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Sure 12 Vers 42
Die Josefs-Erzählung

Die Geschichte von Josef in Ägypten ist aus Bibel und Thora bekannt. Der Koran erzählt sie auf seine eigene Weise und lässt mehrere Schlussfolgerungen daraus zu.

Von Prof. Dr. Jaakko Hämeen-Anttila, Universität Edinburgh, Schottland | 19.10.2018
    "Und er sagte zu demjenigen von ihnen, von dem er annahm, dass er gerettet werden würde: ‚Erwähne mich bei deinem Herrn.‘ Und der Satan ließ ihn vergessen, seines Herrn zu gedenken. Darum blieb er etliche Jahre im Gefängnis."
    Sure 12 erzählt in groben Zügen die Geschichte des Propheten Josef, wie sie in der Bibel (im 1. Buch Mose Kapitel 37 bis 50) steht. Die Sure ist das einzige längere Korankapitel, das ausschließlich einer Erzählung gewidmet ist. Alle anderen Kapitel umfassen verschiedene, zusammenhangslose Geschichten.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Als Josef in Ägypten eingekerkert ist, deutet er die Träume seiner Mitgefangenen. Das sind der Mundschenk und der Bäcker des Pharao. Josef nimmt an, dass der Mundschenk freikommen wird. Er bittet ihn, den Pharao daran zu erinnern, dass er zu Unrecht im Gefängnis sei. Aber nichts passiert. Josef bleibt noch lange inhaftiert.
    Als der Pharao schließlich von Josefs Fähigkeit zur Traumdeutung erfährt, kommt er frei. Josef interpretiert die Träume des Herrschers und wird so zu einem mächtigen Mann in Ägypten.
    Jaakko Hämeen-Anttila
    Jaakko Hämeen-Anttila ist seit 2016 Professor für Arabistik und Islamwissenschaft, zunächst an der Uni Helsinki, seit 2016 in Edinburgh. (priv.)
    Den Grund für Josefs verzögerte Freilassung nennt Teil zwei unseres Verses: "Und der Satan ließ ihn vergessen".
    Nur was? Der Vers im arabischen Original ist doppeldeutig. Gemeint sein könnte: der Satan ließ den Mundschenk vergessen, "seines Herrn zu gedenken" - also Gott - oder Josefs Fall beim Pharao zu erwähnen. Dies wäre die einfachste Lesart.
    Das Wort "Herr" taucht in unserem Vers zweimal auf. Während es im ersten Fall eindeutig für den Pharao, den Herrn des Mundschenks, steht, könnte es im zweiten Fall sowohl für Pharao als auch für Gott stehen. Möglich ist somit noch ein drittes Verständnis: Josef versäumt es, seinen Herrn, sprich Gott, zu erwähnen.
    Diese Lesart wird meist von Theologen bevorzugt, denn der Koran gebraucht das Wort Herr üblicherweise für Gott. Auch in der späteren Literatur wird es im Sinn von "Gebieter" zumeist vermieden.
    Zudem führen die klassischen Korankommentatoren ein starkes theologisches Argument an. Es besagt: Als Prophet Gottes hätte Josef auf ihn, nicht auf menschliche Helfer vertrauen sollen. Letztlich sei es Gott, der ihn aus dem Gefängnis befreit.
    Josefs Vater Jakob zum Beispiel setzt laut derselben Sure 12 sein Vertrauen stets in Gott. Jakob verhält sich damit, wie man es von einem Propheten erwarten würde. Josef bleibt folglich nicht wegen der menschlichen Unachtsamkeit eines Mundschenks im Gefängnis, sondern weil er für seine zwischenzeitliche Verfehlung als Prophet getadelt beziehungsweise bestraft wird.
    Dahinter steckt ein erzieherisches Motiv. Der Koranleser lernt: Vertraue auf Gott, nicht auf menschliche Instanzen! Sich auf sie zu verlassen, hilft einem nicht aus den Schwierigkeiten heraus. Im Gegenteil. Es könnte sie verlängern.
    Unser Vers enthält noch ein weiteres theologisch problematisches Wort: arabisch "zanna". Der Begriff wird normalerweise im Sinne von "etwas annehmen/vermuten" benutzt - häufig mit dem Beiklang, etwas Falsches annehmen.
    Als Prophet und göttlich inspirierter Traumdeuter hätte Josef jedoch "wissen" müssen, dass der Mundschenk freigelassen werden wird. Er hätte es nicht bloß "annehmen" dürfen.
    Gelöst wurde das Problem durch Korankommentare und Wörterbücher - und zwar indem sie definieren: "Zanna" könne in Ausnahmefällen wie etwa in diesem Koranvers die Bedeutung "etwas sicher wissen" haben. Unser Vers ist somit ein gutes Beispiel dafür, wie die Theologie mitunter die Lesart des Korans inspiriert hat.
    Die Audioversion musste aus Sendezeitgründen leicht gekürzt werden.