Mittwoch, 17. April 2024

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Sure 4 Vers 15
Todesstrafe: Steinigung

Sie gehört zu einer der schlimmsten Strafen der Menschheitsgeschichte - die Steinigung. Wenn es heutzutage Meldungen über ihre Anwendung gibt, kommen sie oftmals aus islamisch geprägten Ländern. Welche religiöse Grundlage hat diese Form der Todesstrafe in der wichtigsten Quelle des Islams?

Von Prof. Dr. Ruud Peters, Universität Amsterdam, Niederlande | 07.04.2017
    "Und die von euren Frauen, die Unzucht treiben […], so haltet sie im Haus, bis sie der Tod hinwegnimmt oder Gott für sie einen Ausweg schafft."
    Der Koran umfasst nur zwei Verse über die Bestrafung von Unzucht, also Geschlechtsverkehr außerhalb des Ehestands. Und diese widersprechen sich. Den ersten Vers haben wir gerade gehört. Der zweite ist Sure 24 Vers 2. Dort heißt es: "Der Ehebrecher und die Ehebrecherin, peitscht jeden von beiden mit hundert Peitschenhieben aus!"
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Da sich der Wortlaut beider Texte durch Interpretation nicht in Einklang bringen lässt, griffen die Gelehrten auf das Auslegungsinstrument der Abrogation zurück. Das bedeutet: Da der zweite Vers später offenbart wurde, hebt er den eingangs zitierten Vers 15 aus Sure 4 auf. Sure 24 Vers 2 wird somit maßgeblich und bestimmt die Auspeitschung als Strafe für einen widerrechtlichen Geschlechtsakt.
    Trotzdem war für Unzucht auch die Steinigung als eine Form der Todesstrafe vorgesehen. Die Steinigung gehörte zu den markanten Merkmalen des Strafrechts innerhalb der Scharia - dem göttlichen Gesetz im Islam. Fast alle religiösen Gelehrten in vormoderner Zeit waren sich einig, dass die Steinigung angewendet wird, wenn Frauen und Männer, die schon einmal verheiratet waren oder es immer noch sind, unrechtmäßigen Geschlechtsverkehr gehabt hatten. Lediglich Schuldige, die noch nie verheiratet waren, mussten den Gelehrten zufolge mit hundert Peitschenhieben bestraft werden. Interessant ist nun: die Strafe der Steinigung ist nirgends im Koran belegt.
    Ruud Peters sitzt im Freien an einem Restaurant-Tisch vor einem Glas Bier.
    Ruud Peters zählt zu den weltweit renommiertesten Kennern des islamischen Strafrechts. (priv. )
    Die Gelehrten beriefen sich für ihren Standpunkt auf die Handlungsweise des Propheten Mohammed, die Sunna, die in verschiedenen Hadithen überliefert wird. Demnach hat Mohammed Steinigungsstrafen verhängt.
    Dieser Hinweis warf jedoch ein interpretatorisches und rechtliches Problem auf: Hadithe werden im Vergleich zum Koran als untergeordnet betrachtet. Sie können also keine Koranverse aufheben.
    Um die Rechtmäßigkeit der Steinigung dennoch aufrechtzuerhalten, führten die islamischen Rechtsgelehrten zwei Begründungen an. Die erste basiert auf zwei Überlieferungen. Es gibt einen Bericht des zweiten Kalifen Umar, wonach ein offenbarter Koranvers über die Steinigung verlorengegangen sein soll. Allerdings gilt dieser Bericht als wenig authentisch.
    Zudem existiert aber auch ein Hadith, den Mohammeds Witwe A’ischa überliefert hat. Er erzählt ebenfalls von der Existenz eines solchen Steinigungsverses. Es heißt, er sei auf einem Stück Papier notiert gewesen und das habe eine Ziege gefressen. Beiden Überlieferungen zufolge würde letztlich ein Koranvers einen anderen abrogieren. Die Interpretations- und Rechtstheorie wäre somit gerettet.
    Die zweite Begründung der Rechtsgelehrten basiert auf dem schlüssigen Argument, dass es sich bei der Handlungsweise des Propheten hinsichtlich der Steinigung statt um eine Abrogation um eine Einschränkung von Sure 24 Vers 2 handele: Die Peitschenstrafe wurde demnach nicht aufgehoben, sondern blieb weiterhin allgemeine Vorschrift für widerrechtlichen Sex. Die Handlungsweise des Propheten bestimmt derweil nur für jene eine Ausnahme, die verheiratet sind oder waren, indem sie das Strafmaß auf Tod durch Steinigung heraufsetzt.
    Als im 20. Jahrhundert das Strafrecht in einigen Ländern islamisiert wurde, lehnte der Gesetzgeber in Libyen und die obersten Richter in Pakistan die Steinigung als vom Koran nicht legitimiert ab. Das libysche Gesetz über die Bestrafung der Unzucht (arabisch: zinâ) von 1973 belegte unterschiedslos alle Täter mit Auspeitschung.
    Das pakistanische Bundesschariagericht hielt 1981 fest: Die zwei Jahre zuvor durch das Gesetz zum "Verstoß gegen die zinâ-Verordnung" eingeführte Steinigung stehe im Widerspruch zu den rechtlichen Verfügungen des Islams. Leider beanstandete Pakistans Staatsführung dieses Urteil, ersetzte einige Richter, und danach wurde es wieder aufgehoben.
    Die Audioversion wurde aus Sendezeitgründen leicht gekürzt.