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Sure 60 Vers 4
Abraham und die Dschihadisten

Dieser Tage steht Abraham wieder im Zentrum muslimischer Frömmigkeit. Muslime feiern das Opferfest, das an ihn erinnert. "Ein schönes Vorbild habt ihr an Abraham", heißt es im Koran. Dschihadisten benutzen den Vorvater von Juden, Christen und Muslimen aber auch zur religionspolitischen Mobilisierung. Das geben die Verse nicht her.

Von Dr. Orhan Elmaz, Universität St. Andrews, Schottland | 24.08.2018
    "Ein schönes Vorbild habt ihr an Abraham und denen, die mit ihm waren. Damals, als sie zu ihren Leuten sagten: 'Wir sind unschuldig an euch und an dem, was ihr außer Gott verehrt. Wir wollen nichts von euch wissen. Feindschaft und Hass sind zwischen uns offenbar geworden für alle Zeiten, solange ihr nicht an Gott allein glaubt.'"
    Das ist die erste Hälfte des Verses 60:4. Sie liefert ein Schlüsselkonzept in der Ideologie moderner Dschihadisten. Sie lesen daraus sogar die Erlaubnis, muslimische Staatsoberhäupter zu bekämpfen. Die Idee, diesen Vers zur religionspolitischen Mobilisierung zu benutzen, ist recht alt.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Was als unmögliche Freundschaft oder offene Feindschaft mit Andersgläubigen interpretiert wird, ist eigentlich eine Episode aus dem Leben des Propheten Abraham - oder Ibrahim wie er im Arabischen genannt wird. Diese Episode dient ganz klar als Rat für die ersten Gläubigen, um mit einer bestimmten Situation zurechtzukommen.
    Abraham ist ein sehr prominenter Prophet, der laut Koran die Kaaba in Mekka erbaut hat. Angesichts seiner "vollständigen Hingabe an Gott" gilt er zudem als Inbegriff des strengen islamischen Monotheismus. Die vielen Verweise auf den gemeinsamen Vorvater bringen den Islam auch auf Augenhöhe mit Christentum und Judentum.
    Orhan Elmaz vor einem islamischen Gebäude.
    Orhan Elmaz wuchs in Österreich auf und lehrt heute an der renommierten St. Andrews Universität. (priv.)
    Blickt man nun auf den Kontext dieses Verses, sieht man, dass sich Sure 60, welche der Tradition zufolge in Medina offenbart wurde, an die ersten Gläubigen wendet, die Zuneigung für manche sogenannte Gottesfeinde empfanden - und das, obwohl diese den Propheten Mohammed und die ersten Gläubigen aus Mekka vertrieben hatten.
    Auf was sich diese Verse konkret beziehen, erfährt man aus einem Hadith, also einer Überlieferung Mohammeds, und aus der Offenbarungsgeschichte dieser Sure 60. Sie wurde in Reaktion auf einen Prophetengefährten namens Hâtib offenbart.
    Nach dem Bruch des Waffenruheabkommens von Ḥudaybiya mit den henotheistischen Mekkanern im Jahr 628 erwägten die Muslime aus Medina kommend, Mekka zu erobern. Hâtibs Familie aber lebte in Mekka und gehörte nicht dem herrschenden Stamm der Quraisch an. Daher versuchte er, kurz vor der Eroberung Mekkas im Jahr 630 die Taktik des Propheten den Mekkanern zu verraten, um dadurch den Schutz und die Sicherheit seiner Familie zu erkaufen.
    Der Überlieferung zufolge wurden die schriftlichen Aufzeichnungen jedoch gefunden und dem Propheten Mohammed gebracht. Mohammed akzeptierte Hâtibs Furcht um seine Familie in Mekka als weltlichen Grund für dieses Verhalten. Er bezeichnete Hâtib ob seines Verrats an den Muslimen und seiner Zuwendung zu den Gottesfeinden nicht als Ungläubigen. Hâtib, ein Kriegsveteran der ersten Stunde, wurde verschont, da die Ursache dieses Verrats nicht Unglaube in seinem Herzen gewesen ist.
    Während Dschihadisten gerne Menschen auf Grund externer Faktoren als Ungläubige bezeichnen und sich diese zur Zielgruppe nehmen, gilt in der muslimischen Tradition das Herz als Sitz des Glaubens. Dessen Inhalt ist – bildlich gesprochen – der Außenwelt nicht immer bekannt. Das heißt, solange sich ein Muslim nicht offen vom Glauben lossagt, gilt er als Gläubiger.
    Die kriegerischen Auseinandersetzungen als Offenbarungskontext von Sure 60 schränken daher auch den Geltungsbereich dieses oft zitierten Grundsatzes des sich Fernhaltens von Andersgläubigen ein. Denn so eine Dissoziation war nur als Reaktion auf erduldetes Unrecht gedacht, was explizit in Vers 9 erklärt wird: "Gott verbietet euch nur, die zum Freund zu nehmen, die euch wegen eurer Religion bekämpften und euch aus euren Häusern vertrieben und bei eurer Vertreibung mitgeholfen haben. Wer sich sie zum Freund nimmt, der gehört zu den Frevlern."
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.