Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Sure 6 Vers 145
Das Schweinefleisch-Verbot im Islam und seine Bedeutung

Dass Muslime kein Schweinefleisch essen dürfen, ist ein prominentes Beispiel für Speisevorschriften; wobei die Gründe dafür umstritten sind. Speisevorschriften gibt es in vielen Religionen - auch im Christentum. Aber wie Nicolai Sinai von der Oxford University zeigt, geht es dabei nicht zwangsläufig um den Genuss eines Produkts, wie man meinen könnte.

Von Dr. Nicolai Sinai, Oxford Universität, England | 16.11.2018
    "Sprich: Ich finde in dem, was mir eingegeben worden ist,
    nichts, das jemandem zu essen verboten wäre,
    außer Verendetem und ausgegossenem Blut und Schweinefleisch –
    denn es ist unrein –
    oder Gräuel, über den anderes als Gott angerufen wurde.
    Doch wenn jemand sich in einer Zwangslage befindet,
    ohne Begehrlichkeit zu hegen und eine Übertretung zu begehen –
    nun, dein Herr ist vergebungsbereit und barmherzig."
    Der gerade vorgetragene Vers ist eine von vier Koranstellen, die mit fast identischen Worten eine Reihe grundsätzlicher Speiseverbote aufstellen: Untersagt sind der Genuss von verendeten Tieren, von Blut, von Schweinefleisch sowie von Nahrungsmitteln, die anderen Wesen als Gott geweiht wurden.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Daran schließt sich jeweils eine Härteklausel an, die in Notlagen eine Übertretung der aufgestellten Verbote gutheißt. Dies unterstreicht den Anspruch des Korans, Verhaltensregeln aufzustellen, deren Einhaltung den Menschen nicht überfordert: "Gott will es euch leichtmachen, nicht schwer", heißt es in Sure 2 Vers 185 im Zusammenhang mit einer ähnlichen Härteklausel, die Kranken und Reisenden ein Verschieben des Fastenmonats erlaubt.
    Dass der Koran immer wieder die Leistbarkeit der von ihm aufgestellten Verhaltensregeln unterstreicht, hat durchaus auch eine polemische Dimension. Das lässt sich gut am eingangs zitierten Vers zeigen, dem eine Stellungnahme zu den sehr viel komplizierteren jüdischen Speisevorschriften folgt. Der Koran erkennt diesen zwar einen göttlichen Ursprung zu, stellt sie jedoch nicht als göttlichen Gnadenerweis sondern als göttliche Strafe dar. Im Hintergrund dürfte ein auch aus christlichen Texten vertrauter Gedanke stehen: Die beschwerlichen Vorschriften des mosaischen Gesetzes sind als Vergeltung für die Anbetung des Goldenen Kalbes zu verstehen.
    Nicolai Sinai mit einem aufgeschlagenen Buch.
    Nicolai Sinai lehrt Islamwissenschaft an der renommierten Oxford-University in England. (Foto: N.Sinai)
    Einen mit der Bibel vertrauten Leser wird die Viererliste koranischer Speiseverbote unweigerlich an eine Stelle aus der neutestamentlichen Apostelgeschichte erinnern. Die Jünger beraten dort, ob zum Christentum bekehrte Heiden sich dem mosaischen Gesetz zu unterwerfen hätten. Am Ende wird beschlossen, dass Heidenchristen sich lediglich "enthalten sollen vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Unzucht".
    Sowohl die Apostelgeschichte als auch der Koran untersagen also – im Einklang mit dem Alten Testament – den Genuss von Blut und weisen darüber hinaus noch weitere Parallelen auf.
    In einem Punkt jedoch geht der Koran in auffälliger Weise über die apostolischen Speisevorschriften hinaus, indem er nämlich den Verzehr von Schweinefleisch verbietet.
    Der Enthaltung von Schweinefleisch kam in der spätantiken Welt ein beträchtlicher Symbolwert zu: Sie signalisierte das Halten mosaischer Speisevorschriften und damit eine jüdische Identität. Eine vorkoranische christliche Gemeindeordnung verurteilt die Lehre, Christen hätten Schweinefleisch zu meiden, deshalb geradezu als ketzerisch.
    Der zitierte Koranvers wählt insofern einen gezielten Mittelweg zwischen den viel umfassenderen Vorschriften des jüdischen Gesetzes und dem weitgehenden Verzicht des Mehrheitschristentums auf jegliche Regulierung von Speisegewohnheiten. Der Koran etabliert so eine neue, von Juden und Christen gleichermaßen abgegrenzte Gemeindeidentität: Wer kein Schweinefleisch verzehrt, sich ansonsten jedoch nicht an das jüdische Speisegesetz hält, ist bereits an seinem alltäglichen Lebenswandel als Mitglied einer von Judentum und Christentum unterschiedenen Religionsgemeinschaft zu erkennen.