Donnerstag, 28. März 2024

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Sure 60 Verse 8-9
Gewalt - Der Koran vermeidet Pauschalurteile

Das Verhältnis von Muslimen und Nicht-Muslimen wird heutzutage von vielen Herausforderungen begleitet: Feindseligkeiten gibt es auf beiden Seiten. Schon der Koran hat sich zu den Fragen des Umgang miteinander positioniert. Dabei zeigt sich eine weitere seiner Facetten: die heilige Schrift der Muslime vermeidet Pauschalisierungen.

Von Prof. Dr. Mustansir Mir, Youngstown State University, Ohio, USA | 19.05.2017
    "Gott verbietet euch nicht, gegen diejenigen, die euch des Glaubens wegen nicht bekämpft und euch aus euren Häusern nicht vertrieben haben, gütig und gerecht zu sein. Gott liebt die Gerechten. Er verbietet euch nur, euch mit denjenigen zu verbünden, die euch des Glaubens wegen bekämpft, euch aus euren Häusern vertrieben und anderen bei eurer Vertreibung Beistand geleistet haben. Das sind die Ungerechten."
    Die beiden Verse thematisieren einen zentralen Aspekt in den Beziehungen, die Muslime und Nicht-Muslime miteinander pflegen dürfen. Gott verbietet im Koran niemandem einen freundlichen Umgang mit Nichtmuslimen. Es sei denn, sie haben die Muslime zuvor bekämpft. Für diesen Fall untersagt Gott den Muslimen, sich mit Nichmuslimen zu befreunden.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Beide Verse werfen keine Interpretationsprobleme auf. Der erste Vers trifft eine Aussage in verneinender Form, der zweite in bejahender Form. Beide untermauern denselben Grundgedanken.
    Prof. Dr. Mustansir Mir.
    Mustansir Mir, amerikanischer Koranwissenschaftler mit pakistanischen Wurzeln. (priv.)
    Dennoch muss man einige Punkte anmerken. Zunächst legt die Stilistik, mit der dieser Grundgedanke hier vorgetragen wird, die Befürchtung nahe, andere Koranverse in Bezug auf etwaige Feindseligkeiten zwischen Muslimen und nicht-muslimischen Gruppen könnten von manchen falsch verstanden werden. Diese anderen Koranverse sind genau genommen die eröffnenden derselben Sure 60, vor allem die ersten beiden. In Vers 1 heißt es: "Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht meine und eure Feinde zu Freunden, indem ihr ihnen (eure) Zuneigung zu erkennen gebt." Vers zwei führt aus, dass die Feinde keine Gelegenheit auslassen würden, um den Muslimen zu schaden.
    Die Verse acht bis neun dienen nun zur Klarstellung oder Präzisierung dieser Aussagen; sie legen die genauen Hintergründe dar. Sprich, der Koran verbietet vertraute und herzliche Beziehungen zu denjenigen, die offen feindselig agieren und jede Chance nutzen, um dem Islam und seinen Anhängern zu schaden. Nicht der sogenannte Unglaube sondern die Feindseligkeit ist somit Basis für die Verfügungen über Beziehungen zu Nichtmuslimen.
    Auch andere Koranverse verbieten Muslimen, Nichtmuslime beziehungsweise Juden und Christen zu Freunden zu nehmen (etwa 3:28; 4:89, 144; 5:51). Die hier besprochenen Verse nehmen gleichsam Bezug auf diese Koranstellen.
    Obwohl Sure 60:8-9 den Hintergrund eines spezifischen koranischen Verbots erläutert, lässt sich daraus auch ein allgemeines Verhaltensprinzip ableiten: Im Alltag sollen für Muslime Freundlichkeit und Gerechtigkeit das Fundament ihres Umgangs mit Nichtmuslimen sein. Das Verbot, sich mit bestimmten Gruppen von Nichtmuslimen zu befreunden, kennzeichnet lediglich die Ausnahme von diesem Grundprinzip.
    Weiterhin ist zu der Koranpassage anzumerken: Sie zeigt uns, dass der Koran in seinen Äußerungen und Urteilen Pauschalisierungen vermeidet - und zwar egal ob in Bezug auf Menschen oder auf Ideen. Der Koran trifft vielmehr gewissenhaft Unterschiede.
    Er fasst die Nichtmuslime nicht in einer Kategorie zusammen, um diese dann zu verdammen und die Gläubigen anzuhalten, ihre Beziehungen zu ihnen komplett abzubrechen. Im Gegenteil. Der Koran erkennt hinsichtlich der Nichtmuslime an, dass nicht alle von ihnen feindlich gesinnt sein müssen, nur weil das auf einige zutrifft.
    Schließlich ist die koranische Anweisung zum differenzierten Umgang mit Nichtmuslimen auch als Reaktion darauf gemeint, wie diese wiederum mit Muslimen umgehen. Der Koran gestattet es Muslimen nicht, eigenmächtig zu entscheiden. Vielmehr verlangt er, dass sie zunächst eruieren, wie sich Nichtmuslime ihnen gegenüber verhalten, um sich erst dann entsprechend der Verse acht bist neun zu ihnen zu positionieren.
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.