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Syrien
Junge Franzosen im Djihad

Mehrere Tausend Europäer kämpfen verschiedenen Schätzungen zufolge inzwischen in Syrien gegen das Assad-Regime. Unter ihnen zwei Schüler aus dem französischen Toulouse, die sich Anfang Januar auf den Weg machten, um in den Djihad zu ziehen.

Von Birgit Kaspar | 30.01.2014
    Ein zerstörtes Haus in Aleppo im Jahr 2013
    In syrischen Städten wie Aleppo setzten junge Europäer ihr Leben aus Spiel. (dpa / picture-alliance / Thomas Rassloff)
    Ein idyllischer kleiner Park am Ufer der Ariège in Pinsaguel. Die Vögel zwitschern, ein Großvater geht mit seinen beiden Enkeln in der Wintersonne spazieren. Sonst bewegt sich nicht viel. Vielleicht zu wenig.
    In einem Einfamilienhaus im Neubauviertel der 2500-Einwohner-Gemeinde lebt der 15-jährige Hakim. Als er am 6. Januar ohne Vorankündigung mit seinem 16-jährigen Schulfreund Hassan verschwand war sein Vater fassungslos:
    "Er war ein lebenslustiger Junge, ruhig, er hatte überhaupt keinen Kontakt zum islamistischen Milieu, er ging nicht in die Moschee und spricht kein Arabisch."
    Hakims Eltern stammen aus Tunesien, sie sind Muslime, aber nur auf dem Papier, wie sie selbst sagen. Hakim war ein guter Schüler im Lycée des Arènes in Toulouse, er war sogar Klassensprecher und galt auch in Pinsanguel als ausgezeichnet integrierter Junge. Die Eltern, die Lehrer und die Klassenkameraden rätseln, was ihn bewogen haben könnte, in den Djihad nach Syrien zu ziehen. Einer seiner Schulfreunde meint: Es sei nicht nur religiös, sondern humanitär motiviert gewesen. Nach dem Motto: Wenn die UNO nichts ausrichten könne, dann gehe er eben selbst.
    "Die Betroffenen gehen freiwillig und zielgericht"
    Von einer Anwerbung im klassischen Sinne könne heute kaum noch die Rede sein, erklärt Mathieu Guidere, Professor für Islamologie und Geopolitik an der Universität Toulouse II:
    "Die Betroffenen gehen freiwillig und zielgerichtet. Die jungen Leute suchen sich die ideologisch gefärbten Informationen und radikalisieren sich im stillen Kämmerlein per Internet, vor allem in sozialen Netzwerken. Dann gibt es einen Anlass und das Ganze wird zur Obsession. Sie wollen etwas tun, Teil von etwas sein."
    Ein ansprechendes Video, ein Aufruf eines islamischen Geistlichen im Internet werde oft als persönliche Einladung verstanden, so Guidere, und schließlich machten sie sich auf eigene Kosten auf in eine völlig ungewisse Zukunft. Vieles deutet darauf hin, dass es bei Hakim ähnlich abgelaufen ist. Besonders gefährdet seien junge Menschen in einer Pubertätskrise, die eine Utopie suchten, eine radikale Veränderung ihrer Umwelt, erläutert Guidere:
    "Denn auf dem internationalen Markt gibt es heute keine Angebote zur radikalen Veränderung des Systems mehr - außer dem Djihadismus. Und so gleiten sie von einem revolutionären Ideal in den Djihadismus ab."
    Kanonenfutter und Propagandazwecke
    Was diese jungen, untrainierten Europäer nicht realisierten: Sie würden von den Al Kaida-nahen Milizen in Syrien entweder als Kanonenfutter oder zu Propagandazwecken missbraucht.
    "Aus militärischer Sicht haben die Ausländer keinen großen Wert. Aber für die Medien, für den Propagandakrieg sind sie sehr wichtig."
    Es sind solche Videos auf YouTube, die junge Franzosen ansprechen. Rund 250 kämpften derzeit an der Seite der Djihadisten in Syrien, darunter etwa ein Dutzend Minderjährige, erklärte Innenminister Manuel Valls. Tendenz steigend. Dieses Phänomen habe eine nie dagewesene Größenordnung, die ihn beunruhige, so Valls. Vor allem gewaltbereite Rückkehrer stellten eine potenzielle Gefahr dar. Die Regierung sucht nun nach einer Strategie, um einen weiteren Exodus französischer Jugendlicher in den syrischen Djihad zu verhindern.