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Sünde, Schuld und Vergebung im Buddhismus
Gutes Karma, mieses Karma

Das Wort Karma kennt auch in Deutschland fast jeder, aber die verborgene Wahrheit dahinter erschließt sich nur durch die Kenntnis alter asiatischer Lehren - und auch dann nicht immer. Wer anderen Menschen oder Tieren Schaden zufügt, muss die karmischen Konsequenzen tragen – auch im nächsten Leben.

Von Mechthild Klein | 18.12.2018
    Würfel zeigen zusammengesetzt die Wörter Karma und Glück
    Karma - nur ein unschuldiger Lifestyle-Begriff? Manchmal versteckt sich dahinter auch Ideologie und Propaganda. (imago stock&people)
    Mieses Karma! – Das glaubt heute so manch einer, wenn er einen schlechten Tag hatte. Wenn das Auto nicht anspringt, man plötzlich erkrankt oder seinen Kaffee umwirft. Das Wort Karma hat es in die Umgangssprache geschafft, taucht sogar im Duden auf. Nach buddhistischer Vorstellung ist das Karma das Ergebnis aller Taten, Gedanken und Gefühle, die ihre Spuren im Geist hinterlassen. Schuld und Vergebung wie in den abrahamitischen Religionen kennt man so nicht. Wenn Buddhisten anderen Menschen oder Tieren Schaden zufügen, tragen sie selbst die karmischen Konsequenzen - so der Fokus. Es hat sich aber eine Ethik entwickelt, die Mitgefühl mit allen Lebewesen als Ideal hat, um so das Leiden aller Wesen zu verringern.
    Und: Die geistigen Karma-Prägungen wirken nicht nur auf das aktuelle Leben, sondern auch auf nachfolgende Existenzen. Durch Meditation und Geistesschulung können die karmischen Fesseln aber erkannt und überwunden werden – glauben Buddhisten.
    "Reine Fantasie"
    An das Gesetz von Karma als den Ausgleich aller Taten in späteren Existenzen glauben auch viele Menschen in Europa. Was das genau heißt, bleibt oft unklar. Also hat man tatsächlich gutes Karma, weil man im Lotto gewonnen hat?
    "Insofern hat das mit mir zu tun, weil ich mir einen Lottoschein gekauft habe. Aber sicher nicht, weil ich in der Vergangenheit etwas Gutes getan habe. Das ist ja, dann kann man ja alles mögliche auch glauben. Das ist Quatsch, das ist reine Fantasie, die Menschen haben sich alles mögliche ausgedacht und sagen dann, das ist eine göttliche Wahrheit oder eine höhere Wahrheit", sagt Peter Riedl aus Wien, Herausgeber der buddhistischen Zeitschrift "Ursache & Wirkung". Der langjährige Meditationslehrer und frühere Generalsekretär und Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft, kritisiert solche Aussagen.
    "Wenn jemand ein volles Bankkonto hat - das sagt nichts aus"
    Manche Menschen glauben sogar, ihre Krebserkrankung oder ihr Jobverlust gingen auf ihr schlechtes Karma zurück. Solche Aussagen hört man auch gelegentlich von spirituellen Meistern, bedauert er. Aber ob jemand ein volles Bankkonto hat oder ihm etwas Schlechtes zustößt, das sage überhaupt nichts aus, sagt der Buddhist Peter Riedl:
    "Der Karma-Gedanke, die Kausalität ist ja schon eine, die betrachtenswert ist. Nur die ethische Wertigkeit darin stimmt nicht. Dass mir etwas passiert, weil in der Vergangenheit dieses oder jenes gewesen ist, das kann ja stimmen. Jetzt erfahre ich Freundschaft, weil ich in der Vergangenheit freundlich gewesen bin, das gibt es. Aber umgekehrt kann man genauso gut auch Freundschaft erfahren, weil man der Vergangenheit böse gewesen bin oder schlechte Gedanken hatte, dann hat man halt eine Freundschaft mit anderen Menschen."
    "Karma ist neutral"
    Riedl kritisiert die simple Gleichung, eine Krankheit sei automatisch das Ergebnis früherer schlechter Taten. Zwar könne man eine Leber-Zirrhose bekommen, wenn man zu viel Alkohol trinkt, aber ganz so eindimensional sei das Karma-Wirken eben nicht zu verstehen.
    "Was im Karma-Denken - dieses Ausgedachte oder im Glaubenskarma - aus meiner Sicht nicht richtig ist, ist die Verquickung mit gut und böse, mit der Ethik. Karma ist – wenn man schon dran glaubt – ein neutraler Vorgang – weil dies geschehen ist, geschieht das."
    Es geht um die Eindrücke im Geist. Die Interpretationen gehen jedoch auseinander. Ein bekannter Lehrer aus dem buddhistischen Diamantweg, Lama Ole Nydahl, glaubt sogar daran, dass jedes Volk ein bestimmtes Karma habe. In einem Lehr-Video, das im Internet abzurufen ist, gibt Nydahl buddhistische Unterweisungen. Demnach lehre der Buddha, "wie es uns als Volk, als Familie, als einzelner, als Welt überhaupt, als Gattung und so weiter geht – alles ist Ursache und Wirkung. Alles entsteht aus dem, was wir gedacht und gesagt haben. Alles, was wir tun, denken und sagen, sät Samen in der Außenwelt, die genüsslich oder ungenießbar wieder zurückkommen und das sät Eindrücke im eigenen Speicherbewusstsein, die dann später als Glück oder als Leid erfahren werden."
    Ideologie oder Lehre?
    Der Däne erzählt ausführlich, was Lehre vom Karma bedeutet:
    "Ich weiß, dass das nicht leicht ist zu verstehen, wenn man über riesige Leiden, wie die vielen, die 50 Millionen tote Russen, die der Stalin umgebracht hat oder die sechs Millionen Juden im Zweiten, im Dritten Reich, oder die 1,5 Millionen Kambodschianer bei Pol Pot oder die vielen Getöteten unter Khomeini und Gefolterten und so weiter. Und die katholischen Hutus, die Tutsis, die sich umbringen und das alles … Wenn man sich das alles anschaut, dann kann es schon schwierig sein, dass kann ich schon verstehen, dass das Ursache und Wirkung sein soll. Aber man hat ja keine andere Möglichkeit. ... So, es gibt wohl keine andere Erklärung, als dass wir die Sachen selbst verursachen."
    Wie Karma genau wirkt, darüber können sich Buddhisten sicher streiten.
    "Aber zu behaupten, dass ein Volk selbst dafür verantwortlich sei, wenn es vom Nachbarvolk überfallen oder vernichtet würde, weil es ein entsprechendes Karma angehäuft hätte, hat nichts mit buddhistischer Lehre zu tun, aber viel mit Ideologie", sagt Peter Riedl.
    "Eindeutig rassistische Ideen"
    Unter anderem wegen seiner Äußerung zu Karma und Shoah steht Nydahl in der Kritik, seine Anhänger verteidigen ihn gegen den Vorwurf, rechtsradikale Gedanken zu verbreiten. Peter Riedl möchte dazu gar keine Stellung nehmen. Er sagt nur allgemein, dass er die Idee einer Verknüpfung von Karma und einem Volk absurd und sogar gefährlich halte:
    "Da glaubt jemand, die Welt ergründen zu können mit einem Glauben. Da muss ich darauf sagen: Es ist nicht nur politisch inkorrekt, das ist ein ausgedachter Unsinn, wie kommt er dazu. Es gibt ja niemanden, der das beweisen kann... sind ja eindeutig rechtsradikale und rassistische Ideen propagiert und dann wird diesen Ideen unterlegt, sie seien eine religiöse Wahrheit. So geht’s einfach nicht."
    Der Buddha lehnte Kasten ab
    Tatsächlich kann man mit der Karma-Idee auch bestehende soziale und politische Verhältnisse rechtfertigen. In Indien zementierte die Idee vom Karma-Gesetz in Verbindung mit dem Kreislauf der Wiedergeburt sicher die soziale Aufteilung in Kasten. Die Priesterkaste stand dabei an der Spitze mit ihren Privilegien, sie waren große Nutznießer dieses Glaubens. Schon der Buddha hatte das vor 2500 Jahren erkannt, in seinen Klöstern und seiner Gemeinde gab es keine Kasten. Und Buddha lehnte auch das Opferwesen der Brahmanen als nutzlos ab. Doch die Karma-Idee wurde in seiner Lehre weiterverwendet.
    In Europa hingegen tut man sich schwer mit der Karma-Idee. Alle alten buddhistischen Schulen haben ihre Theorien über das Karma-Wirken weiter ausgebaut, dort gibt es wenig Zweifel an der Realität dieses Wirksystems.
    "Verborgene Wahrheit"
    "Im Buddhismus selber gilt Karma als eine verborgene Wahrheit", sagt der Tibetologe Jan-Ulrich Sobisch von der Ruhr-Universität Bochum. Wie Karma genau wirke, dafür sei eine lange buddhistische Geistesschulung erforderlich. Der Dalai Lama hätte einmal sinngemäß gesagt:
    "Die Lehre von der Leerheit – das ist eine der höchsten philosophischen Schulungen - das sei relativ zugänglich, aber Karma, das sei eine verborgene Wahrheit, die sei nur dem Buddha zugänglich."
    Als Buddhist muss man aber nicht zwangsläufig an Karma glauben, meint Sobisch. Das sei zweitrangig. Aber wenn es hilft, ein ethisches Leben zu führen, sei das zumindest hilfreich.
    "Eigentlich ist der Weg im Buddhismus sehr sehr lang, bevor man überhaupt Karma einsehen kann. Bis dahin muss man die ganze Zeit so tun, als ob es Karma gäbe. Das ist nichts, was offenbar ist, was offensichtlich ist."