Byrd machte Flüge an den Küsten entlang und ins Innere bis die Polarnacht anbrach.
    Ein mitgereister Reporter schickte täglich Funkmeldungen nach New York und berichtete von heulenden Blizzards, der Entdeckung von Gebirgen und dem Ausharren in den Hütten während der monatelangen Dunkelheit. Doch nichts faszinierte so wie der Flug zum Südpol, der Höhepunkt im nächsten Polarsommer.
    "Ein riesiges graues Flugzeug glitt heute Nachmittag über das Eis, seine Seiten glänzten in der Sonne. Mit sanftem Schwung erhob es sich. Seine drei Motoren sangen ihr tiefes Lied, als es sich nach Süden wandte und über der weißen Ödnis entschwand."
    "Es gibt nicht viel zu sehen am Südpol"
    2.600 Kilometer lagen vor Byrd und seiner Crew, zum Pol und zurück. Mit Schlitten hatte Roald Amundsen 1911 dafür drei Monate gebraucht - Byrds Flugzeug raste über die Eiswüste. Am Steuer saß der Norweger Bernt Balchen, der Copilot filmte durchs Fenster. Das Wetter war klar. Einen Moment der Gefahr gab es nur in den Bergen am Rand des Polarplateaus: um die Höhe zu überwinden, mussten sie ihren Notproviant abwerfen. Dann kam der große Augenblick am 29. November 1929, und er war – undramatisch:
    "Um 1.14 Uhr Greenwicher Ortszeit befanden wir uns rechnungsgemäß über dem Südpol. Wir flogen noch nach allen Richtungen hin und her, um den Pol sicher einzukreisen. Es gibt nicht viel zu sehen am Südpol. Und nachdem wir dies gesehen hatten, sausten wir heimwärts."
    Nach knapp 19 Stunden waren sie zurück. Schon am nächsten Tag ging die Nachricht um die Welt. Als Byrds Schiff sieben Monate später in New York einlief, konnte ganz Amerika und sogar Europa am Radio dabei sein. Richard Byrd war nun einer der berühmtesten Männer Amerikas. Für den wissenschaftlichen Ertrag des Unternehmens war der Flug zum Südpol unwichtig, aber die Begeisterung, die er entfachte, ermöglichte Byrd die Finanzierung einer zweiten Expedition. Später leitete er große Antarktis-Projekte für die Marine. Als er 1957 starb, war sein Name nahezu ein Synonym für Polarforschung geworden.