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Suha Bechara: Zehn Jahre meines Lebens für die Freiheit meines Landes. Eine Libanesin im Widerstand

Vielen Libanesen gilt die heute 34-jährige Suha Bechara als Jeanne d'Arc. Sie hatte 1988 versucht, den Oberbefehlshaber der von Israel ausgehaltenen Südlibanesischen Armee, Antoine Lahad, zu erschießen, und wurde daraufhin zehn Jahre in dem Gefängnis Khiam festgehalten. Nach ihrer Freilassung 1998 schrieb sie den Memoirenband Zehn Jahres meines Lebens für die Freiheit meines Landes, der im vergangenen Jahr in Frankreich bei Lattès erschien und ins Arabische übersetzt wurde. Ab dem 10. August ist die deutsche Übersetzung erhältlich.

Monika Borgmann | 06.08.2001
    Ich hatte völlig verdrängt, wie klein mein Gefängnis war. Als ich wieder vor Zelle 7 stand, konnte ich kaum fassen, dass ich in der Beengtheit dieser Mauern zehn Jahre meines Lebens, ein Drittel meiner Tage, ein Drittel meiner Nächte zugebracht hatte. Ich war wieder in Khiam, im Südlibanon, inmitten einer Menschenmenge, die sich dort drängte. Das lange Zeit so gefürchtete Gefängnis war jetzt zu einer Art Wallfahrtsort geworden, zum erschütternden Symbol der düsteren Jahre der israelischen Besatzung. Ergriffen und fassungslos zugleich wandelte die Besucherschar - ohne das Ausmaß der dort von Menschen erlittenen Qualen und Strafen auch nur erahnen zu können - durch die Folter- und Verhörräume und die schändlichen Gefängniszellen, in denen so viele Männer und Frauen unsagbares Leid erfahren hatten.

    Suha Bechara kommt im Mai 2000 nach Khiam zurück, nur eine Woche, nachdem sich die israelische Armee nach zwölf Jahren Besatzung aus dem Südlibanon zurückgezogen hatte. Sie kommt an den Ort zurück, an dem sie geschlagen und mit Elektroschocks gefoltert wurde, an dem sie jahrelange Isolationshaft ausgesetzt worden war, sich innerlich gegen Demütigungen wehren und vor Kollaborateuren im Gefängnis schützen musste. Suha Bechara hatte 1988 ein Attentat auf Antoine Lahad verübt, den Oberbefehlshaber der Südlibanesischen Armee, die mit den Israelis jahrelang kollaboriert hatte. Antoine Lahad wurde schwer verletzt, überlebte aber. Sie selber wurde verhaftet, erst nach Israel gebracht und dann in dem berüchtigten Folterzentrum Khiam interniert, ohne Gerichtsverfahren und ohne Urteil. Auf massiven internationalen Druck hin kam sie 1998 frei und ging nach Frankreich, wo sie ihren autobiographischen Bericht schrieb.

    Suha Bechara wurde am 15.6.1967 in Deir Mimas geboren, einem kleinen Dorf nahe der Grenze zu Israel. Als sie acht Jahre alt war, brach der libanesische Bürgerkrieg aus, der als Krieg zwischen Palästinensern und libanesischen Christen begann, aber schnell zu einem Krieg zwischen Christen und Moslems eskalierte. Suha Becharas Familie lebte damals bereits am südöstlichen Stadtrand von Beirut, in dem Volksviertel Shiakh, das von der Demarkationslinie zwischen dem christlichen Osten und dem muslimischen Westen der Stadt durchschnitten wurde. Immer wieder suchte die Familie vor den Bombardements Schutz in Deir Mimas, nur Suhas Vater, der als Schriftsetzer in einer kommunistischen Zeitungsdruckerei arbeitete, blieb in West-Beirut zurück. Doch ab 1978 bot auch das christliche Dorf Deir Mimas, dem lange Zeit der Ruf angehaftet hatte, eine Hochburg der Linken zu sein, der kommunistischen Familie Bechara keine Zuflucht mehr. Die israelische Armee besetzte den Südlibanon, um gegen die PLO vorzugehen, die seit 1970 den Libanon als Basis für militärische Operationen gegen den jüdischen Staat benutzt hatte. Viele Südlibanesen flohen in die Vororte Beiruts, denn die, die blieben, waren oftmals gezwungen, mit der Südlibanesischen Armee und damit indirekt mit Israel zu kollaborieren. Als die israelische Armee 1982 bis Beirut vordrang und den Westen der Stadt wochenlang belagerte, engagierte sich die damals fünfzehnjährige Suha in einer pazifistischen und den Kommunisten nahestehenden Bewegung und leistet humanitäre Hilfe in Krankenhäusern.

    "Welches Ideal hat mich in den Bann dieser Partei gezogen? Es ist nicht der Klassenkampf, mit dem die Partei ihren Einsatz im Krieg rechtfertigt. Paradoxerweise ist es die Idee des Staates. Die Partei hält nichts davon, die libanesische Gesellschaft in Konfessionsgemeinschaften aufzuspalten. Sie spricht vielmehr unaufhörlich von einem Land, das allen gehört, von Bürgern mit gleichen Rechten und Pflichten. Dieser nationale, ja, fast republikanische Standpunkt trifft mich ins Mark. Ich definiere mich nicht über meine Zugehörigkeit zum Christentum, sondern ich fühle mich in erster Linie als Libanesin... Im Laufe dieses schrecklichen Jahres 1982 hat sich das Tempo meines politischen Lehrgangs beschleunigt. Die israelische Invasion hat mich auf grausame Weise in meinen Überzeugungen bestärkt."

    Trotz des anhaltenden Bürgerkriegs im Libanon war für Suha Bechara Israel der eigentliche Feind, der die Konflikte zwischen Christen und Moslems schürte, um sich seine Vormachtstellung zu sichern. Im September 1982 wurde die Gründung einer Front des libanesischen Widerstands gegen die israelische Besatzung bekannt gegeben. Suha Bechara gelang es ein Jahr später, heimlich die ersten Kontakte zu knüpfen. 1986 kehrte sie nach Deir Mimas zurück, begann ein Doppelleben und entschied sich schließlich für den Tyrannenmord, d.h. für die Ermordung von Antoine Lahad. Als Aerobic-Lehrerin seiner Frau bekam sie Zugang zum Haus der Lahads und führte im Sommer 1988 den Anschlag aus. Und auch wenn sie Antoine Lahad nicht tötete, wurde das spektakuläre Attentat für viele Libanesen zum Symbol für den Widerstandswillen der südlibanesischen Bevölkerung gegen Fremdherrschaft und die Zerstörung ihrer Heimat. Ein Widerstandswille, der Suha Bechara auch im Gefängnis nicht verlässt.

    "Man muss die Stimmen der Männer ertragen, die schreien; die Stimmen der Frauen, die ihre Peiniger anflehen; eine Mutter sehen, der man den Sohn entreißt; eine Großmutter, die in die Folterkammer geführt wird ... und sich selbst nicht aufgeben. Keine Gefühlsregung zeigen, sonst hat der Feind gewonnen. Das Gefängnis schließt dich in deine eigenen Gedanken ein, die Zeit raubt dir deine Erinnerungen, deine Empfindungen, deine Kindheit. Die Angst beschleicht dich. Du weißt dann, dass dein allerletzter Feind in dir selbst steckt und du über dich selbst hinauswachsen musst, um deine Freiheit wiederzuerlangen. Noch einmal Widerstand leisten..."

    Dank des Drucks des Roten Kreuzes und Internationaler Menschenrechtsorganisationen verbessern sich ab 1995 die Haftbedingungen. Bücher kommen in das Gefängnis, Besuche werden zugelassen, Briefe dürfen geschrieben werden. Aber es vergehen noch drei Jahre, bis Suha Bechara frei kommt.

    "Das vordringlichste Ziel meines Kampfes war ein befriedeter, freier Libanon, der auf Rechtstaatlichkeit und Demokratie gründen sollte. Mein zentrales Anliegen ist jetzt, die Erinnerungen wach zu halten. Wenn aber die Libanesen so tun, als sei nichts gewesen, wird diese Hoffnung schwinden, weil sie damit auch ihren Mut zum Widerstand einbüßen werden."

    Nach dem Abzug der israelischen Armee im Mai 2000 befreiten Dorfbewohner die letzten Gefangenen von Khiam. Die Aufseher und Milizionäre der Südlibanesischen Armee hatten das Gefängnis nur eine Nacht zuvor verlassen. Die meisten flohen nach Israel, um der Rache oder einer Verurteilung zu entgehen. Doch an den Mauern von Khiam stehen heute ihre Vor- und Familiennamen, und die Namen der Orte, aus denen sie stammen. Der Versuch der südlibanesischen Bevölkerung, an die Folterer und Kollaborateure von gestern zu erinnern und sie nicht dem Vergessen preiszugeben.

    Monika Borgmann über Suha Bechara: Zehn Jahre meines Lebens für die Freiheit meines Landes - Eine Libanesin im Widerstand. Hugendubel Verlag, München. 192 Seiten, DM 36,95.