Donnerstag, 18. April 2024

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Sure 55 Verse 46-75
Warum das Paradies ein Garten ist

Das Paradies wird höchst kunstvoll im Koran beschrieben. Gartenarchitekten ließen sich über Jahrhunderte davon inspirieren - etwa für die Anlagen rund ums berühmte Taj Mahal in Indien. Umgekehrt stellt sich die Frage, was den Urheber des Korans dazu inspiriert haben mag, das Paradies als Garten zu beschreiben? Vielleicht die syrische Stadt Damaskus?

Von Prof. Dr. Nasser Rabbat, Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA | 22.09.2017
    "Den wahren Gläubigen sind zwei Gärten zugedacht,
    die voller Arten sind,
    dort sind zwei Brunnen, welche sprudeln,
    in beiden ist von allen Früchten in Paaren.
    Auf Ruhepolstern lehnen sie, mit Decken aus Brokat; und zum Greifen nah sind
    beider Gärten Früchte.
    Unter diesen beiden drunter sind zwei weitere Gärten.
    von dunklem Grün,
    in beiden sind zwei Brunnen, reichlich sprudelnd,
    in beiden sind Früchte, Palmen und Granatapfelbäume."
    Der Koran beschreibt den himmlischen Garten, arabisch al-Dschanna oder al-Firdaus genannt, in mehreren Versen verstreut über den gesamten Text. Die kunstvollste Passage, aus der gerade einige Auszüge zitiert wurden, findet sich in Sure 55. Die Sure heißt "al-Rahmân" - "Der Barmherzige". Im Original werden diese Verse stets durch einen Refrain unterbrochen, der im Eingangszitat aus Zeitgründen weggelassen wurde. Jeder zweite Vers dieser Passage lautet: "Ja, welche Gnadengaben eures Herrn wollt ihr beide denn leugnen?.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Der Refrain zielt darauf ab, die Zweifler herauszufordern. Das Verb "leugnen" steht laut arabischer Grammatik in der Dualform. Hier werden damit zwei Spezies angesprochen: der Mensch und die nach islamischem Glauben von Gott erschaffenen übernatürlichen Wesen namens Dschinn.
    Die Dualform von "leugnen" lautet "tukadhdhibân" und hat die Endung "-ân". Sie reimt sich auf den Namen der Sure "al-Rahmân". Die Dualform wird über die gesamte Passage beibehalten. Alle Zeilen enden somit auf "-ân", im Refrain steht das Verb "tukadhdhibân" am Ende.
    Nasser Rabbat vor dem Bild "Le desert" von Guillaumet im Musée d'Orsay.
    Nasser Rabbat vor dem Bild "Le desert" von Guillaumet im Musée d'Orsay. (priv.)
    Gemäß dem Inhalt dieser Koranstelle gibt es die himmlischen Gärten paarweise, jeder mit fließendem oder sprudelndem Wasser. Sie erscheinen wie dichtgedrängte Obstgärten, in denen Liegestätten für die wahren Gläubigen stehen. Sie müssen nur hinreichen, um die Früchte zu pflücken.
    Als Abbild des Paradieses gilt der persische Gartentyp Tschahār Bāgh - zu Deutsch: vier Gärten - beziehungsweise der Entwurf eines Gartens mit zwei sich kreuzenden Achsen. Nimmt man nun die Darstellung des Koranabschnitts wörtlich, was viele Kommentatoren tun, ähnelt sie dieser Form gar nicht. Es ist zwar auch von vier Gärten die Rede, die Verse beschreiben aber jeweils zwei unterhalb von einander und implizieren somit einen Wechsel der Ebenen. Das lässt sich mit der flächigen Anordnungder Tschahār Bāgh kaum vergleichen. Auch die Wasserquelle im Zentrum steht der koranischen Erwähnung von vier Brunnen entgegen.
    Nun, dualistisch hin oder her, die Worte des Korans müssen für die ersten Hörer verständlich gewesen sein. Andernfalls hätten sie keine Wirkung entfaltet. Wie konnten also die Hörer der Botschaft, die ja überwiegend im ariden und kargen Mekka lebten, das Bild des koranischen Gartens kennen?
    Pilger in orangenen Kutten im der Gartenanlage des Taj Mahal.
    Die Gartenanlage des Taj Mahal gehört zu den berühmtesten Beispielen für die persische Gartenform des Tschahar Bagh. (imago )
    Eine Möglichkeit sind volkstümliche Geschichten über die Gärten des Jemen vor dem Bruch des berühmten antiken Staudamms von Ma’rib und der Überflutung des Landes.
    Eine weitere sind Erzählungen über die Oasenstadt Palmyra, bekannt für ihre Gärten, oder über Damaskus, ebenfalls berühmt für Streuobstwiesen und Gartenanlagen, die die Stadt umsäumen und die man unter dem Namen Ghûta kennt. Dazu gibt es eine verbreitete Geschichte vom Propheten Mohammed. Er war als Heranwachsender nach Syrien gereist. Als er das Grün von Damaskus erblickte, weigerte er sich die Stadt zu betreten und sagte: "Man sollte nur einmal ins Paradies eintreten."
    Wegen der Frische ihrer Obstgärten ist für Damaskus noch heute der Beiname "al-Fayḥāʾ" - "Die Duftende" geläufig. Der Geograph und Reisende Ibn Dschubair, der 1184 nach Damaskus kam, schrieb:"Die Stadt hat sich mit süß duftenden Kräutern geschmückt." "Sie ist von Gärten umgeben wie der Mond von seinem Lichthof."
    Gut möglich, dass ein solch stimmiges Bild die ersten Muslime einst davon träumen ließ, das Verweilen in einem Garten müsse die höchste Form göttlicher Belohnung sein. Ein Beleg für die Haltung ist zumindest der Koran - unsere sicherste historische Quelle für die Frühzeit des Islams.
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.