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"Sully" mit Tom Hanks
Ein Luftfahrtdrama in 208 Sekunden

Mit seiner Landung auf dem Hudson River rettete der Pilot Chesley Sullenberger mehr als 200 Menschen das Leben. Jetzt hat Clint Eastwood die Geschichte von "Sully" verfilmt – als klassisches amerikanisches Heldenkino mit Tom Hanks in der Hauptrolle.

Von Hartwig Tegeler | 30.11.2016
    Der US-amerikanische Schauspieler Tom Hanks bei der Premiere des Films "Sully" am 8. September 2016 in West Hollywood, Kalifornien.
    Der US-amerikanische Schauspieler Tom Hanks bei der Premiere des Films "Sully". (Valerie Macon / AFP)
    208 Sekunden, nicht mal ganz dreieinhalb Minuten, dauerte das Geschehen im Januar 2009, vom Start der vollbesetzten Maschine (Flugnummer: 1549), der Kollision mit einem Schwarm von Wildgänsen bis zur Notlandung auf dem Fluss. Die Bilder gingen durch die Weltpresse. Sully erklärt vor dem Untersuchungskomitee:
    "Nur der Hudson war lang genug, glatt genug und weit genug, um auch nur zu versuchen, das Flugzeug sicher aufzusetzen."
    Alle Passagiere und die Crew überlebten, dank Flugkapitän Chesley "Sully" Sullenberger, der jetzt, in Clint Eastwoods Film, ganz zum "American Hero" wird. Standen in früheren Jahrzehnten Schauspieler wie Gary Cooper oder James Stewart für den "guten Amerikaner", der Kriegstraumata oder Gewalt heilen konnte, so gibt es wenige zeitgenössische Schauspieler, die diese Aura von Vertrauen, Wahrhaftigkeit und Mut quasi in ihrer Rolle "setzen". Tom Hanks ist so einer. Einer der wenigen Hollywood-Stars auch, in dessen Filme man wegen ihm und nicht wegen der Story geht. Das war in "Captain Phillips" so, das war in Spielbergs "Bridge of Spies" so, das ist jetzt im Heldenepos "Sully" so.
    Alltags- und kein Superheld
    Clint Eastwoods Erzählung beginnt nach der Landung im Hudson. Sully und sein Copilot warten auf die Anhörung vor dem Untersuchungskomitee. War die Wasserlandung nötig; hätte es nicht noch für die Rückkehr zum Flughafen gereicht. Das Komitee zweifelt, Sully zweifelt auch:
    "Und wenn ich das wirklich verbockt habe? - Was soll das heißen? - Na ja, wenn ich mich geirrt haben sollte so kurz vor dem Ende meiner Karriere. Und ich dadurch alle diese Menschen in Lebensgefahr gebracht habe."
    Wobei der Zweifel natürlich die Tom-Hanks-Figur interessanter macht und das Verantwortungsgefühl dieses Helden, der eben Alltags-, aber kein Superheld ist, umso mehr betont. Ihn als jemanden zeichnet - noch ein Kontrapunkt zum gängigen Superhelden-Klischee -, der in einer hochtechnisierten Welt voller Computer und Algorithmen, auf sich, seine Instinkte, seine Erfahrungen vertraut. Warum, wie er das geschafft habe, fragen ihn die Controller, warum nicht zurück zum Flughafen. Sullys Antwort:
    "Weil ich erkannt hatte, dass ich das nicht schaffen würde."
    Und wie er das berechnet habe, mit der Wassernotlandung eines Passagierflugzeuges?
    "Ich habe es abgeschätzt. - Abgeschätzt? - Ja."
    Und Sullys Copilot - gespielt von Aaron Eckhart - fügt hinzu:
    "Wenn er die verdammten Regeln befolgt hätte, wären wir alle tot."
    Klischee des patriotischen Retters
    Nüchtern betrachtet ist die Story von "Sully" ziemlich dünn. Das Drama dauerte, wie gesagt, nur 208 Sekunden. Und manches, was Clint Eastwood, in seinen 96 Minuten Filmzeit hinzu erzählt, wirkt ziemlich gewollt. Die Telefonate zwischen Tom Hanks und seiner Film-Ehefrau Laura Linney sind Klischee pur; ja, ich glaube an dich; ja, ich liebe dich; wie geht´s den Kindern. Doch im Kern geht es Clint Eastwood in "Sully" weniger um eine komplexe Story denn um die Konstruktion eines heldenhaften Charakters, der aus seinen Selbstzweifeln aufsteigt wie ein Phoenix aus der Asche und damit zum Helden wird. Denn man darf eines nicht vergessen: "Flugzeug in New York, das droht, auf die Stadt zu stürzen", natürlich ist damit der 11. September sofort da in der Erinnerung. Diese Assoziationskette bedient Clint Eastwood auch, wenn er in Sullys Albträumen die Maschine in einen Wolkenkratzer des Big Apple krachen lässt. Wenn aber Tom Hanks, der Flugkapitän, der alle gerettet hat, mit einem harten Schnitt aus diesem Albtraum erwacht, dann wird auch klar, warum Clint Eastwood von diesem Sully erzählt: Dieser mutige, aufrechte Mann, dieses Vorbild, ist Labsal für die traumatisierte, nicht nur New Yorker amerikanische Seele.
    "Sully, mach die Nachrichten an, komm: Du bist ein Held. Und daran müssen sich alle gewöhnen, auch dieses Unfallgremium."
    Clint Eastwood erzählt in diesem schönen Tom-Hanks-Film "Sully", was er immer am liebsten erzählte: Der individuelle, der menschliche Held rettet das Land. Americana-Philosophie oder Ideologie pur. Das ist Kino. Ob es auch die Realität ist, darf bezweifelt werden.