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Syrien-Krieg
Keine geeinte kurdische Kraft

Die kurdische Miliz YPG strebt eine Art Syrisch-Kurdistan an der türkischen Grenze an. Bei vielen syrischen Kurden gilt sie als Hoffnung. Dabei ist ihre Rolle in dem Konflikt umstritten - die anderen kurdischen Organisationen lehnen eine Zusammenarbeit ab.

Von Björn Blaschke | 20.08.2016
    Ein Mann und ein Junge fahren auf einem Motorroller durch eine Straße in Manbidsch, der Junge winkt in die Kamera.
    Viele Einwohner von Manbidsch sind in ihre Heimat zurückgekehrt. (DELIL SOULEIMAN / AFP)
    Ergreifende Szenen im nordsyrischen Manbidsch, nachdem der IS abgezogen ist. Eine Frau ruft: "Ich fühle mich so glücklich, es ist als würde ich träumen. Ich kann es noch gar nicht glauben. Ich habe Dinge gesehen, die niemand sonst gesehen hat."
    Szenen, die ergreifend sind, aber auch mit einer gewissen Distanz gesehen werden sollten. Sie stammen von einem Fernsehender, der als einseitig gilt. Er steht der kurdischen Miliz nahe, die zusammen mit arabischen Kämpfern und mit US-Luftwaffenunterstützung den IS aus Manbidsch vertrieben hat. Daher jubelt diese Frau zwar in die Kamera des TV-Teams, richtet ihre Worte aber an ihre Befreier:
    "Möge Gott Euch preisen. Ihr seid unsere Kinder, Ihr seid unsere Helden, Ihr seid unsere Augen."
    Die Frau meint die YPG, die sogenannten Volksverteidigungseinheiten. Diese Volksverteidigungseinheiten wiederum sind der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen Union, kurz PYD. Beide - PYD und YPG - haben in den vergangenen Jahren unzweifelhaft Erfolgsgeschichte geschrieben, unmittelbar verwoben mit dem Krieg in Syrien, wegen ihres häufig erfolgreichen Kampfes gegen Islamisten. Wie gezeigt in diesem Video mit dem Titel: "YPG haut drauf, Al-Qaida haut ab."
    Gegründet wurde die Partei der Demokratischen Union im Jahre 2003, und zwar auf Beschluss der PKK, der vor allem in der Türkei aktiven Arbeiterpartei Kurdistan. Die Ideologie der PYD entspricht der der PKK: Offiziell will sie keinen eigenen Kurdenstaat, sondern in den Staaten, in denen die Kurden ihre Heimat sehen, autonome Gebiete. So wie es im Irak ein Irakisch-Kurdistan gibt, soll eines in der Türkei entstehen, eines im Iran und eines in Syrien. Und diese Gebiete sollen, wenn möglich, zusammenarbeiten, in einem demokratischen Konföderalismus.
    PYD gilt den USA und Deutschland nicht als Terrororganisation
    Außerdem fordert die PYD – laut Parteiprogramm – die Achtung der Menschenrechte, die Freilassung politischer Gefangener, Meinungsfreiheit und die Abschaffung der Todesstrafe, sowie die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Doch obwohl PKK und PYD diese ideologischen Grundpfeiler teilen, betonen sie, unabhängig voneinander zu sein. Und in einem Punkt sind sie es auch ganz gewiss: Die PKK gilt den USA und Deutschland als Terrororganisation, die PYD nicht. Was es leichter macht, die PYD zu unterstützen, zum Beispiel in ihrem Kampf gegen den IS.
    Seit 2011 der Aufstand gegen Syriens Präsident Bashar al-Assad begann, arbeitet die PYD verstärkt an der Umsetzung ihrer Ideen. Daran, dass eines Tages, offiziell anerkannt, Rojava Wirklichkeit wird: West-Kurdistan, das ungefähr dem Landstrich entlang der Staatsgrenze zur Türkei entspricht. Ein autonomes Syrisch-Kurdistan sozusagen. Salih Muslim, einer der zwei PYD-Vorsitzenden, in der BBC:
    "Wir sind eine demokratische Kraft. Wir müssen demokratisch bleiben, wir versuchen ein demokratisches Syrien, ein demokratisches, pluralistisches Syrien für die Zukunft zu entwickeln."
    Das war 2014. Zwei Jahre später, am 17. März dieses Jahres, rief dann eine Versammlung von kurdischen, assyrischen, arabischen und turkmenischen Delegierten eine autonome Föderation aus: Rojava, bestehend aus drei Kantonen. Zu ihnen zählt auch Kobane, jener Ort, der monatelang zwischen den YPG und den Islamisten des IS umkämpft war, bis im Frühjahr 2015 die Befreiung Kobanes gefeiert wurde. Bis heute werden Hymen auf diesen Sieg geschrieben – von klassisch-kurdisch bis modern, den Kampf der Frauen verherrlichend.
    PYD ist umstritten
    Der Erfolg scheint der PYD und ihren bewaffneten Einheiten, den YPG, Recht zu geben. Doch die PYD ist umstritten, und zwar nicht nur in Ankara. Die türkische Führung macht keinen Unterschied zwischen PYD und PKK. Genauso die irakischen Kurden, deren ideologische Ausrichtung überwiegend anders ist als die der PYD.
    Auch in der kurdischen Bevölkerung Syriens betrachtet mancher sie mit Argwohn: Kritiker unterstellen ihr, dass sie nicht für Autonomierechte kämpft, sich vielmehr langfristig aus Syrien lösen will, um einen eigenen Staat zu gründen. Obendrein heißt es, die PYD trete undemokratisch auf, bringe politische Gegner gegebenenfalls einfach um. Dann heißt es wieder, die PYD arbeite insgeheim mit der Führung in Damaskus zusammen. Was der PYD-Co-Vorsitzende, Salih Muslim, mehrfach bestritten hat:
    "Es ist ein Fehler, das zu sagen. Wir kämpfen gegen dieses Regime. Wir haben Opfer deshalb zu beklagen. Auch Tote."
    Mit den anderen kurdischen Organisationen, mehr als ein Dutzend an der Zahl, kommt die PYD jedenfalls nicht zusammen, trotz verschiedener Vermittlungsversuche und Abkommen. Der KNC, der Kurdische National-Rat, der auch in dem großen syrischen Oppositionsbündnis vertreten ist, das in Istanbul seinen Sitz hat, sieht in der PYD einen Gegner. Vor wenigen Tagen erst beklagte der KNC, der Geheimdienst der PYD habe eines seiner hochrangigen Mitglieder in Nord-Syrien zunächst verhaftet und dann nach Irakisch-Kurdistan verschleppt. Dort sei er auf freien Fuß gekommen, verbunden mit der Drohung, wenn er je nach Rojava zurückkommt, werde er getötet. Auch andere politische Widersacher soll die PYD in den vergangenen Tagen zeitweilig eingesperrt haben.
    Doch die meisten syrischen Kurden interessieren sich für derlei Vorwürfe und Auseinandersetzungen nicht: Sie sehen in der PYD die Kraft, die sich Extremisten wie dem IS entgegenstellt. Erfolgreich.