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Superwahljahr
Christliches Kreuzchen

Lange war es üblich, dass Kirchengemeinden Parteikandidatinnen und -kandidaten zur Diskussion eingeladen haben. Mit dem Einzug der AfD in die Parlamente ist das anders geworden. Ob die „Verteidiger des christlichen Abendlands“ ein Podium bekommen sollten - diese Frage polarisiert an der Basis.

Von Thomas Klatt | 24.03.2021
    Ein Wählerin wirft in einem Wahllokal ihren Stimmzettel in die Wahlurne.
    2021 werden sechs Landtage und der Bundestag neu gewählt (dpa)
    "Ich hatte neulich in Thüringen einen Vortrag. Und dann kam zum Beispiel das Wort 'Altparteien'. Hören Sie, was Sie da für eine Sprache nehmen? Ach ja, stimmt, das ist schon reingewachsen. Und da haben Gemeinden und Kirchenmenschen eine Riesen-Aufgabe, das zu adressieren, sowohl innerkirchlich wie tatsächlich auch nach außen."
    Berichtet Christian Staffa, Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche bei der Evangelischen Akademie in Berlin und Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Kampf gegen Antisemitismus. Von "Altparteien" über "Mainstream-Medien" bis zur populistischen Politikverdrossenheit - mittlerweile erlebe er selbst in Pfarrkonventen, dass der vor allem von der AfD geprägte Sprachgebrauch Einzug in die Kirchengemeinden genommen hat, sagt Christian Staffa.
    "Es gibt natürlich auch unter Protestanten dieses 'Die da oben'-Motiv. Und 'die da oben' irren sowieso immer, egal was sie tun. Die wissen gar nicht, was wir hier vor Ort für Probleme haben. Solche Sätze habe ich auch auf Pfarrkonventen gehört, wenn ich so durch die Republik tingele. Dann gibt es sehr wohl auch unter Pfarrerinnen und Pfarrern welche, die sagen, uns hört keiner. Auch der Superintendent, die Superintendentin hören uns schon nicht. Dafür brauchen wir eine Streitkultur in den Gemeinden wie auch in den Pfarrkonventen."

    Rechtsextreme sollen keinen Raum bekommen

    Nur müsse diese Streitkultur erst gelernt werden. Besonders, wenn es um Parteipolitik geht. Gerade jetzt im Superwahljahr. Einfach nur Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien zur Diskussion einzuladen, sei keine gute Idee. Denn gerade die AfD sei geübt darin, das Podium zur Wortergreifung zu nutzen und die eigene Agenda zu propagieren, etwa Angst vor Flüchtlingen oder dem Islam zu schüren.
    "Wir haben ja seit 2013 einige Wandlungen der AfD hinter uns. 2013 sind sie ja als eine wirtschaftsliberale und eurokritische Partei angetreten, um dann 2015 sich an die Speerspitze der Migrationsfeinde zu setzen. Dann hatten wir ab 2017 einen deutlichen Rechtsruck, wo gerade in unserer Gegend das Pendel weit nach rechtsextrem ausgeschlagen hat. Dass das rechtsextreme Spitzenpersonal auf keinen Fall eingeladen wird. Bei dem heutigen Zustand der AfD würde ich vor einer Wahl davon abraten, ihnen einen Raum zu geben oder ein Podium oder sie mit einzuladen und mit ihnen zu diskutieren."
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    Warnt Heinz-Joachim Lohmann, Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche im ländlichen Raum an der evangelischen Akademie Berlin. Seine Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz habe schon vor Jahren eine Art Extremismusklausel verabschiedet, damit menschenverachtendes Denken keinen Einzug in die Kirche findet.
    "Wir positionieren uns nicht gegen eine einzelne Partei. Weil wir im Grunde die AfD in ihrer Bundesgesamtheit wesentlich breiter sehen als die NPD. Die Gleichung AfD = NPD haben wir nie aufgemacht. Es gibt auch in anderen Parteien Mitglieder, die migrationsfeindlich oder homophob sind und das nach außen vertreten."

    "Offen für eine emotionale Diskussion"

    Umso absurder wäre es, wenn gerade die Kirche solchen Positionen etwa in Gemeindeversammlungen einen Platz bieten würde. Andererseits aber sei die Verunsicherung unter vielen Gläubigen groß. So hätten sich etwa in der Flüchtlingsfrage viele Familien und Freundeskreise zerstritten. Darüber eine Gemeindeversammlung abzuhalten, sei dann durchaus sinnvoll, meint Christian Staffa, der auch Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus ist.
    "Nach meiner Wahrnehmung gibt es da so eine Art Stillhalteabkommen. Das wird nicht mehr offen thematisiert. Ich halte das für einen Fehler. Ich glaube, Gemeinden könnten ein Raum sein, wo Menschen sagen können, was sie fühlen und denken. Das ist nicht offen für AfD-Parteipolitik. Aber es ist offen für eine emotionale Diskussion, wo ich auch mal sagen darf, dass ich da ratlos bin, dass ich Angst habe. Und dann kann man an dieser Angst auch arbeiten."

    "Die AfD ist sicher keine christliche Partei"

    Zudem gebe es eine Verunsicherung, weil die AfD damit werbe, die einzig wahre Politik für Christen zu machen. Und in der Tat gebe es gewisse Schnittmengen zu erzkatholischen, evangelikalen und charismatischen Kreisen. Dann aber auch wieder nicht. Christian Staffa sagt:
    "Also die ganze Frage von Homosexuellen-Feindlichkeit, gegen dieses Gendern, da gibt es sicher Anknüpfungspunkte an Milieus im Christentum, die sehr konservative Geschlechterbilder haben, die natürlich gegen homosexuelle Pfarrerinnen und Pfarrer in Pfarrhäusern sind. Auch Abtreibungs-Gegner*innen, da ist auf jeden Fall ein Milieu. Aber auf der anderen Seite auch widerständiger. Die nicht alles kaufen, was die AfD sagt. Zum Beispiel die ganze erinnerungspolitische Schiene, die die AfD fährt, da ist der Mainstream eher widerständiger. Auch gegen diese Brutalität der Sprache. Das Eindreschen, wir werden sie vor uns hertreiben. Das ist nicht christlicher Jargon."
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    "Von der Programmatik her ist die AfD sicher keine christliche Partei. Dass die Positionen, die auf den ersten Blick eine gewisse Nähe zu bestimmten Positionen einer christlichen Ethik zu verheißen scheinen, bei näherem Hinsehen fast alle überhaupt nicht funktionieren, weil der ideologische Rahmen doch ein ganz anderer ist. Mir scheint, dass die Gruppe 'Christen in der AfD' in der Partei selbst keine dominante Rolle spielen. Dass da ganz andere Kreise den Ton angeben."
    Sagt Marianne Heimbach-Steins, katholische Sozialethikerin an der Uni Münster. In der AfD werde immer wieder behauptet, dass die Nächstenliebe nur der eigenen Familie und dem eigenen Land gelte. Das aber sei zutiefst unchristlich, denn Nächstenliebe schließe immer auch die Fernstenliebe mit ein. Auch wenn die AfD versuche, sich als Beschützerin des christlichen Abendlandes darzustellen - verbunden mit der Idee "Deutschland den Deutschen" -, widerspreche deren Parteiprogrammatik dem römisch-katholischem Selbstverständnis.
    "Die Behauptung, die eigentliche Bewahrerin christlicher Werte zu sein, ist doch sehr mit Vorsicht zu genießen. Zum Beispiel, dass die AfD die Partei sei, die noch Familienwerte schütze. Dann sieht das oberflächlich so aus, weil die bürgerliche Kleinfamilie die Errungenschaft des 19. Jahrhunderts ist, die es vorher so nie gegeben hat, als das wahre christliche Familienbild vertreten wird. Dann darf man aber nicht vergessen, dass das im Kontext der AfD zu dem Zweck geschieht, eine nationalistische Bevölkerungspolitik zu betreiben. Das ist mit dem, was ich aus der katholischen Sozialverkündigung kenne, in keiner Weise vereinbar."

    "Viele Menschen sind mit Bildung noch zu erreichen"

    Zudem dürfe man die AfD nicht als eine normale demokratische Partei sehen, sondern als eine, die die Demokratie und ein friedliches Miteinander aller im Grunde zerstören will, warnt der evangelische Theologe Christian Staffa. Und darüber müsse man aufklären.
    "Also Attila der Koch ist, glaube ich, mit Bildung nicht zu erreichen. Aber natürlich sind ganz viele Menschen, die dem folgen, mit Bildung noch zu erreichen. Gar nicht nur Aufklärung, sondern tatsächlich Emotionalität, zur Kenntnis nehmen. Eigentlich geht es um Herzensbildung. Adorno würde sagen, es geht um 'Erziehung zur Zartheit'."
    Der Theologe Christian Staffa
    Christian Staffa ist Antisemitismus-Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (Foto: Andreas Schoelzl)
    Die Diskussion um und die Aufklärung über die ureigensten christlichen Werte seien eine kirchliche Daueraufgabe. Daher müsse der Umgang mit Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Homophobie oder Migrantenfeindlichkeit zum ständigen Thema werden.
    "Religionsunterricht, Konfirmandenunterricht, Theolog*innenausbildung, Religionspädagog*innenausbildung, dass das in den wenigsten Ausbildungsgängen, die wir als Kirche verantworten, vorkommt. Dass auch die Demokratiefestigkeit unserer Leute nicht unangefochten ist, da muss Energie reingesteckt werden."