Freitag, 29. März 2024

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Sure 37 Verse 6-8
Satan und der Oberste Rat der Engel

Es gibt im Koran einen irritierenden Vers. Er besagt, dass es im Himmel einen Obersten Rat gebe. Wie kann das sein, wo doch Gott allein der Souverän ist und die absolute Weisheit besitzt? Die Antworten führen in die Kosmologie der semitischen Völker im Altertum.

Von Dr. Massimo Campanini, Universität Trient, Italien | 13.07.2018
    "Wir haben den unteren Himmel mit dem Schmuck der Sterne versehen und schützen ihn vor jedem rebellischen Teufel. Sie hören nicht auf den Obersten Rat und werden von allen Seiten her beworfen."
    Diese Koranverse sind ziemlich seltsam und außergewöhnlich. Für das Wort Teufel wird im arabischen Original der Begriff "schaitân" genutzt. Zu deutsch: Satan. Das ist hier kein Eigenname, sondern eine Gattungsbezeichnung.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Ein erstes Problem ergibt sich durch den Ausdruck "Oberster Rat" - arabisch: "al-mala' al-a'lâ". Ich folge hier der Übersetzung des britischen Orientalisten Arthur Arberry. Mein Kollege Muhammad Abdel-Haleem indes übersetzt: "Oberste Versammlung". Die Bedeutung ist im Wesentlichen dieselbe. Das Wort "al-mala’" taucht aber auch in Sure 38 Vers 6 auf. Und während Arberry wieder mit "Rat" übersetzt, spricht Abdel-Haleem hier von "Führern", sodass die Bedeutung dieses Mal nicht dieselbe ist. Der Sachverhalt bleibt letztlich ungeklärt: Von welchem Obersten Rat, von welcher Führerversammlung ist die Rede?
    Das zweite Problem ergibt sich aus der Formulierung "beworfen werden". Wer wird beworfen? Von wem? Allem Anschein nach geht es um die Teufel. Die Teufel hören nicht auf den Obersten Rat und werden von allen Seiten von etwas getroffen (oder geschlagen).
    Porträt von Campanini mit Mikro in der Hand.
    Massimo Campanini aus Italien gehört zu den führenden Koran-Kennern. (priv. )
    Zudem fragt man sich, wer die führenden Personen, die den Obersten Rat ausmachen, sind? Eine Erklärung könnte sein, dass es sich um Engel handelt. Es ist weithin bekannt, dass einer der höchsten Engel, Lucifer beziehungsweise Iblîs, wie er im Koran heißt, rebellierte und zu Satan wurde; hier ist es ein Eigen- und kein Gattungsname.
    Satan und seine Anhänger wurden aus dem Paradies vertrieben und damit wohl auch aus dem Obersten Rat. Nach dem Fall der Teufel hören diese offenbar weiterhin der Engels-Versammlung zu, werden aber von allen Seiten beworfen. Spähen die Teufel nun die Entscheidungen des Engels-Rats aus? Sind die Teufel neidisch? Sei’s drum, anscheinend besagt der Koran, dass es in den Himmeln einen Obersten Rat der Engel gibt.
    Die koranische Lehre von den Engeln und Dämonen ist sehr komplex. An dieser Stelle reicht es, daran zu erinnern, dass die Engel mitunter eine gewissermaßen "kompakte Gruppe" bilden und geschlossen handeln.
    Sure 2 Vers 30 zum Beispiel erzählt von einer Rebellion der Engel: Als Gott sie darüber informiert, dass er Adam als seinen "Kalifen" beziehungsweise Stellvertreter oder Statthalter einsetzen wird, protestieren sie, der Mensch sei unvollkommen und boshaft. Sofort stoppt Gott die Klagen der Engel und befiehlt ihnen, sich vor Adam zu verbeugen. Alle Engel gehorchen, bis auf Iblîs. Er rebelliert. Gott bestraft ihn, er wird zum Satan.
    Dieses himmlische Drama wirkt aufwühlend angesichts der einzigartigen und absoluten Souveränität Gottes. Zudem scheint der Oberste Rat beziehungsweise die Oberste Versammlung unabhängig von Gott zu sein, sofern Gott nicht den Vorsitz innehat.
    Der Korantext bietet mit diesen Versen einen flüchtigen Blick auf die Kosmologie der semitischen Völker im Altertum. Bei diesen Kosmologien, ob in Babylon oder Ägypten, bilden die Götter eine oberste Versammlung: Sie sitzen zusammen, um über das Schicksal der Menschen zu entscheiden und die Ordnung des Universums zu kontrollieren. Der oberste Gott hat den Vorsitz der Versammlung.
    Anscheinend wird im Koran eine ähnliche Situation beschrieben. Der Koran offenbart den erzielten Monotheismus, aber der Weg zu dieser letzten Stufe der Religion war lang und verworren. Auch die Geschichte des alten Israels zeigt: Der Monotheismus entwickelte sich zunächst aus dem Henotheismus, bei dem es einen obersten und mehrere untergeordnete Götter gibt, und dann aus der Monolatrie, bei der zwar örtlich nur ein einziger Gott verehrt wird, die Existenz weiterer aber nicht ausgeschlossen wird. Die Spuren dieser Entwicklung kommen im Koran zum Vorschein.
    Die Audioversion musste aus Sendezeitgründen leicht gekürzt werden.