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Syrien: "Flächenbrand" bei militärischer Intervention

"Das ist eine fürchterlich frustrierende Situation im Angesicht einer humanitären Katastrophe", kommentiert der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff (FDP) die Situation in Syrien. Eine militärische Intervention hält er aber für falsch.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mich Christine Heuer | 30.05.2012
    Christine Heuer: Noch heute will der UN-Sicherheitsrat den Bericht Kofi Annans über die Lage in Syrien diskutieren. Das deutsche Außenministerium sieht in dem Termin eine "wichtige Wegmarke", so heißt es wörtlich. Welchen Weg die Staatengemeinschaft dann aber einschlagen soll, das erscheint im Moment völlig unklar.

    Es war der französische Präsident Francois Hollande, der ein militärisches Eingreifen ins Gespräch gebracht hat – unter der Bedingung versteht sich, dass es dafür ein Mandat der Vereinten Nationen gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist nicht sehr groß, aber die Idee, einmal ausgesprochen, wird lebhaft diskutiert.

    China und Russland sind die Staaten, die im Sicherheitsrat der syrischen Regierung nach wie vor die Stange halten. In Moskau allerdings scheint, die Solidarität mit Bashar al-Assad etwas zu bröckeln. Mancher jedenfalls liest das zwischen den Zeilen jüngster Äußerungen der russischen Regierung.

    - In Brüssel ist der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff am Telefon. Guten Tag, Graf Lambsdorff.

    Alexander Graf Lambsdorff: Schönen guten Tag, Frau Heuer.

    Heuer: Was halten Sie denn von Hollandes Vorstoß?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, dass dieser Vorstoß ein bisschen der Ausdruck der Verzweiflung ist und der Frustration, angesichts der Ohnmacht im Angesicht dieser Vorgänge in Syrien. Syrien ist mit dem Iran nach wie vor verbündet, Russland und China – wir haben es ja nun gerade deutlich gehört – stehen weiterhin vor dem Assad-Regime. Der Versuch, den Hollande da unternommen hat, ist einer, der natürlich sich auf Russland in allererster Linie richtet, damit Russland sich zumindest bei den Sanktionen in Richtung Westen bewegt, um den Druck auf das Regime zu erhöhen.

    Heuer: Kann man so Russland denn mit ins Boot holen?

    Graf Lambsdorff: Also, ich glaube, dass auch die Russen hinter den Kulissen wissen, dass das, was das Regime Assad dort in Damaskus, in Hula, in anderen Städten des Landes tut, auf Dauer nicht durchzuhalten ist. Dass der gesamte Westen die Botschafter ausgewiesen hat, die Türkei sogar alle syrischen Diplomaten aufgefordert hat, das Land zu verlassen, zeigt ja, dass die Isolation Syriens weiter zunimmt. Ich glaube von daher, dass es richtig ist, Druck auf Russland zu machen, ihnen deutlich zu machen, dass wir zusammenarbeiten müssen dabei, die Lage zu befrieden. Die Äußerung, es sei weniger wichtig, wer dort regiere, als dass dort Frieden herrsche, ist zunächst mal zumindest unter humanitären Gesichtspunkten sicher richtig.

    Heuer: Aber Druck auf Russland auszuüben, ist eine Idee mit ungewissem Ausgang. Können Sie das noch mal konkret sagen: Wie soll man denn diesen Druck erhöhen, außer durch gutes Zureden – und das hat ja bislang wenig bewirkt?

    Graf Lambsdorff: Nun, man kann dieses gute Zureden fortsetzen, man muss es fortsetzen, man kann das Thema im Weltsicherheitsrat auf die Tagesordnung setzen, Russland da auch diplomatisch ein wenig in die Enge treiben. Denn wenn dort Resolutionstexte vorgelegt werden, gegen die außer Russland und China niemand ist, dann zeigt das auch, dass Moskau in der Frage diplomatisch isoliert ist. Ich glaube, es gibt hier Möglichkeiten. Aber Sie haben schon Recht: In der Außenpolitik sind in solchen Fragen die Mittel sehr beschränkt und die Mittel muss man vorsichtig einsetzen, um eine Lösung herbeizuführen, die vom Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan rettet, was zu retten ist, die die Lage befriedet. Das Thema "Regime Change", also eine Änderung des Regimes in Damaskus selber, ist völlig Tabu für die Russen, für die Chinesen, aber auch für viele andere Mitglieder der Vereinten Nationen. Von daher, glaube ich, muss man mit Augenmaß an diese ganze Frage herangehen.

    Heuer: Sehen Sie noch eine andere Möglichkeit, Assad zum Aufgeben zu überzeugen?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, wir müssen weitermachen mit der Erhöhung des wirtschaftlichen Drucks. Die Europäische Union hat inzwischen 16 Sanktionsrunden verhängt gegen das Regime. Mit dem diplomatischen Druck, die Ausweisungen der Botschafter und des diplomatischen Personals habe ich eben schon erwähnt. Mit dem völkerrechtlichen Druck, dass man weiter versucht, im Sicherheitsrat Fortschritte zu erzielen. Ich denke, dass das das Wichtigste ist. Und dann wäre es natürlich gut, man könnte tatsächlich dahin kommen, diese humanitären Zonen einzurichten, die Kofi Annan vorgeschlagen hat, um zumindest denjenigen, die vor dem Regime fliehen wollen, einen sicheren Hafen zu bieten.

    Heuer: Aber, Graf Lambsdorff, das Ausweisen von Botschaftern, das tut dem Regime in Damaskus bisher offenbar nicht wirklich weh. Und mehr UN-Beobachter können bislang auch nicht in das Land geschickt werden. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass mit etwas mehr Druck und noch etwas mehr Reden sich diese Situation verändert?

    Graf Lambsdorff: Frau Heuer, meine Hoffnung ist sehr überschaubar und ich will die Sache auch überhaupt nicht schönreden. Das ist eine fürchterlich frustrierende Situation im Angesicht einer humanitären Katastrophe. Nur die Alternativen sind eben noch schlimmer. Eine militärische Invasion in Syrien ist mit dem Vorgehen in Libyen überhaupt nicht zu vergleichen, weil das ja das Beispiel ist, das vielen Hörerinnen und Hörern vielleicht auch vorschwebt. Man muss sich einfach anschauen, dass Libyen eine ganz, ganz schwache militärische Struktur hatte, während Syrien eine Armee hat, die vollständig auf das Regime und den Regimeerhalt ausgerichtet ist. Syrien ist verbündet mit dem Iran, Syrien hat zwei starke Verbündete im Weltsicherheitsrat mit Russland und China, die gesagt haben – das muss man sich bitte ganz konkret vor Augen führen -, dass ein Angriff auf Syrien gleichbedeutend wäre mit einem Angriff auf sie selber. Mit anderen Worten: Wir haben eine völlig andere Lage und da ist nichts schönzureden. Die Hoffnung ist einfach, dass durch das geduldige Bohren sehr, sehr dicker Bretter das Regime endlich zur Einsicht kommt und mit dem Morden aufhört.

    Heuer: Hat Hollande dann mit seinem Vorstoß eben in Richtung auf eine militärische Intervention im Grunde sogar der Sache einen Bärendienst erwiesen, weil ja jeder sieht, das ist ein Vorschlag, der offenbar unrealistisch ist?

    Graf Lambsdorff: Wenn Sie so direkt fragen, kann ich Ihnen da nur Recht geben. Denn natürlich ist die Abwehrreaktion aus Moskau und Peking stante pede erfolgt. Und ich glaube, dass das Ziel des Westens jetzt sein muss, mit den Russen gemeinsam auf das Regime einzuwirken. Natürlich hört Damaskus eher auf Moskau als auf Washington, eher auf Peking als auf Paris, das ist ganz klar. Deswegen ist die Antagonisierung der beiden Regierungen in Moskau und Peking sicherlich der klügste Weg, um hier Fortschritte zu erzielen.

    Heuer: Die deutsche Bundesregierung, das Außenministerium, hat sich ja recht zurückhaltend auch geäußert zu Hollandes Vorstoß. Welche Rolle kann aus Ihrer Sicht die deutsche Bundesregierung jetzt im weiteren Verlauf spielen?

    Graf Lambsdorff: Ich glaube, die Bundesregierung ist gut beraten daran, weiter im europäischen Verbund die Dinge zu besprechen. Es ist ja bemerkenswert, dass die Ausweisung der Diplomaten weltweit koordiniert war, auch in der Europäischen Union. Ich glaube, dass so einzelne Vorstöße wie die von Francois Hollande – das zeigt sich ja gerade -, die ausscheren aus der europäischen Beteiligung, am Aufrechterhalten und Erhöhen des Drucks auf Syrien letztendlich nicht viel bringen. Das Ganze muss abgestimmt sein und deswegen ist die Bundesregierung sehr gut beraten, weiterhin so mit den europäischen Partnern sich abzustimmen, wie sie es bisher getan hat.

    Heuer: Heute spielt das Thema Syrien noch mal eine Rolle bei den Vereinten Nationen. Welchen Ausgang dieses Treffens, welche konkreten Ergebnisse erhoffen Sie sich?

    Graf Lambsdorff: Also, ich erhoffe mir davon, dass der Druck auf das Regime weiter steigt, die Beobachtermission zuzulassen. Ich bin der Meinung, dass selbst wenn den Beobachtern natürlich in gewisser Weise die Hände gebunden sind, weil sie unbewaffnet sind, alleine die Präsenz internationaler Beobachter vielleicht an der einen oder anderen Stelle dazu führt, dass es nicht zu bestimmten Verbrechen kommt, die in Abwesenheit solcher Beobachter geschehen würden. Ich hoffe auch, dass dem Regime noch einmal deutlich vor Augen geführt wird, wie isoliert es ist, außer, was Moskau und Peking angeht. Ich hoffe mit anderen Worten, dass wir Fortschritte erzielen dabei, dass in Damaskus endlich Vernunft einkehrt und das Morden ein Ende hat. Ich glaube, dass eine Zukunft mit Präsident Assad an der Spitze in Damaskus für viele Menschen inzwischen nur noch sehr schwer vorstellbar ist, aber dann braucht man eine konstruktive andere Lösung und die kann nicht lauten militärische Intervention. Wie gesagt, die Situation ist völlig anders als in Libyen.

    Heuer: Und wen kann man unterstützen in Syrien, denn da ist die Lage ja auch nicht mehr so eindeutig, wer ist eigentlich Freund und wer ist Feind? Und auf wen muss die Staatengemeinschaft Druck ausüben und ihren Einfluss ausüben?

    Graf Lambsdorff: Also, die syrische Opposition ist ausgesprochen schwach, sie ist ausgesprochen zersplittert. Der Assad-Clan repräsentiert ja eine Minderheit, die Alaviten in Syrien. Und in diesem Clan gibt es unterschiedliche Kräfte, bei denen – das wissen wir allerdings nur aus sehr, sehr indirekten Quellen – der Präsident selber gar nicht einmal die stärkste Figur sein soll, sondern es gibt in der Familie einige Beteiligte, die Teile der Armee befehligen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind. Ich glaube, dass hinter den Kulissen dort auf diese Personen Druck ausgeübt werden sollte, um zu einer Stabilisierung der Situation zu kommen.

    Heuer: Wenn das alles nichts bringt, Graf Lambsdorff, dann bleiben die Bilder hängen, wie nach dem Massaker in Hula Annan Assad die Hand gibt. Weiter so in Syrien?

    Graf Lambsdorff: Frau Heuer, ich habe das eben schon gesagt: Ich will das nicht beschönigen. Es ist fürchterlich frustrierend. Ich glaube, dass die Rolle der Türkei hier wichtig ist. Die Türkei kann als unmittelbarer Nachbar die humanitäre Situation erleichtern. Es gibt ja bereits ein Flüchtlingslager, in das Menschen aus Syrien fliehen können. Ich glaube nur, dass ein militärischer Einsatz in Syrien einen solchen Flächenbrand in einer ohnehin hochgradig sensiblen Region nach sich ziehen würde, mit einer Beteiligung Irans an einem großen regionalen Krieg, dass, so schrecklich das ist, was wir jetzt sehen, die Alternative noch schrecklicher wäre. Politik, gerade Außenpolitik, ist eben nicht immer die Auswahl zwischen positiven und noch besseren Optionen. In diesem Fall ist es die Auswahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Option.

    Heuer: Der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Graf Lambsdorff: Ich danke Ihnen, Frau Heuer.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.