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Super Bowl, Grammys, US-Charts
Dominiert Amerika die Popkultur?

Beyoncé, Lady Gaga, Justin Timberlake: US-Popmusiker setzen immer noch Maßstäbe. Auch der deutsche Pop ist stark von ihnen beeinflusst, denken viele. Dem widerspricht Musikwissenschaftler Christoph Jacke im Dlf: "Amerikanisierung funktioniert nicht in der Kultur – das ist immer eine Mixtur."

Christoph Jacke im Corsogespräch mit Juliane Reil | 05.02.2018
    Justin Timberlake singt in der Halbzeitpause "I Would Die 4 U" des verstorbenen Sängers Prince. Der scheint von der Leinwand aus über ihn zu wachen.
    Justin Timberlake singt in der Halbzeitpause "I Would Die 4 U" des verstorbenen Sängers Prince (AFP / TIMOTHY A. CLARY)
    Juliane Reil: Justin Timberlake im Duett mit Prince, der auf eine große Leinwand im Stadion projiziert wurde: Die amerikanische Musikindustrie ist immer noch Trendsetter, hat man das Gefühl und hat einen unheimlichen Einfluss – auch auf die hiesige Popszene. Warum schielen wir so stark nach Übersee, auf Ereignisse wie den gestrigen Super Bowl oder vergangene Woche zu den Grammy Awards? Das frage ich Christoph Jacke, Professor für Theorie, Ästhetik und Geschichte der Populären Musik an der Universität Paderborn. Er hat sich mit der Amerikanisierung von deutscher Popmusik auseinandergesetzt. Herzlich Willkommen zum Corsogespräch.
    Christoph Jacke: Guten Tag, hallo.
    Reil: Warum ist die amerikanische Popkultur nach wie vor so groß, was ihren Einfluss auch auf europäische Popmusik angeht?
    Jacke: Genauer genommen, denke ich das gar nicht. Das ist eine These, die ich außerordentlich schwierig finde. Denn, was heißt eigentlich Amerikanisierung? Rein quantitativ ist der US-amerikanische Markt nunmal führend weltweit. Der deutsche Markt hinkt dem hinterher, aber da gibt es immer Flüsse hin und her, und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Generation meiner Eltern und Großeltern eben einen Schwung positiver US-amerikanischer, afroamerikanischer Musik mit dem Jazz vor allem mitbekommen und dem Rock'n'Roll später. Da wird ja niemand vereinnahmt, und auch dem Super Bowl muss man ja nicht einschalten.
    "Man arbeitet sich an Anti-Vorbildern ab"
    Reil: Aber eigentlich müsste man doch sagen, dass Popmusik eine amerikanische Erfindung ist. Gerade mit der Musik, die sie genannt haben: Jazz, der Swing als erste Form der Unterhaltungsmusik. Der Rock, der sich aus dem Gospel und Blues speist. Das sind doch eigentlich die Wurzeln und das ist doch eigentlich nicht wegzudenken aus einer Popmusik – oder Popmusik lässt sich nicht von Amerika isolieren.
    Jacke: Es ist halt ein ständiges Spiel – natürlich sind bestimmte Mächte ausgehend von einer sehr, sehr großen und historisch gewachsenen Musikindustrie weltweit zu beobachten. Gleichzeitig auch hier: Globalisierung. Das heißt, das ist eine einzige Mixtur, die historisch gesehen auch nicht in den USA erfunden wurde. Dort vielleicht sogar mit dem Hollywood-System für die Filmindustrie zunächst – ja, da würde ich auch zustimmen, gleichzeitig geht das natürlich auch wild hin und her. Und da ist die Bluesmusik auch noch ein bisschen älter als wir meinen und insofern würde ich sagen, ist das in der Etablierung von Popmusik in den westlichen Gesellschaften zunächst mal, spielen die USA natürlich eine enorm wichtige Rolle.
    Gleichzeitig verwehre ich mich immer so ein bisschen gegen diese Übernahmethesen oder Amerikanisierung hat so etwas Besitzergreifendes. Das funktioniert in Kultur nicht, das ist immer eine Mixtur, wie Kaspar Maase auch mal so schön geschrieben hat. Selbst Krautrock ist ja immer noch irgendwo Rock, und selbst Kraftwerk sind ja nicht aus dem luftleeren Raum gekommen. Diese Absatzbewegung spätestens mit Punk und New Wave zeigen dann die ganze Ambivalenz. Man arbeitet sich da auch wieder an Anti-Vorbildern ab, aber auch teilweise in deren Modus.
    Wir haben noch länger mit Christoph Jacke gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Reil: Was meinen Sie mit Anti-Vorbildern?
    Jacke: Ich denke schon, dass immer wieder gerade im New Wave, im Postpunk und im Punk und auch davor, ich glaube im Krautrock – Michael Rother von Neu! hat mir das neulich auch mal so beschrieben – sich abgearbeitet wurde etwa an Rockismen, also an machohaften Gitarrensoli der Bombastbands der 60er- und 70er-Jahre und da hat dann elektronische Musik angesetzt oder auch Gitarristen wie Rother und Neu! oder auch die Nachbarn von Kraftwerk – eben repetitive Musik eher zu machen, keine Soli, und das Ganze wurde dann eigentlich von Punk auf die Spitze getrieben.
    Der blasse junge Mann und der Über-Prince
    Reil: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann geht es also im Prinzip immer darum ein Vorbild zu haben, von dem man sich versucht, einerseits abzugrenzen, andererseits auch sich das irgendwie anzueignen.
    Jacke: Ja, ich würde mich nur dagegen wehren, dass Amerika ein Vorbild oder ein Anti-Vorbild in toto wäre. Musiken haben sich abgearbeitet an George Bush, an seinem Vater, der Trumpismus ist ein Phänomen, an dem sich nun wirklich gerade abgearbeitet wird, aber nicht an Amerika. Das ist ein Mythos, der konstruiert wird, meiner Meinung nach, und da wäre ich dann ein bisschen vorsichtig.
    Natürlich gibt es Images und Bilder von der Kulturindustrie gerade in den USA, und an denen wird sich orientiert oftmals, weil es erfolgreiche Geschäftsmodelle sind, erfolgreiche Images, das ist zunächst ja auch nicht negativ. Genauso wie es nicht nur positiv sein muss, wenn man dagegen ist. Das kann auch regressiv werden, um es mal so zu drehen. Und wir haben es beim Super Bowl gesehen: Wir haben heute Nacht eigentlich alles gesehen, was man über Pop lernen kann, vom Showeffekt her, von der Massenwirksamkeit, wahrscheinlich wieder 111 Millionen Zuschauern im Schnitt in den USA, weltweit knappe Milliarde – ist es natürlich ein populäres Event schlechthin.
    Wenn ich mir das Künstlerische anschaue, dann fand ich Elemente der Show spektakelhaft im positiven Sinne, gerade das Finale. Andere Elemente, der blasse junge Mann in seinen Holzfällerklamotten, der gegen den Über-Prince als Projektion ansingt, schon merkwürdig – und wenn das die Seele dieses popmusikalischen Events im Event ist, war ich etwas irritiert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Christoph Jacke (2017): Gottseidank nicht in England. Popmusik in Deutschland 1980 bis 2014 zwischen Amerikanisierung und Anti-Amerikanisierung.
    In: Michael Fischer, Christofer Jost (Hrsg.): Amerika-Euphorie – Amerika-Hysterie. Populäre Musik made in USA in der Wahrnehmung der Deutschen 1914–2014. Waxmann Verlag, Münster. 388 Seiten, 49,90 €.