Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Sven Giegold: Sparprogramme haben "nicht funktioniert“

Sven Giegold zufolge hat Griechenland das Sparprogramm nicht so konsequent umgesetzt wie Irland oder Portugal. Für den finanz- und wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen im EU-Parlament ist der Austritt Griechenlands aus der Eurozone aber nicht die einzig logische Konsequenz. Logischer sei es jetzt, gerechte Sparprogramme zu machen.

Sven Giegold im Gespräch mit Sandra Schulz | 14.05.2012
    Sandra Schulz: Und Griechenland, die griechische Perspektive, auch künftig Euroland zu bleiben, die beschäftigt uns noch einmal in den kommenden Minuten. Aus Europa war der Druck in der vergangenen Woche ganz massiv gewesen. Die Erinnerungen daran, vor allem, dass Griechenland an der Sparpolitik festhalten müsse, um weiter mit Milliarden Euro unterstützt zu werden. Nichts spricht dafür, dass der Druck jetzt nachlässt, im Gegenteil, neuer Druck kommt von der CSU heute Morgen, von der Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Und da die Regierungsbildung in Athen weiter in der Schwebe steckt und Neuwahlen immer wahrscheinlicher werden, ist das Thema in den kommenden Minuten. Wir wollen mit Sven Giegold sprechen, mit dem Europaabgeordneten, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Er ist jetzt am Telefon, guten Morgen!

    Sven Giegold: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Giegold, sollte es Neuwahlen geben, was hieße das für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone?

    Giegold: Das ist zunächst mal offen, denn es sind zwei verschiedene Fragen. Zum einen, wenn es Neuwahlen gibt, bedeutet das zunächst einmal für den Euro, die Euromitgliedschaft nicht sehr viel. Die Frage ist, wenn daraus folgt, dass Griechenland seine Sparbemühungen beendet, dann würden vermutlich die Zahlungen durch die Partnerstaaten eingestellt. Damit ist der Euro aber auch noch nicht aus Griechenland vertrieben sozusagen, sondern das liegt ja entscheidend in der Hand der Europäischen Zentralbank. Allerdings wären die Folgen vermutlich für Griechenland so katastrophal, dass damit zu rechnen ist, dass der Euro dann nicht zu halten ist. Aber das sind derzeit nach wie vor nicht die Szenarien, selbst wenn Sie die "Spiegel"-Titelseite prägen, die derzeit dominant diskutiert werden. Verantwortlich wäre das jedenfalls nicht.

    Schulz: Wie viel Milliarden wird es denn noch kosten, Griechenland als Mitglied der Eurogruppe zu halten?

    Giegold: Es tut mir leid, solche Zahlen gibt es nicht. Alle Schätzungen – das muss man hier mal ganz deutlich sagen –, die bisher abgegeben wurden, sind ja nach unten korrigiert worden, und zwar insbesondere die Schätzungen für die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland. Das Wachstum ist schlechter, Griechenland kommt jetzt in das fünfte Jahr der Rezession, und alle Vorhersagen, unter denen die Sparprogramme verabschiedet wurden, waren deutlich optimistischer, und insofern ist auch nicht erstaunlich, dass jetzt korrigiert wird. Diese Perspektive, wie schlecht die wirtschaftliche Entwicklung läuft, wird in der ganzen Diskussion viel zu selten eingenommen. Dahinter stehen ja letztlich Arbeitslose, scheiternde Unternehmen und am Rande des Abgrundes stehende Banken.

    Schulz: Ja, das sind natürlich Schätzungen, aber eben die Schätzungen sagen – oder so hat es der Präsident des Ifo-Instituts Sinn auch prognostiziert –, dass es jedenfalls teurer wird, Griechenland als Mitglied der Eurogruppe zu halten, als wenn es austreten würde. Muss sich Europa das nicht langsam eingestehen, dass Griechenland als Euroland nicht mehr zu halten ist?

    Giegold: Also es gibt nun mal zwei verschiedene Dinge: Das Erste ist, die Schätzungen von Herrn Sinn sind auch nicht besser als andere, sie beruhen alle auf einer statischen Betrachtung. Und die statische Betrachtung besagt, es gibt ein Land, das schert aus, und das wird im Wesentlichen die Situation der anderen Länder unberührt lassen. Wesentlich wahrscheinlicher ist, dass, sobald Griechenland austritt, wir sofort Bankenzusammenbrüche in den Nachbarländern bekommen und außerdem sich die Situation in Spanien dramatisch verschlechtert. Wie weit, welche Ansteckungseffekte das hat oder auch nicht hat, weiß keiner genau, und deshalb sind auch Zahlen unseriös. Sie helfen zwar, zitiert zu werden, schätzen aber die Situation äußerst unvollkommen.

    Schulz: Aber ist es denn wirklich noch das aktuelle Szenario? Also Sie sprechen ja von den Ansteckungsgefahren, von denen im letzten Jahr ja auch immer wieder die Rede war, jetzt sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble inzwischen, eben, nachdem alle Beteiligten ja auch viel Zeit hatten, sich vorzubereiten, ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone wäre verkraftbar.

    Giegold: Die Situation ist ja folgende, und das zieht sich jetzt schon seit Monaten hinter den verschlossenen Türen des Rates: Es gibt einen Unterschied des Auftretens der griechischen Regierung und der Regierungen Irlands und Portugals. Und das muss man auch kritisch und offen sagen, nämlich dass Griechenland nicht den Eindruck gemacht hat, das Programm so konsequent umzusetzen, wie das andere getan haben. Und diese Haltung verärgert natürlich sowohl Herrn Schäuble als auch die Partnerländer, und das waren sehr unangenehme Sitzungen. Der Hintergrund ist der, dass deshalb die Euroländer natürlich die Geduld verlieren. Und gleichzeitig muss man aber – und das sollte Herr Schäuble an der Stelle dazusagen – auch feststellen, dass die Programme, die ja zu großen Teilen umgesetzt wurden, sowohl ökonomisch als auch politisch nicht funktioniert haben. Sie haben ökonomisch nicht funktioniert, weil das Wachstum ist eingebrochen, viel stärker als gedacht, und sie haben politisch nicht funktioniert, weil die Menschen das Gefühl haben, die Kleinen henkt man und die Großen lässt man laufen. Und Europa hat dem tatenlos zugesehen und gesagt, immer nur gesagt, spart härter, erreicht die Ziele, womit die Situation noch schlechter geworden ist. Mit anderen Worten: Der Euroaustritt ist ja keineswegs die einzig logische Konsequenz, sondern die logische Konsequenz wäre jetzt, gerechte Programme zu machen, denn die funktionieren ja nicht nur in Griechenland nicht, sondern auch, sie funktionieren in Portugal nicht richtig, sie funktionieren in Spanien nicht und gefährden damit die gesamte Eurozone. Das heißt, das Sparen muss zwar weitergehen, aber wenn wir die Programme nicht ändern und nur über Griechenland reden, dann sehen wir praktisch tatenlos zu, wie uns der Euro auch in anderen Ländern ins Rutschen kommt.

    Schulz: Ja, das Problem speziell in Griechenland ist und bleibt ja die fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Wie soll denn auch mit Milliarden vielleicht Konjunkturprogramm sich daran was ändern, allein die Olivenölproduktion, die wird es doch nicht bringen?

    Giegold: Ehrlich gesagt, diese Art, über Griechenland zu reden, ist genau, was Europa kaputtmacht. Das ist ein Niveau, das kaum zu ertragen ist und zurückzuweisen ist. Ich möchte das wirklich ganz deutlich sagen. Waren Sie schon mal in Griechenland? Da wird doch nicht nur Olivenöl produziert, sondern die haben eine große Pharmaindustrie, die haben einen guten Tourismussektor, der zu teuer geworden ist, sie haben Reedereien, sie haben auch Dienstleistungen, sie haben einen Bankensektor, der durchaus ernsthafte Geschäfte betrieben hat. Ich will nur sagen, das sind Karikaturen. Die griechische Ökonomie ist über zehn Jahre lang durch starke Kapitalimporte aufgebläht worden, und dadurch ist sie zu teuer geworden im Vergleich zur Produktivität. Das wird jetzt korrigiert, das ist auch nötig, dagegen kann man auch nicht mit Konjunkturprogrammen ankämpfen. Aber wie tief die Ökonomie fallen muss, das hängt unter anderem davon ab, ob es parallel auch Investitionsprogramme gibt. Und wenn die jetzt kommen, auch durch die Verhandlungen mit Hollande, dann ist das eine gute Entwicklung, auch für Griechenland. Dort gibt es sehr große Chancen, die derzeit nicht genutzt werden.

    Schulz: Sven Giegold war das im Gespräch heute mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank auch an der Stelle, noch mal der Verweis auf die Uhr, danke fürs Interview!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.