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Südwestwind in Wladiwostok

Russland unterhielt bislang partnerschaftliche Beziehungen zu Nordkorea. Moskau solle daher mäßigend auf Pjöngjang einwirken, lautet eine Forderung aus dem Westen angesichts der gegenwärtigen Krise. Doch die Zeiten enger Zusammenarbeit sind schon lange vorbei.

Von Gesine Dornblüth | 13.04.2013
    In Russland herrscht ein gewisses Verständnis für Nordkorea. Außenminister Sergej Lawrow warnte erst diese Woche wieder mit Blick auf die USA und ihren Partner Südkorea, niemand solle den anderen mit militärischen Manövern verängstigen. Konstantin Asmolow ist Koreaexperte der Russischen Akademie der Wissenschaften. Seine Kollegen und er beraten das Außenministerium:

    "Südkorea führt derzeit bereits das zehnte Militärmanöver in diesem Jahr durch. In den Manövern geht es nicht um Verteidigung, sondern die Soldaten üben die Einnahme wichtiger Ziele in Nordkorea. Nordkorea reagiert darauf. Dieser Kontext wird zu oft außer Acht gelassen."

    Dass aus Russland ein gewisses Verständnis für Nordkorea kommt, heißt noch lange nicht, dass Russland den Diktator Kim Jong Un unterstützt. Russland hat kein Interesse an einer Atommacht Nordkorea, und es fühlt sich von dem kleinen aggressiven Nachbarn bedroht. Beide Staaten teilen eine 19 Kilometer lange Grenze. Zwar hat Pjöngjang zugesichert, seine Raketen seien gegen Japan gerichtet, nicht gegen Russland. Doch es ist schon vorgekommen, dass eine nordkoreanische Rakete in die falsche Richtung flog. Koreaexperte Asmolow:

    "Wir sind gegen eine Atommacht Nordkorea. Aber die Stabilität in der Region ist für uns noch wichtiger. Jede militärische Lösung des Koreakonflikts, auch eventuelle Versuche, dort von außen eine humanitäre Katastrophe oder Massenunruhen auszulösen, werden auch China und Russland schaden. Wenn, als schlimmste Variante, die Atomanlagen Nordkoreas in einem Krieg zerstört würden, könnte die radioaktive Wolke bei ungünstiger Windrichtung binnen zwei Stunden Wladiwostok erreichen."

    Die russische Stadt Wladiwostok hat etwa eine halbe Million Einwohner. Russische Militärstrategen sind zudem verärgert über Nordkorea, weil es den USA mit seinen Muskelspielen einen Vorwand liefert, die Präsenz in der Region zu erhöhen. Die Zeiten enger politischer und wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern sind ohnehin vorbei. Russland und Nordkorea handeln vor allem mit Holz, Fisch, Maschinen, Rohstoffen, aber der Umfang ist im Vergleich zu sowjetischen Zeiten auf einen Bruchteil gesunken.

    Die Sowjetunion hat seinerzeit zahlreiche Fabriken in Nordkorea gebaut. Aus der Zeit hat Nordkorea umgerechnet 8,5 Milliarden Euro Schulden bei Russland. Einen Teil dieser Schulden will Russland offenbar mit gemeinsamen Projekten kompensieren. Svetlana Suslina, Ökonomin am Institut für Koreawissenschaften der Russischen Akademie der Wissenschaften, meint, Russland und Nordkorea könnten die alten Wirtschaftsbeziehungen durchaus wiederbeleben.

    "Unsere Ökonomien waren 70 Jahre lang verbunden. Die Fabriken in Nordkorea und im russischen fernen Osten, zum Beispiel Kohlebergwerke, hatten enge Lieferverbindungen. Wir wissen, wie die Strukturen in Nordkorea funktionieren."

    Die meisten russischen Experten halten einen Erstschlag Nordkoreas gegen Japan oder die USA für unwahrscheinlich. Kim Jong Un sei sich der militärischen Unterlegenheit Nordkoreas bewusst, meint der Politologe Konstantin Asmolow. Aber die Lage könne aus Versehen außer Kontrolle geraten.

    "In Nordkorea sitzen keine Selbstmordkandidaten, und es gibt auch keinen Bösewicht aus einem schlechten Comic, der die Familie des Helden auslöscht und dafür später büßen muss. Die Nordkoreaner fürchten aber, eben wegen der militärischen Überlegenheit der Gegner, eine Aggression gegen ihr Land. Wenn es angegriffen wird, kann Nordkorea nur versuchen, dem Feind größtmögliche inakzeptable Verluste zuzufügen. Deshalb lässt es gerade die Muskeln spielen und blufft. Die ganze aggressive Rhetorik Nordkoreas ist auf Abschreckung ausgerichtet. Diese Spannungen können lange anhalten. Die Truppen im Norden und im Süden haben den Befehl, im Fall von Provokationen zu schießen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Situation aus Versehen eskaliert."
    Russland hat seine Raketenabwehr an der Grenze zu Nordkorea in Stellung gebracht. Auch die russische Pazifikflotte ist in Bereitschaft.