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Syrien-Krieg
Menschen leiden unter den schlimmsten Kämpfen

Nach Angaben der Vereinten Nationen toben momentan in Syrien die schlimmsten Kämpfe seit Beginn des Krieges. Besonders betroffen ist die Stadt Ost-Ghouta, aber auch die Provinz Idlib im Norden Syriens. Von unermesslichen Folgen für die Zivilbevölkerung spricht UN-Sprecherin Liz Throssell.

Von Anna Osius | 14.02.2018
    Mitglieder des syrischen Zivilschutzes "White Helmets" evakuieren ein Opfer der Kämpfe in Ost-Ghouta in Syrien
    Mitglieder des syrischen Zivilschutzes "White Helmets" evakuieren ein Opfer der Kämpfe in Ost-Ghouta in Syrien (AFP / Abdulmonam Eassa)
    Bombenangriff in Ost-Ghouta bei Damaskus vor wenigen Tagen. Bilder aus sozialen Netzwerken, die von der Nachrichtenagentur Reuters auf Echtheit überprüft wurden, zeigen ein Trümmerfeld, überall ist Staub. Ein Junge, zehn Jahre alt, ist verletzt, wird von Helfern aus dem zerstörten Gebäude getragen.
    "Wo ist mein Vater, mein lieber Vater?", schreit das Kind und weint. Helfer legen es in einen Minivan, der ihn zu einer provisorischen Krankenstation bringt. Ob der Vater des Jungen den Bombenangriff überlebt hat, erfahren wir nicht.
    "Wir erleben seit einer Woche massiv ansteigende Gewalt und Blutvergießen in Syrien", sagt Elizabeth Throssell, Sprecherin des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. "Mehr als 1000 Zivilisten sind in den vergangenen Tagen verletzt oder getötet worden. Es muss dringend aufhören. Syrien hat sieben blutige Jahre erlebt, aber das jetzt ist selbst nach syrischen Maßstäben schrecklich, es ist furchtbar, eine Schande."
    400.000 Menschen in Ost-Ghouta sind eingeschlossen
    Die syrische Armee von Präsident Assad hat eine neue Offensive auf die noch von Aufständischen gehaltenen Gebieten in Syrien begonnen. Die Zahl der Luftangriffe hat Beobachtern zufolge deutlich zugenommen. In Ost-Ghouta bei Damaskus ist die humanitäre Lage Berichten zufolge dramatisch - die Region wird von Regierungstruppen belagert. Nach Schätzungen der UN sind rund 400.000 Menschen eingeschlossen und brauchen dringend Hilfe - es mangelt an Lebensmitteln und medizinischer Versorgung.
    "Unser medizinisches Equipment wird knapp", so Fatah Ghoutani, Arzt in Ost-Ghouta. "Diese Angriffe führen dazu, dass die Versorgung wirklich schwierig wird. Alle Straßen sind blockiert, so dass keine medizinische Hilfe rein kommt. Gott möge uns schützen in den kommenden Tagen, wir wissen nicht, was mit uns passieren wird, es ist sehr gefährlich."
    "Wir denken, das zählt zu Kriegsverbrechen"
    Nach Angaben der Vereinten Nationen toben derzeit in Syrien die schlimmsten Kämpfe seit Beginn des Krieges. Nicht nur in Ost-Ghouta, sondern auch in der Provinz Idlib im Norden Syriens. Die Regierungsgegner, darunter auch mehrere dschihadistische Gruppen, antworten auf das Bombardement mit heftigem Beschuss - nach Angaben der Vereinten Nationen sind mehr als 270.000 Menschen vor den Kämpfen geflohen. Assad bezeichnet die Aufständischen als Terroristen und will die Gebiete zurückerobern – auch Ost-Ghouta. Von dort wird regelmäßig vereinzelt Damaskus beschossen. Doch die Folgen des Krieges für die Zivilbevölkerung seien unverhältnismäßig, so UN-Sprecherin Throssell:
    "Wir sehen, dass nicht erlaubt wurde, Menschen zu retten, Hilfe zuzulassen, wir sehen, dass zivile Einrichtungen, Wohnviertel und Krankenhäuser bombardiert werden. Das dürften Kriegsverbrechen sein. Am Ende muss das ein Gericht entscheiden, aber wir denken, das zählt zu Kriegsverbrechen."
    Wer überlebt und wer nicht - nur noch ein grausames Glückspiel
    Helfer der Weißhelme filmen in Ost-Ghouta ihren Einsatz. Wacklige Sequenzen einer nicht enden wollender Hoffnungslosigkeit. Die Weißhelme sind eine Zivilschutzorganisation, nach eigenen Angaben unabhängig, Kritiker werfen ihnen vor, Terroristen zu unterstützen. Auf dem Internet-Video ist zu sehen, wie Helfer ein Kind aus den Trümmern ausgraben - ein kleiner Junge, beim Luftangriff verschüttet.
    Vorsichtig räumen die Helfer mit bloßen Händen das Geröll beiseite, legen das Gesicht frei, stemmen größere Steine zur Seite. Der Junge lebt. Die Kamera begleitet die Helfer nach draußen, sie tragen das Kind, rennen zu einem Auto, wollen ihn offenbar zu einem Arzt bringen. In diesem Moment sind wieder Flugzeuge zu hören - ein neuer Luftangriff. Einige Männer rennen zurück ins Gebäude, suchen Schutz. Zurück bleibt nur das Auto, allein auf der Straße mit einem Helfer darin, das Kind auf dem Arm. Schüsse sind zu hören. Dann reißt das Video ab. Wer überlebt und wer nicht - in Ost-Ghouta in Syrien ist das offenbar schon längst nur noch ein grausames Glückspiel.