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Supraleiter
Weltrekord bei Tiefkühlfachtemperatur

Supraleiter leiten elektrischen Strom ohne jeden Widerstand. Das Problem: Sie funktionierten bislang nur bei Temperaturen unterhalb von minus 200 Grad Celsius. Ein Forschungsteam aus Mainz hat es nun geschafft, dass die Supraleitung schon bei relativ hohen Temperaturen einsetzt – mit Hilfe einer Hochdruckpresse.

Von Frank Grotelüschen | 25.07.2019
Diamantstempel des Mainzer Forschers Mikhail Eremets.
Die Hochdruckpresse von Mikhail Eremets presst bestimmte Materialien stark zusammen. Die Kristalle verbiegen sich derart, dass die Supraleitung schon bei relativ hohen Temperaturen einsetzt. (Frank Grotelüschen/Deutschlandradio)
Das Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. In einem abgedunkelten Labor steht Mikhail Eremets vor einem Lasertisch. In der Hand hält er einen Metallzylinder, kaum größer als ein Schnapsglas. Es ist so etwas wie eine Präzisions-Daumenschraube für die Wissenschaft.
"Sie funktioniert ganz einfach: In diesem Zylinder stehen sich zwei winzige Diamantstempel gegenüber. Und mit diesem kleinen Schraubenschlüssel hier lassen sie sich so fest gegeneinanderdrücken, dass zwischen ihnen ein enormer Druck herrscht – bis zu fünf Megabar."
Fünf Megabar – das ist fünfmillionenfacher Atmosphärendruck.
"Der Diamant steht dann so stark unter Druck, dass die kleinste Störung genügt, um ihn bersten zu lassen. Schon der schwache Strahl unseres Infrarot-Lasers kann den Stempel zerbrechen. Und selbst die Beleuchtung im Labor kann Schaden anrichten."
"Erstaunliche Materialien"
Eremets, 70 Jahre alt und gebürtiger Weißrusse, zählt zu den führenden Forschern auf seinem Gebiet – der Hochdruck-Physik. Seine Stempel pressen winzige Materialproben zusammen. Ein Laser misst den Druck, zugleich erfassen Sensoren, wie gut die komprimierten Proben Strom leiten. Das nämlich ist die wichtigste Eigenschaft jener Materialien, die Eremets und seine Leute ins Visier nehmen.
"Supraleiter sind erstaunliche Materialien, durch sie fließt Strom ohne jeden Widerstand. Das ist wirklich seltsam, das kennt man von keiner anderen Stoffklasse."
Dank des verlustfreien Stromflusses finden Supraleiter heute diverse Anwendungen – als starke Magneten in MRT-Scannern, als hochempfindliche Sensoren, als Kabel im Stromnetz. Der Haken: Bislang funktionieren sie nur bei Eiseskälte, bei Temperaturen unterhalb von minus 200 Grad Celsius.
"Diese Kühlung verursacht natürlich technische Problem. Deshalb arbeiten wir an Supraleitern, die bei Raumtemperatur funktionieren und keine Kühlung mehr brauchen. Die Frage ist: Kann es so was geben, oder ist das nur ein Traum?"
An dieser Stelle kommt die kleine Hochdruckpresse von Mikhail Eremets ins Spiel. Denn presst man bestimmte Materialien stark zusammen, verbiegen sich die Kristalle derart, dass die Supraleitung schon bei relativ hohen Temperaturen einsetzt. Vor einiger Zeit versuchten es die Mainzer mit einem neuen Material – mit Lanthanhydrid, einer Verbindung aus Wasserstoff und dem Metall Lanthan.
"Normalerweise ist Lanthanhydrid kein Supraleiter. Aber als wir es auf 1,5 Millionen Bar zusammenpressten, setzte plötzlich bei minus 23 Grad Celsius die Supraleitung ein. Also schon ziemlich nah an der Raumtemperatur – es gibt Gegenden auf der Erde, wo es regelmäßig so kalt ist."
Zeigen , was möglich ist
Ein neuer Weltrekord, der bisherige Wert lag bei minus 70 Grad Celsius. Und der nächste Sprung scheint schon in Reichweite.
"Manche Theorien sagen voraus, dass man mit einem ähnlichen Material, mit Yttriumhydrid, noch höhere Temperaturen erreichen kann. Daran arbeiten wir jetzt, und wir hoffen, damit Raumtemperatur zu schaffen, also plus 25 Grad."
Das wäre sicher ein Durchbruch, aber für technische Anwendungen noch ohne Belang – wer würde seine Geräte schon bei einem Druck von einigen Millionen Atmosphären betreiben wollen? Für die Fachwelt hat der neue Rekord dennoch seinen Wert:
"Wir haben gezeigt, was möglich ist – und inspirieren dadurch die Theoretiker, neue Modelle und neue Ansätze zu entwickeln."
Die unter Hochdruck stehenden Kristalle der Rekord-Supraleiter sind analysiert. Und es gibt auch schon Ideen, wie man ähnliche Kristallformen herstellen könnte, die ohne Kühlung und ohne Hochdruck funktionieren. Bestimmte Formen von Kohlenstoff gelten als Kandidaten. Mikhail Eremets jedenfalls will diesen Ideen nun folgen – und dürfte nichts dagegen haben, wenn er bald neue Rekorde vermelden kann.