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Superheldinnen in Comics und Filmen
Sexismus vs. Feminismus

Superheldinnen sind starke, emanzipierte Frauen. Und trotzdem spielen sie fast nur Nebenrollen zu ihren männlichen Heldenkollegen. Der neue Film "Wonder Woman" wagt sich nun mal wieder an eine weibliche Protagonistin – nach einer langen Heldinnenreise durch Emanzipation, Romantik und Sexismus.

Von Lea Albrecht | 15.06.2017
    Der letzte "Wonder Woman"-Film hat an den Kinokassen die Erwartungen übertroffen. Am Eröffnungswochenende wurden in Nordamerika 103,1 Millionen Dollar eingespielt. Die Hauptrolle in dem Film von Patty Jenkins spielt Gal Gadot.
    Gal Gadot spielt die Hauptrolle in "Wonder Woman". (Imago | Zuma Press)
    Ihr Markenzeichen sind das goldene Lasso der Wahrheit und die metallenen Armschützer, mit denen sie Kugeln und andere Gefahren abwehren kann. Wonder Woman ist 76 Jahre alt, und trägt zum Kämpfen gürtelkurze Miniröckchen oder -höschen und Absatzstiefel; zeigt noch viel Haut, lange nackte Beine, einen straffen Busen und volle Lippen.
    Dabei könnte sie nach Jahren feministischer Bewegung doch auch ganz anders aussehen. Aber allein schon, dass Wonder Woman ihren eigenen Kinofilm bekommt, sieht die Filmindustrie als gewagt, erklärt Joanna Nowotny, Comicforscherin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich – denn schließlich sind die letzten Streifen mit Superheldinnen in der Hauptrolle – Catwoman und Electra - gefloppt. Das muss doch an den Frauen gelegen haben:
    "In der Industrie wurde dann allgemein angenommen, dass solche Filme, also eben sehr actionlastige Superheldenfilme mit weiblichen Protagonistinnen, dass das nicht unbedingt funktioniert, dass das Publikum das nicht sehen will. Wenn man sich diese Filme anguckt – also Electra und Catwoman – dann muss man sagen, dass das nicht gerade die naheliegendste Erklärung ist, denn diese Filme sind einfach auch nicht wahnsinnig qualitativ hochstehend, gelinde ausgedrückt. Also das ist weder ein besonders solides Drehbuch, noch sind das gute Special Effects. Aber allgemein wurde trotzdem angenommen, dass das an den weiblichen Hauptrollen dieser Filme liegt."
    Schauspielerin Gal Gadot als "Wonder Woman"
    Die Schauspielerin Gal Gadot spielt die Hauptrolle in dem Film "Wonder Woman". (imago/ZUMA Press)
    Dabei hatte Wonder Woman schon von Anfang an ihre eigene Comic-Reihe. Sie wurde vom Psychologen und Feministen William Moulton Marston erdacht und erschien erstmals 1941.
    Wonder Woman trotzte biederen Frauenrollen mit Nacktheit und Kraft
    In den Comics verarbeitete Marston seine sexuellen Fessel-Phantasien. Das brachte ihm schnell Kritik ein. Doch er sah darin eine Lehre – alle Männer sollten sich in seinen Träumen einem friedenbringenden Matriarchat unterwerfen. Wonder Woman verkörperte all das. Sie kämpfte gegen die Nazis und trotzte biederen Frauenrollen mit Nacktheit und Kraft.
    Und: Wonder Woman ist Amazone – eine Kriegerin von einer Insel ohne Männer.
    "Das war sehr kontrovers, weil die wurden als Lesben gelesen, das ist klar. Und übrigens auch die knappen Kleider wurden von Anfang an sehr kontrovers diskutiert."
    Nachdem ihr progressiver Schöpfer Marston 1947 starb, verebbte Wonder Womans Emanzipation. Zusätzlich verloren die Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg auch noch das Interesse an Superhelden.
    Das Bild zeigt Regisseurin Patty Jenkins (li.) und Schauspielerin Gal Gadot bei der Weltpremiere von "Wonder Woman" in Los Angeles am 25. Mai 2017 in Los Angeles. Beide stehen vor einem großen Filmplakat.
    Regisseurin Patty Jenkins (li.) und Schauspielerin Gal Gadot bei der Weltpremiere von "Wonder Woman" in Los Angeles am 25. Mai 2017 in Los Angeles. Beide stehen vor einem großen Filmplakat. (dpa-bildfunk / AP / Jordan Strauss)
    Die Verlage reagierten darauf mit Romantik – Comics wurden zu Seifenopern. So wollten sie ihren Absatz sichern. Der "Comics Code" von 1954 – eine Liste von Regularien, die unter anderem konservative Rollenbilder in Comics vorschrieb - verwässerte die feministische Wonder Woman noch mehr.
    Wonder Woman stieg wieder zum feministischen Symbol auf
    Als in den 60er- und 70er-Jahren die Frauenrechtsbewegung in den USA erstarkte, stieg auch Wonder Woman wieder zum feministischen Symbol auf – zum Beispiel auf dem Titelblatt des von Gloria Steinem neu gegründeten "Miss Magazine", erläutert Joanna Nowotny:
    "Steinem und andere fanden also Wonder Woman als Figur ganz toll, und durchaus auch Marstons Feminismus mehr oder weniger gut. Aber sie waren erzürnt, weil sie eben fanden, dass die jetzigen, also die zeitgenössischen Comics der 60er-und 70er-Jahre eben diese ganzen Inhalte sehr verwässert hätten."
    Die 60er und 70er waren auch die Zeit, in der weitere Superheldinnen geschaffen wurden. Supergirl, Batgirl, Miss Marvel, sie betraten nun Comics und Filme – aber nicht als Protagonistinnen, sondern als Nebenrollen, Helferinnen ihrer männlichen vorgesetzten Superhelden. Batman und Robin klären 1967 in der Serie "Batman" dann auch gleich mal ihre Vorherrschaft.
    "Holy short, that Batgirl!"
    "She does make a colorful reinforcement. Although I don’t want her to think we can’t fight our own battles."
    "Gosh, no Batman."
    Wonder Woman war wieder die einzige, die über eine längere Zeit ihren eigenen Fernsehauftritt bekam – in ihrer Serie von 1975 bis 1979.
    Anfangs noch mit feministischen Botschaften gespickt - hier in der Pilotfolge von 1975,
    "Any civilization that doesn’t recognize the female, is doomed to destruction. Women are the wave of the future."
    ...wurde die Serie mit der Zeit "familienfreundlicher".
    "Die Filmindustrie entwickelt sich langsamer"
    Bis heute belegen Superheldinnen in den Kinofilmen nur Nebenrollen.
    "Die Filmindustrie ist halt relativ konservativ. Da sind ja auch riesen Beträge, die in diese Filme rein fließen. Und das bedeutet, dass sich das auch alles ein bisschen langsamer entwickelt, als zum Beispiel in anderen Medien. Wenn man sich die Superhelden-Comics anschaut, dann wird da mehr gewagt. Und das gleiche zählt auch für die Fernsehserien. Die sind teilweise auch ein bisschen mutiger, was natürlich auch daran liegt, dass sie eben nicht ganz so teuer sind wie die Filme."
    Patty Jenkins
    Die Regisseurin von "Wonder Woman" Patty Jenkins am 25. Mai in Hollywood. (imago/ZUMA Press/Lisa O Connor)
    In den Comics wird die Superheldin Miss Marvel zum Beispiel seit 2014 von Kamala Khan verkörpert – und hat nicht nur einen ganz neuen Kleidungsstil, sondern ist auch Muslima. Der für 2019 geplante Kinofilm über Captain Marvel – die "upgegradete" Miss Marvel - soll trotzdem wieder die Identität der weißen, christlichen Carol Danvers annehmen. Eine Frau, die nicht weiß und auch noch Muslima ist – das wäre wohl zu viel für die Filmindustrie gewesen.
    Im neuen Wonder Woman-Film hat sogar eine Frau Regie geführt – Patty Jenkins. Trotzdem ist es auch für sie immer noch wichtig, dass Wonder Woman nicht nur stark, sondern auch "hot" sei, wie sie in einem Interview sagte. Die männlichen Superheldenmuskeln glänzten doch schließlich auch in hautengen Anzügen.
    "Es gibt Unterschiede zwischen den Formen der Idealisierung"
    Joanna Nowotny, Comicforscherin in Zürich, widerspricht.
    "Diese Argumentation hat natürlich etwas für sich, aber man muss schon sagen, dass es ja auch Unterschiede gibt zwischen diesen zwei Formen der Idealisierung. Und das merkt man eben auch im Interview mit Jenkins selber. Bei den männlichen Superhelden kommt dann eben nur "die sind stark" und "die sind mächtig" und bei der Frau kommt "sie ist hot". Und das heißt ja, sie ist hot für jemanden, der sie anschaut. Und dieses Element ist bei den männlichen Superhelden sicherlich weniger ausgeprägt."
    Immerhin gibt sich Wonder Woman zumindest in der Vorschau emanzipiert.
    "What I do is not up to you."
    Und wenn Wonder Woman gut läuft, könnte sie Türen für mehr Heldinnen öffnen.