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Syrer berichten vom Krieg
Lesenswert, aber mit Einschränkungen

Die Medien konzentrieren sich derzeit bei der Berichterstattung aus Syrien auf die Terrormiliz Islamischer Staat und auf US-Luftangriffe. Die Syrer selbst kommen selten zu Wort. Jetzt ist ein Sammelband erschienen, der genau diese Lücke schließen will.

Von Stephanie Doetzer | 10.11.2014
    Es gibt Bücher, über die schreibt man eine Rezension in einem Rutsch. Weil sie so hervorragend sind – oder so haarsträubend. Und dann gibt es Bücher, die sowohl das eine als auch das andere sind. Lesenswert, aber mit Einschränkungen. Der Sammelband "Innenansichten aus Syrien" fällt in diese Kategorie. Im Vorwort steht:
    "Dieses Buch will den Konflikt nicht erklären oder analysieren, sondern aus syrischer Perspektive zeigen, wie die Menschen die Zerstörung ihrer Heimat erleben. Wie lebt es sich in den sicheren Stadtvierteln von Damaskus, während in den Außenbezirken gekämpft und getötet wird?
    Zu welchen Reaktionen ist ein Mann fähig, dessen ganze Familie von einer Bombe ausgelöscht wurde? Von welchen Erfahrungen erzählt eine Frau, die zweimal vom Geheimdienst verhaftet wurde?"
    Ein guter Ansatz, meint man, wichtig als Ergänzung zur routinierten Medienberichterstattung. Und endlich mit mehr Stimmen von Syrern statt außenstehenden Experten. Doch entstanden ist eine Textsammlung, die zwar Innenansichten im Plural verspricht, aber letztlich nur eine Sicht präsentiert: Die der säkularen syrischen Kulturszene, die geträumt hat von einer friedlichen Revolution. Und die das denkt und schreibt, was deutschen Journalisten bei der eigenen Meinungsvergewisserung hilft.
    Klar verteilte Rollen
    Die Rollen sind klar verteilt, Täter und Opfer eindeutig benennbar: Schuld ist das syrische Regime, das seine Gegner gewissermaßen zur Gewalt gezwungen habe – und nötig sei endlich ein militärisches Eingreifen der internationalen Gemeinschaft. Das ist eine Sichtweise auf den verheerenden Krieg – doch er wäre kein Bürgerkrieg geworden, wenn alle Syrer so denken würden. Und da liegt der große Widerspruch.
    Viele Autoren benennen die tiefe Spaltung der Gesellschaft, doch im Buch taucht sie nicht auf. Insofern, dass kein Autor zu Wort kommt, der sich zum Lager der Revolutions-Skeptiker oder gar Regierungsanhänger zählt. Doch gleichzeitig ist die Zerrissenheit des Landes für viele ein zentrales Thema. Der Lyriker Monzer Masri schreibt:
    "Die Syrer sind zerrissen, Freunde fürs Leben haben sich voneinander entfernt, vielleicht sogar verfeindet und hassen sich jetzt. Auch ich bin nicht verschont davon. Ich habe etliche Freunde verloren, mit denen ich, wie ich geglaubt hatte, meinen Lebensweg bis zum Ende gehen würde."
    "Den Tod des anderen zu wünschen, ist nicht bloß eine Unstimmigkeit"
    Und die junge Schriftstellerin Dima Wannous fragt sich:
    "Können Menschen zusammenleben, die sich gegenseitig den Tod gewünscht hatten? Den Tod des anderen zu wünschen, ist nicht bloß eine Unstimmigkeit. Die Frage ist nicht mehr, ob du loyal zum Regime stehst oder in Opposition dazu. Wie kannst Du inmitten von Menschen leben, die sich an Foltervideos ergötzen?"
    Foltervideos, Leichenschändungen, das Feiern des Todes der anderen – all das gibt es in Syrien aufseiten der Milizen des Regimes und aufseiten der Rebellen. Die deutschen Autoren, die in dem Buch vertreten sind, konzentrieren sich auf die Brutalität des Regimes und entwerfen das Bild eines Syriens, in dem das Regime keinerlei Rückhalt hat. Unter den syrischen Autoren jedoch schreiben einige vom Führerkult rund um Assad - und davon, dass die Idee einer Revolution bei vielen Syrern von Anfang an Angst ausgelöst hat. Mamdoh Azzam etwa erinnert sich an den Beginn der Proteste:
    "Die Menschen hatten sich beschwert über Unrecht und Unterdrückung. Jetzt aber, nach Beginn der Revolution, schienen sie sich nach Festungsmauern zu sehnen, hinter denen sie sich verschanzen konnten. Die Mehrheit wollte nicht, dass der Aufruhr des syrischen Volkes bis zu ihnen dringe. (...) Und als sie merkten, dass sie ihre revolutionären Brüder mit Schlägen nicht zurückhalten und ihrem Freiheitsdrang nicht Einhalt gebieten konnten, gingen sie dazu über, sie zu denunzieren. Der in Panik geratene Bürger war tatsächlich freiwillig und ohne Gegenleistung dazu bereit, den anderen bei den Sicherheitsapparaten des Regimes zu verleumden."
    Und genau da beginnt in Syrien der Kampf fast aller gegen fast alle, der jede Kategorisierung sprengt. Und der zum Hick-Hack der Syrien-Berichterstattung führt, dazu, dass auch Journalisten sich bekriegen, je nachdem, welche Vorstellung sie haben von der vermeintlich richtigen Sicht auf Syrien.
    Es scheint, als müsse man sich ein Lager aussuchen. Als ob es eine Entscheidung gäbe zwischen radikalen Regimeanhängern und radikalen Islamisten. Doch dass sich da zwei Spiegelbilder gegenüberstehen, zeigen anschaulich die politischen Slogans in einer von islamistischen Rebellen eroberten Stadt, schreibt ein syrischer Journalist:
    "Sie haben nach dem Abzug der Regierungstruppen die Leitsprüche des Assad-Regimes nicht übermalt, sondern 'Assad' durch 'Islam' ersetzt. Statt 'Assad für immer' stand nun dort: 'Der Islam für immer!'. Statt 'Assad oder wir brennen das Land nieder!' stand 'Der Islam oder wir brennen das Land nieder'."
    Die Absurdität des syrischen Alltags
    Solch kleine, aber wichtige Schnipsel aus der Absurdität des syrischen Alltags sind es, die das Buch schließlich lesenswert machen. Die Interviews und Politikwissenschaftlertexte hingegen bleiben blass – und sind oft überflüssig. Die Höhepunkte sind da, wo Syrer schreiben, was sie sehen und erleben. Den Krieg in seiner Unfassbarkeit begreifbar machen, das gelingt immer dann, wenn er nicht aus der Sicht einer Partei geschildert wird, sondern aus der des Menschseins an sich. So wie auf einer Mauer in der syrischen Kleinstadt Qamischli. Darauf steht geschrieben:
    "Aus meinem Volk sind zwei Kampfparteien geworden, aus der Armee zwei Armeen, aus der Flagge zwei Flaggen. Für den Soldaten jedoch lautet die wichtigste Frage: Wird der Krieg aufhören? Und zwar für beide Kämpfer, den Kämpfer für und den Kämpfer wider. Und alles, was fällt, ob Mensch oder Kriegsgerät, ist syrisch. Syrisch. Gerecht ist daran gar nichts, außer dass Für und Wider schließlich auf ein und demselben Friedhof begraben werden."
    Larissa Bender (Hrsg.): "Innenansichten aus Syrien", Edition Faust, 296 Seiten, 24 Euro.