Donnerstag, 28. März 2024

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Sure 33 Vers 59
Die Verhüllung der Frau

Das islamische Kopftuch ist ein immer wiederkehrender Konfliktstoff unter Muslimen wie Nicht-Muslimen. Schon seit jeher haben Gelehrte in dieser Religion über die Verhüllung der Frau gestritten - aber anders als wir das heute tun.

Von Prof. Dr. Mona Siddiqui, University of Edinburgh, Schottland | 28.07.2017
    "Prophet! Sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie mögen einen Teil ihres Überwurfs über sich herunterziehen. So werden sie eher erkannt und nicht belästigt."
    Der Vers ist an den Propheten Mohammed gerichtet. Die Regelung darin wurde getroffen, um gläubige Frauen unterscheidbar zu machen. Sie sollten bereits an ihrer Kleidung erkennbar sein, damit sie auf den Straßen Medinas nicht belästigt werden.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Es geht hier also ganz konkret um das Erscheinungsbild gläubiger Frauen, um ihre äußeren Kleidungsstücke. Der Vers hat nichts damit zu tun, Frauen auszuschließen oder ihre persönliche Bewegungsfreiheit einzuschränken.
    Der arabische Begriff für den erwähnten Überwurf lautet "dschilbâb". Für die meisten klassischen Koran-Kommentatoren ist damit eine Oberbekleidung gemeint. Wie genau diese damals ausgesehen hat, weiß man heute nicht mehr.
    Mona Siddiqui steht auf einer alten Steintreppe.
    Mona Siddiqui ist eine bekannte und vielgefragte Koran- und Islam-Expertin in Großbritannien. (Callum Bennetts / Maverick Photo Agency)
    Der Vers wird gewöhnlich in Verbindung mit anderen Koranversen gelesen, in denen es ebenfalls um die Frauen des Propheten geht. Zum Beispiel mit Vers 53 derselben Sure 33. Dort heißt es: "Wenn ihr die Frauen des Propheten um etwas bittet, so tut das hinter einem Vorhang!"
    Der Vers empfiehlt also eine Schutzwand beziehungsweise einen Vorhang, arabisch: "hidschâb". Er sollte zwischen den Frauen des Propheten sein und denjenigen, die sein Haus betreten.
    Der Gebrauch der Wörter "dschilbâb" und "hidschâb" im Koran sowie die späteren Diskurse in der Koran-Auslegung ("tafsîr") und dem islamischen Recht ("fiqh") haben zu vielen unterschiedlichen Meinungen geführt. Man stritt sich darüber, welche genauen Kriterien die weibliche Verhüllung beziehungsweise Verschleierung hat und welche Gründe es für sie gibt.
    Dabei ging es vor allem um die Unterscheidung der jeweiligen Adressaten in den verschiedenen Versen. Einige richten sich nämlich explizit an die Frauen des Propheten. Andere Verse raten allen gläubigen Frauen, sich verdeckende Kleidung zuzulegen.
    Sowohl klassische als auch zeitgenössische Gelehrte fragten sich, ob das, was den Frauen der Propheten vorgeschrieben sei, später auch für alle muslimischen Frauen angeordnet werden müsse. Oder ob die Frauen des Propheten eine Sondergruppe darstellten, für deren Schutz es besonders wichtig gewesen sei, eine stärkere Abschirmung vor starrenden Blicken der Öffentlichkeit sicherzustellen.
    Nur sehr selten haben sich klassische Koran-Kommentare damit befasst, wie die weibliche Bekleidung genau auszusehen hat und was eine Frau auf der Straße zeigen soll und was nicht.
    Unterschiedliche Ansichten zum Thema liefern auch die Hadith-Werke. Das sind Sammlungen, in denen Mohammeds Aussagen und Verhaltensweisen überliefert werden. Allerdings gibt es nur wenige Hinweise auf die weibliche Verhüllung in den kanonischen Hadith-Werken von Muhammad al-Bukhârî und Abû Dâwûd.
    Aus ihnen entsteht aber dennoch der Gesamteindruck, dass sich erwachsene Frauen im Nahen Osten in der Öffentlichkeit schon immer bis zu einem gewissen Grad verhüllt hatten. Nach der Entstehung des Islams wurde dies dann als eine Art Sittsamkeit weiter befördert.
    In den Debatten ist ferner von physischen Grenzen und von Etikette unter Männern und Frauen, Gläubigen und Nichtgläubigen die Rede. Unter diesem kulturellen Aspekt fragte man sich, ob die Verhüllung auch eine Möglichkeit bot, sowohl bestimmte Ideale des sich Abhebens von anderen als auch der Sittsamkeit innerhalb der Geschlechtergrenzen zu bewahren.
    De facto schärften damals die konkreten Hinweise im Koran auf die Bekleidung letztlich die Grenzziehung zwischen der breiten Gesellschaft und der im Entstehen begriffenen muslimischen Gemeinschaft.
    Die Audio-Version musste aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzt werden.