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Syrer in der Türkei
Erst geduldet, dann verhasst

Die Türkei ist instabil, nicht erst seit dem Putschversuch, immer öfter gibt es Ausschreitungen und Angriffe auf Minderheiten. So sind in diesen Tagen die syrischen Flüchtlinge in der Türkei von einer geduldeten zu einer Außenseiter-Gruppe geworden. Und zwar aufgrund einer Ankündigung von Präsident Erdogan.

Von Luise Sammann | 19.07.2016
    Ein weiblicher syrischer Flüchtling in Gaziantep, Türkei. Gaziantep liegt an der Grenze zu Syrien, hunderttausende Flüchtlinge leben bereits dort und der Wohnraum wird knapp. Deshalb wohnen mittlerweile Flüchtlinge in kleinen Läden wie diesen hier.
    Mehrere Unterkünfte von syrischen Flüchtlingen in der Türkei wurden mit Steinen angegriffen. (dpa / picture alliance / Uygar Onder Simsek)
    Das Schild, das der Imbissbesitzer im westtürkischen Bursa aufgehängt hatte, war unmissverständlich: Suppe für Türken drei Lira. Für Syrer: kein Service.
    Noch deutlicher wurden die Eltern, die vor einer Schule im südtürkischen Kilis gegen syrische Schüler demonstrierten. "Wir wollen die hier nicht. Die könnten Bomben auf unsere Kinder schmeißen" schimpfte eine Mutter.
    Egal ob im Internet oder auf der Straße: Die Gastfreundschaft gegenüber den Syrern in der Türkei ist in Hass umgeschlagen. Was ist passiert?
    "Wir sehen euch als unsere Brüder und Schwestern …"
    … hatte Präsident Erdogan Hunderten Syrern kürzlich beim Fastenbrechen zugerufen.
    "Wir werden euch unterstützen und euch die türkische Staatsbürgerschaft geben."
    Die Furcht von Erdogans Gegnern
    Vielen Flüchtlingen traten spontan die Tränen in die Augen. Reem, 28, ist die Dankbarkeit anzusehen.
    "Natürlich wollen wir die türkische Staatsbürgerschaft! Die Kinder könnten ordentlich studieren und mein Mann könnte ganz offiziell ein Geschäft aufbauen. Die Art, wie Erdogan uns behandelt, ist wahrhaft islamisch!"
    Syrer Khalid, der schwarz in einem türkischen Friseursalon jobbt, stimmt zu.
    "Ich liebe Erdogan! Die arabischen Länder haben uns abgewiesen. Aber Erdogan und die Türkei haben ihre Türen für uns geöffnet. Und jetzt noch das. Ich würde sofort für die AKP stimmen, wenn ich dürfte. "
    Es sind Reaktionen wie diese, die Erdogans Gegner am meisten fürchten. Denn Hunderttausende dankbare Syrer mit türkischer Staatsbürgerschaft könnten eines Tages Hunderttausende Wählerstimmen für den Präsidenten bedeuten.
    An reine Menschenliebe als Motiv glaubt kaum ein Türke
    "Mit diesem Schritt, der die gesellschaftliche Balance und den sozialen Frieden in der Türkei zerstört, arbeitet der Präsident an nichts anderem als seiner eigenen politischen Zukunft", schimpfte etwa der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Özgür Özel.
    An reine Menschenliebe als Motiv glaubt auch sonst kaum ein Türke. Will Erdogan vielleicht nur von der Diskussion um sein angeblich gefälschtes Universitätsdiplom ablenken?, spötteln Facebooknutzer. Oder, so vermuten viele Kurden, sollen die eingebürgerten Syrer dafür sorgen, dass die kurdische Bevölkerungsmehrheit im Südosten aufgehoben wird? Die Wahrheit ist, frohlockt gar die AKP-nahe Zeitung Yeni Akit: Syrien wird zerschlagen. Und wenn jetzt Hunderttausende Syrer die türkische Staatsbürgerschaft bekommen, werden sie später dafür stimmen, dass Städte wie Aleppo der Türkei zufallen.
    Die aufgeflammte Fremdenfeindlichkeit bleibt
    Was wirklich hinter Erdogans Vorstoß steckt, weiß niemand. Nur eins steht fest: Die türkischen Bürger waren mit den vielen Syrern im Land einverstanden, solange sie als weitgehend rechtlose und vor allem temporäre Gäste galten. Auch über die Einführung eines Asylrechts, das bisher nicht existiert, würden zumindest linksliberale Kreise diskutieren. Als gleichberechtigte Staatsbürger aber will die Syrer niemand.
    "Die würden uns die Arbeitsplätze wegnehmen! Außerdem zerstören sie das soziale Gefüge in den Städten."
    Empört sich ein Istanbuler Student. Und eine Frau meint:
    "Die Türkei gehört uns, den türkischen Bürgern! Wir haben hier schon genug Probleme, warum sollten wir jetzt auch noch die der anderen mittragen?"
    Sollte es Erdogan tatsächlich um Wählerstimmen gegangen sein, dürfte seine Rechnung diesmal nicht aufgehen. Studien zeigen: Selbst die AKP-Anhänger sind zu 78 Prozent gegen seinen Plan. Dass Vize-Premier Nurman Kurtulus vor wenigen Tagen beschwichtigte, das Angebot gelte sowieso nur für Syrer, die der Türkei "nützlich" sein könnten – Ärzte und Ingenieure zum Beispiel – sehen viele als Zeichen dafür, dass der Plan bald wieder ganz vom Tisch sein wird. Die aufgeflammte Fremdenfeindlichkeit aber wird sich so leicht nicht wieder eindämmen lassen. Unter Hashtags wie "Nein zu den Syrern" lassen inzwischen Hunderttausende türkische Twitter-Nutzer ihren Gefühlen freien Lauf.