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Syrien-Krise
Idlib rüstet sich für Assads-Angriff

In Teheran beraten die Regierungschefs der Türkei, Russland und Iran über den Syrien-Konflikt. Experten sind sich einig, dass einzig sie Assads Offensive auf die verbliebene Rebellenhochburg Idlib noch verhindern können. Dort bereitet man sich mit Höhlen und Gasmasken auf den Fall vor.

Von Carsten Kühntopp | 07.09.2018
    Auf einem Lastwagen hocken Kinder neben Gepäck, die Familie fährt aus Idlib in Richtung Norden.
    Viele Familien fliehen wegen der angedrohten Militäroffensive aus Idlib in Richtung Norden (AFP / Aaref Watad)
    In der Provinz Idlib bereiten sich viele Menschen auf einen Angriff vor. Einige legen Lebensmittelvorräte an, zum Beispiel in Höhlen unter ihren Häusern, berichtet Jaafar Abu Ahmed, ein Familienvater:
    "Wir haben diese Höhle vor fünf Jahren gebaut, weil unsere Kinder Angst bekommen, wenn sie Flugzeuge und Bomben hören. Ein Haus kann uns vor einem Angriff nicht schützen. Also gehen wir alle hier runter und sagen den Kindern, dass Gott Sicherheit gibt. Wann immer ein Flugzeug kommt, sind die Kinder hier unten ganz ruhig. Meine Frau, meine Kinder und ich haben zwei Monate gebraucht, diese Höhle auszugraben."
    Angst vor einen Giftgasangriff
    Huthaifa al-Shahhad hat hingegen Gasmasken gebastelt, aus Plastiktüten, Pappbechern, Watte und etwas Kohle: "Russland behauptet, dass die Terroristen hinter den Gasangriffen stecken. Aber die ganze Welt weiß, dass Russland und Assad uns mit Chemiewaffen angreifen werden. Darauf bereiten wir uns vor, mit einfachen Schutzmasken, die wir uns bei einem Angriff über den Mund halten können."
    Geschätzt drei Millionen Menschen leben in Idlib, etwa die Hälfte davon sind Binnenflüchtlinge. Alle wissen: Nachdem Regierungskräfte alle anderen großen Rebellengebiete zurückerobert haben, ist nun Idlib dran. Präsident Assad scheint mit einer Offensive nicht viel länger warten zu wollen. Auch deshalb, weil es radikale Islamisten und Jihadisten sind, die unter den zahllosen Milizen in Idlib dominieren - die etwa Zehn- bis 60-tausend Kämpfer von Hay'at Tahrir al-Scham. Auch die Vereinten Nationen und die Türkei stufen diese mächtige Allianz als Terrororganisation ein. Aron Lund von der Century Foundation, einer Denkfabrik:
    "Früher waren sie als Nusra-Front bekannt, die der offizielle syrische Ableger von Al-Kaida war. Jetzt sagen sie, sie hätten diese Verbindung getrennt, aber das glaubt die Welt ihnen nicht. Sie hängen einer jihadistischen Ideologie an und haben viele ausländische Bewaffnete, die früher in Afghanistan, im Irak und andernorts gekämpft haben."
    Die Türkei will dennoch einen Großangriff verhindern. Sie fürchtet, dass sonst Hunderttausende Menschen versuchen könnten, sich in der Türkei vor der Gewalt in Sicherheit zu bringen. Der Terrorbedrohung wollen die Türken anders begegnen, sagt Aron Lund: "Sie versuchen, die extremen jihadistischen Elemente in Idlib rauszudrücken. Sie versuchen, diese Gruppen mit einer Art Zuckerbrot und Peitsche umzuformen. Aber bisher haben sie da nicht viel erreicht."
    Vereinten Nationen warnen vor humanitären Katastrophe in Idlib
    Russland könnte dennoch geneigt sein, den Türken entgegenzukommen. Denn der Kreml braucht sie für zwei Projekte: Mit syrischen Oppositionellen ein offizielles Ende des Konflikts auszuhandeln - und Assad international wieder hoffähig zu machen. Und wegen des fortdauernden Streits zwischen Ankara und Washington sind die Türken ein interessanter potenzieller Partner.
    "Grundsätzlich sind die Russen auf Assads Seite, wollen aber die Türken nicht zu sehr provozieren, um sie tiefer in den eigenen Einflussbereich zu ziehen. In Idlib gibt es also ein Patt zwischen Assad auf der einen Seite und den Türken auf der anderen. Beiden buhlen jetzt um Moskau, und für die Russen ist das alles sehr kompliziert."
    Die Vereinten Nationen warnen vor einer humanitären Katastrophe in Idlib. Deshalb steht Russland unter hohem Druck, Assad von einer Großoffensive abzuhalten.