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Sure 2 Vers 218
Die Bedeutung von Dschihad

Das Wort Dschihad wird meist mit Heiliger Krieg in Verbindung gebracht. Ein Blick in den Koran zeigt, der Gedanke der Kriegsführung steckt eigentlich in zwei anderen arabischen Wörtern. Was ist passiert?

Von Prof. Dr. Reuven Firestone, Hebrew Union College, Los Angeles, USA | 28.12.2018
    "Wer glaubt, auswandert und sich auf dem Weg Gottes mit aller Kraft einsetzt ["dschâhadû"], hat Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit."
    Geht man nach der Ordnung der Suren im Koran, wird an dieser Stelle erstmals das Wort "dschihâd" gebraucht.
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    Den arabischen Lexikographen zufolge lautet seine Grundbedeutung: "sich besonders" oder "eifrig anstrengen". Im Arabischen wird die Grundform eines Wortes als Verb in der 3. Person Einzahl männlich angegeben. Sie besteht aus drei Buchstaben – den sogenannten Radikalen. Hier: "dsch[îm]", "h[â]" und "d[âl]". Das daraus gebildete Wort "dschihâd" drückt eine gegenseitige Handlung aus oder bezieht eine Handlung auf etwas anderes.
    "Dschihâd" bedeutet mithin, seine größte Anstrengung hinsichtlich etwas aufzubringen, das in der Regel als ethisches oder moralisches Unrecht definiert ist. Solche Anstrengungen können vom Einsatz gegen das schlechte Verhalten anderer Menschen im Sinne einer Gemeinschaftsverantwortung bis hin zum persönlichen Ringen mit den eigenen bösen Neigungen reichen.
    Porträt
    Reuven Firestone ist ein amerikanischer Rabbi und Koranexeperte. (priv.)
    "Dschihâd" steht manchmal für das Bemühen zur Überwindung der eigenen Drogensucht, manchmal für das Ringen mit sich, um trotz Aggressionen mitfühlend zu bleiben, oder zum Beispiel auch für die große Anstrengung, seine Familie selbst in Zwangslagen zu schützen und zu versorgen. Gerade das erhält in unserem historischen Moment, in dem viele Familien unter schrecklichen und gewaltsamen Umständen gezwungen sind, aus ihren Ländern zu flüchten, eine ganz besondere Ausprägung.
    Der Begriff "Dschihâd" kann demzufolge zahlreiche Bedeutungen annehmen und auf eine Vielzahl verschiedener Handlungsformen angewendet werden.
    Dass er religiös aufgeladen ist, erklärt sich leicht. Denn er steht für die grundlegendste ethische Botschaft von Religion: Strebt danach, das Gute zu tun, indem ihr das Böse überwindet!
    Zudem steht das Wort "dschihâd" im Koran oft in Verbindung mit der Formulierung "auf dem Weg Gottes" - arabisch: "fî sabîl allâh"; mein also: sich besonders auf dem Weg Gottes anstrengen.
    Linguistisch betrachtet hat das Wort "dschihâd" keinerlei Verbindung zum Gedanken der Kriegsführung. Diese Bedeutung steckt in zwei anderen arabischen Wörtern: "qitâl" und "harb". Ersteres ist im Koran die gängigste Bezeichnung für Kampfhandlungen.
    Wie kam es nun dazu, dass das Wort "dschihâd" im post-koranischen Schrifttum und Rechtswesen für einen religiös legitimierten Krieg steht? Konflikte zwischen Völkern, Religionen und Einzelpersonen sind Teil des Lebens. Der Koran erkennt das an. In Sure 22 Vers 40 heißt es: "Und hätte Gott nicht [manche] Menschen, die einen durch die anderen zurückgehalten, zerstört worden wären Klöster, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen der Name Gottes oft genannt wird."
    Manchmal werden Konflikte also gewaltsam ausgetragen. Zwar lassen sich auch andere Mittel zur Beilegung von Streitigkeiten im Koran finden - zum Beispiel das der Diskussion oder Argumentation (Sure 15 Vers 25; 29:46). Einige Verse aber, in denen Gott zur Anstrengung drängt, legen tatsächlich ein militärisches Bemühen im Namen der Gemeinschaft der Gläubigen nahe. Oder sie befehlen es sogar - etwa in Sure 60 Vers 1, wo es heißt: "Wenn ihr in der Absicht, um meinetwillen Krieg zu führen..., ausgezogen seid".
    Dieser Versteil steht im Kontext der Abwehr von Feinden, die darauf aus sind, der Gemeinschaft der Gläubigen zu schaden (siehe auch Sure 9 Vers 41). Obwohl der arabische Begriff "qitâl" weit häufiger vorkommt und für Kampfhandlungen verschiedener Art benutzt wird, wurde somit die Idee einer heiligen Anstrengungen insbesondere im Namen Gottes und der Religion mit dem deutlich weniger verbreiteten Begriff "dschihâd" verknüpft. In der post- koranischen Tradition entwickelte sich der Begriff zu einem Euphemismus für göttlich autorisierte Gewalt; auch wenn er niemals auf diesen Sinn beschränkt worden ist.
    Die Audioversion musste aus Sendezeitgründen leicht gekürzt werden.