Mittwoch, 24. April 2024

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Susanne Hornfeck
Vom gesteigerten Kulturschock und positiven Chinesen

Das Zusammentreffen verschiedenster kultureller Einflüsse, optischer Eindrücke und akustischer Vielfalt: Die Schriftstellerin Susanne Hornfeck ist fasziniert von China und vor allem von Schanghai. Ihre Begeisterung ist auch in ihren Romanen nachzulesen - China spielt dort immer wieder eine zentrale Rolle.

Tanya Lieske im Gespräch mit Susanne Hornfeck | 26.03.2016
    Die Autorin Susanne Hornfeck lächelt in die Kamera
    Susanne Hornfeck über ihr neues Buch "Mulan. Eine Liebe in Shanghai": "Wir haben versucht, einige Tipps und Regeln für den Alltag aus dem Chinesischen ins Deutsche zu bringen." (Frank May, dpa picture-alliance)
    Tanya Lieske: Frau Hornfeck, bevor wir über Ihr Werk und Ihr neues Buch "Mulan - Verliebt in Shanghai" sprechen – eine Frage, die Sie wohl schon 1.000 Mal beantwortet haben. Als junger Mensch von 18 oder 19 Jahren wenn man seinen Beruf und seine Berufung sucht, ist das ein sehr schwerer Prozess. Wie kommt man, wie kamen Sie zum Studium der Sinologie?
    Susanne Hornfeck: Ich habe mich immer schon dafür interessiert, wie diese Schriftzeichen funktionieren. Das sind ja doch sehr schöne und faszinierende Gebilde, und es ist keine Alphabetschrift. Diese Schriftzeichen bilden nicht das ab, was wir sagen. Das fand ich faszinierend und wollte rausfinden, wie das geht.
    Damals gab es noch keine Schulen, die Chinesisch angeboten haben. Ich musste auf einen Volkshochschulkurs ausweichen und das war das Exotischste, was man machen konnte, statt für das Abitur zu lernen.
    Lieske: 87.000 Schriftzeichen gibt es, was genau zeigt denn so ein Schriftzeichen?
    Hornfeck: Ein Schriftzeichen ist ursprünglich ein Piktogramm, also eine symbolische Abbildung dessen, was es bedeutet. Aber natürlich nur in der aller- allerersten Phase, nachher wird das immer weiter abstrahiert, und inzwischen erkennt man nur noch bei den wenigsten Schriftzeichen aus dem Bild den Ursprung. Die haben sich dann kombiniert und in andere Systeme noch aufgefädelt, und mit vier- bis fünftausend Zeichen kommt man ganz gut zurecht.
    "Man muss einen Sinn neu schaffen"
    Lieske: Sie sind eine preisgekrönte Übersetzerin von Sachbüchern und Belletristik aus dem Chinesischen ins Deutsche. Nun gibt es ja wirklich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Sprachen. Das eine ist eine Lautsprache, das andere definiert sich durch die Tonhöhe, hier ist die Grammatik wichtig, dort die Syntax, hier gibt es 26 Buchstaben und dort die genannten 87000 Schriftzeichen. Was sind die größten Herausforderungen beim Übersetzen?
    Hornfeck: Die größte Herausforderung ist natürlich dieser bildliche Aspekt. Der geht beim Übersetzen verloren. Man landet dann bei einem ganz banalen deutschen Satz. Wie beim Übersetzen überhaupt muss man den Sinn des Ganzen begreifen und neu formulieren. Die Sprachen sind so weit von einander entfernt in Satzstellung und in Grammatik, dass man nicht wirklich das Eine in das Andere übertragen kann. Man muss einen Sinn neu schaffen, den man aus dem Chinesischen rausgelesen hat.
    Lieske: Es klingt sehr kreativ, und es klingt so – Sie übersetzen ja auch aus dem Englischen – als hätten Sie viel größere Freiheiten.
    Hornfeck: Ja, ich muss mir auch viel größere Freiheiten nehmen. Wenn ich zu dicht am Chinesischen bleibe, dann kommt kein lesbarer deutscher Text mehr raus.
    "Ein faszinierender Kontrast"
    Lieske: Es sind auch drei Jugendbücher aus Ihrer Feder erschienen: "Ina aus China", "Torte mit Stäbchen" und dann Ihre jüngste Veröffentlichung "Mulan. Verliebt in Shanghai". Alle drei spielen in oder haben etwas mit der Metropole Schanghai zu tun. Man merkt bei der Lektüre, dass Sie diese Stadt kennen und lieben – was fasziniert Sie so an Schanghai?
    Hornfeck: Ja, in Schanghai trifft wirklich altes Europa auf neuestes China. Das ist architektonisch ein unglaublich faszinierender Kontrast, und jedes Mal, wenn ich hinkomme, gibt es wieder neue Wolkenkratzer und die Stadt hat sich schon wieder in großen Teilen verändert. Es ist einfach eine wunderbare Mischung und ich bin sehr gerne da, und all meine Bücher spielen da, und ich gehe dann im Geiste dort spazieren.
    Lieske: Ich habe mich kundig gemacht: 23 Millionen Einwohner auf circa 6.000 Quadratkilometer. Aldous Huxley war 1926 da und hat gesagt, er habe " in keiner Stadt je einen solchen Eindruck von dem dichten Morast üppig verflochtenen Lebens" bekommen. Können Sie das bestätigen?
    Hornfeck: Also, den Morast kann ich jetzt nicht bestätigen, denn Schanghai ist jetzt eine ganz moderne und auch cleane Stadt, aber dieses Zusammentreffen verschiedenster kultureller Einflüsse, optischer Eindrücke, akustischer Vielfalt, das ist schon ganz toll und faszinierend.
    Der gesteigerte Kulturschock
    Lieske: Ich würde gerne mit Ihrem mittleren Roman beginnen, "Torte mit Stäbchen", der spielt im Schanghai des Jahres 1938, was war der besondere Status der Stadt damals?
    Hornfeck: Damals war die Stadt einer der letzten Häfen, wo jüdische Emigranten ohne Visum einreisen konnten. 1983 war das für viele, die eben keine Verwandten in Amerika oder in England hatten, die einzige Möglichkeit noch aus Nazi- Deutschland wegzukommen.
    Ich wusste, dass ungefähr 18.000 bis 20.000 deutsche und österreichische Juden dort den Holocaust überlebt haben und den Krieg durchlebt haben. Das ist ein Thema, das ich aufgreifen wollte, weil wenige Leute davon wissen, inzwischen ist es wieder bekannt geworden. Damals habe ich viel dafür recherchiert. Es gibt Zeitzeugenberichte, ich habe auch zwei alte Damen befragt, die dort waren.
    In meinem Buch schicke ich ein kleines Mädchen, acht Jahre alt, mit ihren Eltern, der Vater ist Jude, die Mutter evangelisch, nach Schanghai. Die fahren drei Wochen lang mit dem Dampfer dort hin und kommen, jeder mit einem Koffer, in dieser total anderen Stadt an. Also, das ist wirklich der gesteigerte Kulturschock gewesen. Erst mal das eigene Trauma der Flucht und dann diese völlig andere Welt. Die haben ja damals nicht im Luxus gelebt, sondern durften nur zehn Reichsmark mitnehmen, und haben in einer Art Getto gelebt und hatten es wirklich schwer, ihren Alltag dort zu bewältigen.
    Aber ich habe dieses Mädchen eben mit sehr viel Interesse und Unternehmungsgeist ausgestattet, und die erkundet dann auch für sich Schanghai. Sie hat dann auch für sich ein sehr viel positiveres Bild von der Stadt als die Eltern, die dann auch ums Überleben kämpfen müssen.
    Lieske: Da passiert ja auch was, was typisch war für Emigrantenfamilien, nämlich dass die Kinder Verantwortung übernehmen und schneller in die neue Kultur hineinfinden als die Eltern. Der Titel Ihres Romans "Torte mit Stäbchen" bezieht sich übrigens darauf, dass es auch jede Menge Wiener Kaffeebäcker in Schanghai gab!
    Hornfeck: Ja, die gab es tatsächlich, und Inges Vater, der besaß ein Kaffee in Brandenburg bei Berlin, und er hat dann auch in Schanghai die Gelegenheit, in seinem Beruf wieder zu arbeiten.
    Lieske: Inge hat eine Freundin in Brandenburg zurückgelassen. Ina ist eine kleine Chinesin, praktischerweise. Deshalb spricht Inge schon ein wenig Chinesisch, kann Ihrer Familie auch helfen. Als ich das gelesen habe, dachte ich, so ein Quatsch – was für eine Konstruktion hat sich die Autorin da ausgedacht, erfindet eine Chinesin mitten im Brandenburg der 30er-Jahre, aber, Frau Hornfeck?
    Hornfeck: Nein nein, das ist nicht meiner Fantasie entsprungen. Das ist eine authentische Figur, die ich selber kennen gelernt hatte, als ich in Taiwan an der Uni unterrichtet habe. Und da war sie eine Kollegin von mir, und sie hat mich verblüfft, weil sie ein vollkommen akzentfreies Deutsch gesprochen hat. Und ich habe sie dann gefragt, wo sie das gelernt hat, und sie hat gesagt, ja, ich bin doch in Brandenburg aufgewachsen.
    Und dann haben wir uns angefreundet, und sie hat mir Näheres erzählt über ihre Jugend dort, und dann dachte ich, das ist so irre, das muss man wirklich aufschreiben. Und ihr Vater, der stammte auch aus Schanghai, und da war Krieg damals, 1937/1938, und er wollte seine Tochter in Sicherheit bringen und schickte sie nach Brandenburg, wo eine entfernte Verwandte der Familie wohnte. Sie kam natürlich von Regen in die Traufe, weil dann ja schon bald der Zweite Weltkrieg begann.
    Ich habe das natürlich benutzt, um die Nazi-Zeit und die Zeit vor und während des Zweiten Weltkrieges aus der Sicht dieser kleinen Chinesin zu schildern, die dort bei einer deutschen Pflegemutter gewohnt hat.
    Lieske: Lassen wir die Vergangenheit ruhen und kommen in das Schanghai der Gegenwart. In Ihrem jüngsten Buch verschlägt es Mulan von München nach Schanghai. Mulan ist 15 Jahre alt, sie wird von ihrer Mutter Halbdrache genannt, was ist darunter zu verstehen?
    Hornfeck: Der Halbdrache, der meint, das Mädchen ist halb chinesisch. Also der Vater ist Deutscher und die Mutter ist Chinesin. Und das ist auch so ein bisschen ein Kosename der Mutter für sie. Ein Drache ist im Chinesischen etwas sehr Positives, deswegen ist das nicht abwertend gemeint.
    Lieske: Mulan pubertiert und hat durchaus auch Stress mit ihren Eltern. Sie wird nach Schanghai geschickt, damit sich das Gemüt ein Bisschen abkühlt und mit der Vorgabe, sie möge bitte ihr Chinesisch aufpolieren. Sie wohnt bei der Familie mütterlicherseits, dort gibt es eine Großmutter, eine sehr beeindruckende Figur. Sie hat noch die Mao Zeit mitgemacht, ist Barfußärztin.
    Es gibt einen Cousin, von dem Sie andeuten, dass er im Netz unterwegs ist und mit dem Widerstand zu tun hat, und es gibt natürlich die Mutter, die in München geblieben ist, die sich mit den Ereignissen von 1989 am Tiananmen Platz verbindet. Sie spannen einen Bogen über drei Generationen, ist das jetzt ein bisschen sehr exemplarisch gedacht, oder kann sich so viel tatsächlich unter einem Dach in Schanghai finden?
    Hornfeck: Oh, so viel kann sich durchaus unter einem Dach in China finden. Mulans Freund lasse ich da mal sagen, wieso, bei Euch ist das doch auch nicht anders, da war der Opa vielleicht Nazi, und der Sohn war 68er und Teile der Verwandtschaft haben in der DDR gelebt ... also, es gibt durchaus vergleichbare Mischungen in Deutschland.
    "Wir haben versucht, einige Tipps und Regeln für den Alltag aus dem Chinesischen ins Deutsche zu bringen"
    Lieske: Die schrullige Waipo, die noch Mao Lieder singt und morgens Tai Chi macht, ist ganz klar ein Sympathieträger. Sie kennt sich gut aus, aber ich glaube, Sie kennen sich auch aus, denn aus Ihrer Feder sind verschiedene Bücher über chinesische Hausmittel erschienen. Man erfährt da solche Sachen wie zehn Minuten rückwärtsgehen ist gut oder welche Punkte man drücken kann, wenn man Spannungskopfschmerz hat, wie chinesisch ist denn Ihr Alltag?
    Hornfeck: Ich wollte noch hinzufügen, diese Bücher habe ich zusammen mit meiner Partnerin Nelly Ma geschrieben. Und wir haben versucht, einige Tipps und Regeln für den Alltag aus dem Chinesischen ins Deutsche zu bringen. Dinge, die hier praktikabel sind, für die man nicht allzu viele exotische Zutaten braucht und womit man sich helfen kann bei Erkältung oder solch einfachen Dingen.
    Ja, mein Alltag – wenn ich erkältet bin, esse ich tatsächlich keine Bananen, denn eine Banane ist ein kaltes Lebensmittel und wenn man schon genug schädlich Kälte im Köper hat, soll man das nicht auch noch verstärken. Also, das sind auch die Dinge im Buch, die die Oma ihrer Enkelin rät, und die sie etwas verwirren.
    Und dann natürlich die Küche, die fünf Jahre China, das bleibt nicht ohne Folgen für das eigene Kochverhalten, und wann immer es geht, schmeckt es bei uns auch ein bisschen chinesisch.
    Besorgniserregende Entwicklung
    Lieske: Die Begeisterung für und die Liebe zu diesem Land sind spürbar, auch wenn man mit Ihnen spricht. Nun hat China in Deutschland ja nicht nur ein positives Ansehen, die Politik dieses Landes bereitet uns einige Kopfschmerzen, außerdem wird China auch als manchmal als erdrückende Wirtschaftsmacht wahrgenommen. Was wollen Sie dem entgegen setzen? Sie sind ja auch eine Art Vermittlerin.
    Hornfeck: Ich sehe die politische Entwicklung natürlich auch mit Besorgnis, die zunehmende Zensur im Internet und diese Dinge, es sind aber auch sehr viele Vorurteile hier unterwegs. Also, ich glaube, die Fakten sprechen noch nicht dafür, dass wir jetzt morgen von China übernommen werden. Und ich möchte dem entgegen setzen, dass es eine sehr spannende und sehr fremde Kultur ist, dass die Leute dort ungeheuer gastfreundlich und hilfreich sind, wenn man dort ist, vor allem, wenn man mit ihnen sprechen kann, das kommt mir immer sehr warm und heimatlich entgegen, wenn ich dort bin.
    "Mir gefällt vor allem, wie positiv die Leute drauf sind"
    Lieske: Es gibt einen zweiten sehr bekannten Sinologen aus München, Tilman Spengler, der hat mal sinngemäß gesagt, was er an China so sehr schätzt, wenn er ankommt, ist all das Neue, was auf ihn einströmt. Er hat gesagt, er versucht, immer wieder nach Hause zu fahren, bevor der Blick verflacht. Geht Ihnen das auch so und was ist eigentlich das Erste, was Sie sehen, wenn Sie nach China kommen, was ist Ihr eindrücklichstes Erleben?
    Hornfeck: Der erste Eindruck ist schon die Dichte. Es sind einfach sehr viel mehr Menschen auf dem Quadratmeter unterwegs als hier, vor allem, wenn man sich in öffentlichen Verkehrsmitteln bewegt. Und es ist auch so, dass die Chinesen ein etwas anderes Distanzverhältnis haben, also die körperliche Distanz ist für sie eher kein Problem, und für uns wird es dann eher zu nah und zu dicht. Aber damit kann ich inzwischen umgehen.
    Mir gefällt vor allem, wie positiv die Leute drauf sind. Wenn man nach Hause kommt nach Deutschland, dann ist alles unheimlich ruhig, geordnet ... und langweilig!
    Lieske: Ein Plädoyer für China, von Susanne Hornfeck. Ihr neuer Roman "Mulan. Verliebt in Shanghai" ist wie alle ihre Bücher, auch ihre Sachbücher im dtv Verlag erschienen, Reihe Hanser. Vielen Dank, Susanne Hornfeck.
    Susanne Hornfeck: "Ina aus China", dtv/ Reihe Hanser
    Susanne Hornfeck: "Torte mit Stäbchen", dtv/ Reihe Hanser
    Susanne Hornfeck: "Mulan. Verliebt in Shanghai", dtv/ Reihe Hanser
    Susanne Hornfeck, Nelly Ma: "Chinesische Hausmittel", dtv/ Reihe Hanser
    Susanne Hornfeck, Nelly Ma: "Die acht Schätze der chinesischen Heilküche", dtv/ Reihe Hanser