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Sven Nordqvist: "Spaziergang mit Hund"
Pettersson, Findus und die abendländische Malerei

Der Erfinder von "Pettersson und Findus" hat noch einmal zum Zeichenstift gegriffen und ein Wimmelbuch von epischem Ausmaß geschaffen. Sven Nordqvist kreuzt in seinem neuen Buch den Küchengarten mit einem Ausflug in die abendländische Malerei.

Von Thomas Linden | 18.05.2019
Der Schriftsteller Sven Nordqvist und sein Buch "Spaziergang mit Hund"
Der Schriftsteller Sven Nordqvist und sein "Spaziergang mit Hund" (Buchcover Oetinger Verlag / Autorenportrait (c) dpa / Bodo Marks)
Ein kleiner Junge darf mit dem großen Hund der Oma Gassi gehen. Die beiden verlassen das Haus, der zottelige Hund reißt schon ungeduldig an der Leine. Was dann folgt, ist eine Reise durch Träume und fantastische Landschaften, die schier die Seiten eines jeden großformatigen Bilderbuchs sprengen. Bis die beiden schließlich wieder zur geöffneten Tür eilen, in der die Oma sie schon lachend erwartet. Sven Nordqvist hat die Klammer für sein Wimmelbuch "Spaziergang mit Hund" so weit gespannt, dass die ganze Welt in ihr Platz finden kann.
Der Schwede zählt zu den Stars der internationalen Kinderliteraturszene, seine Bilderbücher erreichen zweistellige Millionenauflagen. Für seine Erfindung des kauzigen Duos "Pettersson und Findus" wurde er mit dem Astrid-Lindgren-Preis ausgezeichnet. Den Abenteuern des griesgrämigen alten Pettersson und seines fidelen Katers Findus ist Nordqvist in den letzten Jahren nicht mehr nachgegangen. Den Zeichenstift hat der 73-jährige Schwede deshalb aber nicht aus der Hand gelegt, vielmehr muss ihn dieses monumentale Wimmelbuch-Projekt, das jetzt vorliegt, schon sehr gereizt haben.
Eine zeichnerische Tour de Force
Nachdem das Kind und der Hund einmal aus dem Haus sind, steigen sie in den Zug und reisen drauflos. Es geht durch Burgen- und Schlossanlagen, in den Parks sehen sie groteske Springbrunnen und im Zoologischen Garten ein Mammut und unzählige Fantasietiere. An Flussufern, über tropische Wälder und Ebenen bis zum Marktplatz in der Nachbarstadt und dem Besuch in einem Antiquitätenladen springen Kind und Hund von einem Schauplatz zum nächsten. Eine zeichnerische Tour de Force von ungeahntem Ausmaß entfesselt Sven Nordqvist.
Unser Auge wandert im Bild und erliegt bald der Faszination der Winzigkeit dieser unzähligen Details. Während man auf das Kleine schaut, kann man aber nicht auch noch das große Ganze der Komposition wahrnehmen, zumal alles gleichzeitig geschieht. Diese visuelle Überwältigung ist eine zentrale Strategie innerhalb des Genres der Wimmelbilder. Die Bewegung des forschenden Auges braucht Zeit, so dass wir das Bild wie einen Text zu lesen beginnen. Mit der Aufmerksamkeit, die wir den kleinen Dingen schenken, erhalten diese ihre vergessene Bedeutung zurück. Und dann gibt es da noch den Versuch von Nordquist, das ganze Universum von Pettersson und Findus mit seinen gemütlichen Idyllen und den quirligen Mucklas-Fabelwesen in eine Verbindung mit der Geschichte der abendländischen Malerei zu bringen.
Nordqvist zieht alle Register des Wimmelbuchs
Bevor es die Wimmelbilder für Kinder gab, erfreuten sich die Erwachsenen an ihnen. Historisch gesehen setzte das Genre mit den Gemälden eines Hieronymus Bosch im 15. Jahrhundert ein, der in seinen Visionen von der Hölle winzig kleine Menschengestalten mit furchterregenden Monstern kombinierte. Zwei Generation später ließ Pieter Bruegel mit der "Dulle Griet" gar eine Fabelgestalt des Krieges durchs Bild marschieren.
Nordqvists Figuren scheinen auf den ersten Blick harmlos zu sein, eine Mischung aus Kängurus, Mäusen und Insekten bewegt sich da krabbelnd durchs Bild. Allein die Größe verleiht den niedlichen Kreaturen ein dezentes Moment unheimlicher Bedrohung. Wenn das Kind mit dem Hund durch die Flure und Treppen einer fernen Burg hastet, erinnert das steinerne Labyrinth unübersehbar an die Verliese des Giovanni Battista Piranesi. Und dort, wo das Wasser nebenan aus dem Brunnen schwappt, ist dieser augenscheinlich als eine Variante der kunstvollen Unendlichkeitskonstruktionen eines M.C. Escher konzipiert.
Nordqvist zieht alle Register des Wimmelbuchs. Damit steht er ganz in der Tradition von Ali Mitgutsch, der für seine Wimmelbilder in den sechziger Jahren gefeiert wurde, als sei er der Erfinder dieses Genres. Seine freundlich-naiven Bilderbuch-Choreographien waren flächendeckend mit Schwärmen von Menschen gefüllt. Allerdings unterhielten die Figuren kaum Beziehungen zueinander.
Einen Quantensprung erlebte das Genre in den neunziger Jahren mit den Jahreszeiten-Wimmelbüchern der Rotraut Susanne Berner. Sie übertrugen eine Methode des literarischen Erzählens ins Bild. Jedes Detail besaß nun eine Funktion, so dass man eine Vorstellung von der Komplexität des Lebens bekam. Alle Tiere, alle Kinder und alle Erwachsenen sind in eine Handlung eingebunden. Der folgt man, so dass Bewegung zu Geschichte wird.
Berner erzählt horizontal und vertikal. Das heißt, die Geschichten entwickeln sich im Raum, etwa von der Peripherie einer Stadt in ihr Zentrum, und in der Zeit, wenn wir sehen, wie die Pflanzen mit den Jahreszeiten sprießen und die Kinder geboren werden. Wir erleben, dass Realität nicht faktisch und kalt sein muss, sondern durchaus von Empathie durchdrungen sein kann.
Ansammlung von Schauplätzen
Schon in den Bildern eines Pieter Bruegel - etwa den "Sprichwörtern" oder den "Kinderspielen" - findet sich das Personal in eine Landschaft eingelassen, die in ihrer Anordnung selbst wieder eine Geschichte darstellt. In Sven Nordqvists Wimmelbuch wirkt der Zeichenstift wie losgelassen. Der Schwede arbeitet mit ungeheurem Fleiß, scheint sich aber in seinem Eifer um Zusammenhänge nicht weiter zu scheren. Die Spazierwege von Kind und Hund gleiten auf den großformatigen Seiten nicht ineinander über. Eine Seite ist an die nächste gesetzt, nicht immer ist ersichtlich, warum sie aufeinander folgen.
Sie bleiben eine Ansammlung von Schauplätzen, auf denen sich eine Form des Horror vacui vollzieht. Die Angst vor der Leere scheint Sven Nordqvist gepackt zu haben, und sie verlangt eine restlose Bemalung aller Flächen. Besonders deutlich wird das bei einem Besuch der beiden in einem Antiquitätenladen, hier beginnt die Vielfalt der Dinge zu delirieren. Geschätzte eine Milliarde Gegenstände stehen auf den Regalen und inventarisieren das Leben.
Besonders überzeugend wirkt Nordqvist als Illustrator immer dort, wo er ganz aus seiner heimatlichen Welt schöpft. Ein Meer aus hölzernen Fachwerkhäusern ergießt sich krumm und schief über einen Hügel, der Ähnlichkeit mit Stockholms Stadtteil Södermalm zeigt. Hier scheint die Welt der Menschen in Garten, Hof und Straße immer noch kleiner und kleiner zu werden. Die Winzigkeit schafft eine Distanz, die der abgebildeten Welt eine Eigenständigkeit verleiht, die ohne Sentimentalität auskommt.
Schwedens idyllische Gärten bleiben der Ort, an dem Nordqvist seinen Lesern ein imaginäres Zuhause bietet. Dort, wo noch alle beim Essen um den Tisch sitzen, die Erdbeeren jeden Vorbeikommenden anlachen, die Schweine baden oder lesen, lässt es sich gut leben. Nur die Tomaten besitzen dann wieder eine Größe, die an atomare Strahlung denken lässt. Ein bisschen gegen den Strich gebürstet waren Nordquists Illustrationen aber schon immer. Seinen fröhlichen Anarchismus versteckt der Schwede gerne an den Rändern der Wimmelbilder, und das macht er so geschickt, dass man auch nach oftmaliger Lektüre noch kleine Bosheiten entdeckt, die Erwachsene ebenso wie Kinder nachhaltig entzücken.
Sven Nordqvist: "Spaziergang mit Hund"
Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg
32 Seiten, 20,00 Euro