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Synthetische Biologie
Bakterien mit Wegfahrsperre

US-Biologen haben Bakterien entwickelt, die in freier Natur keine Überlebenschance haben. Die genetisch veränderten Organismen sind auf synthetische Aminosäuren angewiesen, die es nur im Labor gibt. Damit wollen die Forscher verhindern, dass sich die Bakterien ungehindert ausbreiten können.

Von Lucian Haas | 22.01.2015
    E.-coli-Bakterien in einer Petrischale
    Die neu entwickelten Bakterien sollen nicht mehr aus dem Labor ausreißen können (picture alliance / dpa - Marius Becker)
    Beim Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft, der Medizin oder der Industrie gibt es stets eine große Sorge: Die transgenen Organismen könnten ausbüxen und die Natur verändern oder gar schädigen. Zwei Forscherteams von den Universitäten Harvard und Yale aus den USA haben jetzt neue Wege aufgezeigt, wie sich die Biosicherheit bei genveränderten Bakterien verbessern ließe. Sie erzeugten im Labor jeweils transgene Varianten von Bakterien der Gattung Escherichia coli, die keine Chance haben, ohne Zutun des Menschen in der Natur zu überleben. George Church, Molekularbiologe an der Harvard University in Boston.
    "Es ist das erste Mal, dass wir bei einem Bakterium Umbauten im gesamten Genom vorgenommen haben, um größere Funktionsänderungen zu erreichen. Die Bakterien besitzen nun einen neuen genetischen Code. Die wichtigste Folge davon ist, dass ihr Überleben von einer synthetischen Aminosäure abhängt, die in der Natur gar nicht vorkommt, sondern nur im Labor."
    Abhängig von künstlichen Aminosäuren
    Aminosäuren - das sind die Grundbausteine des Lebens, aus denen die Proteine aufgebaut sind. Alle Lebewesen der Erde greifen normalerweise auf eine einheitliche Auswahl von 20 Aminosäuren zurück. Biochemiker können allerdings noch viele andere Aminosäuren künstlich herstellen. George Church und Kollegen brachten die E.-coli-Bakterien dazu, synthetische Aminosäuren in Proteine einzubauen. Und zwar solche Proteine, die zentrale Rollen im Stoffwechsel der Bakterien spielen. Um überleben zu können, sind die Bakterien zwingend auf eine Versorgung mit den synthetischen Aminosäuren angewiesen. In der natürlichen Umwelt, wo die synthetischen Aminosäuren nicht vorkommen, sterben sie. Farren Isaacs von der Yale University sieht darin einen großen Fortschritt:
    "Wir können eine Abhängigkeit von künstlich hergestellten, biochemischen Proteinbausteinen erzeugen. Damit bieten wir eine überzeugende Lösung für ein anhaltendes Problem in der Biotechnologie, indem wir der Verbreitung und dem Überleben von genetisch veränderten Organismen in der natürlichen Umwelt einen biologischen Riegel vorschieben."
    Erbgut im Editor
    Farren Isaacs und George Church gelten als Vorreiter auf dem Feld der sogenannten synthetischen Biologie. Gemeinsam entwickelten sie schon vor einigen Jahren Techniken, mit denen sie im großen Stil das Erbgut von Escherichia coli gewissermaßen nach Belieben editieren können. Auf dieser Basis programmierten sie nun getrennt, aber in ganz ähnlicher Weise die bakterielle Maschinerie zur Proteinsynthese um. In der DNA geben definierte Codefolgen, sogenannte Codons, vor, welche Aminosäuren in einem Protein eingebaut werden sollen. Die veränderten E.-coli-Bakterien interpretieren ein bestimmtes Codon anders als normal. Sie sehen darin die Vorgabe, eine synthetische Aminosäure zu verwenden. George Church glaubt, dass das System geeignet ist, um nicht nur im Forschungslabor, sondern auch im industriellen Maßstab eingesetzt zu werden.
    "Für Fabriken, die heute schon E.-coli-Bakterien verwenden, um zum Beispiel Chemikalien wie Propandiol biotechnologisch herzustellen, würde es nur eine kleinere Umstellung bedeuten, um sowohl die neuen Sicherheits- als auch die Produktionseigenschaften in einem Bakterienstamm zu vereinen. Wir haben die benötigten synthetischen Aminosäuren bereits so gewählt, dass niedrige Konzentrationen ausreichen und nur geringe Kosten anfallen."
    Schutz vor ungehinderter Ausbreitung
    Außerhalb des Produktionsortes können die genveränderten Bakterien nicht überleben, weil ihnen dort die synthetischen Aminosäuren fehlen. Farren Isaacs sagt, dass das Verfahren in Zukunft zu einem neuen Sicherheitsstandard werden könnte.
    "Es bietet einen zusätzlichen Schutz. Was wir bisher in Sachen Biosicherheit getan haben, ist zwar ausreichend. Aber wenn man sich vorstellt, dass diese Technik künftig im größeren Stil genutzt werden könnte, wäre das noch besser. Es könnte den Einsatz von gentechnisch veränderten Organismen fördern."
    Bisher haben die Forscher nur bei E. coli gezeigt, dass das System funktioniert. Als Nächstes wollen sie das Verfahren auch auf andere Bakterienarten wie beispielsweise Lactobacillus übertragen. George Church hält es sogar grundsätzlich für möglich, eines Tages auch das viel größere Erbgut von Pflanzen soweit umschreiben zu können, dass die so erzeugten transgenen Varianten ohne Zugabe synthetischer Aminosäuren keine Überlebenschance hätten.