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Syrien
"Man möchte Hunger als Waffe einsetzen"

Der Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland, Sadiqu Al-Mousllie, wirft dem Assad-Regime in Syrien vor, die Bevölkerung gezielt unter Druck zu setzen. Die Regierung und Russland verhinderten gezielt Hilfslieferungen, sagte er im Deutschlandfunk. Trotz des Scheiterns der Friedensverhandlungen glaubt Al-Mousllie nicht, dass sich die USA zurückzögen.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Christine Heuer | 05.10.2016
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie (dpa / picture-alliance / Stefan Jaitner)
    Die USA könnte es sich nicht leisten, komplett "von der Bühne weg zu sein", sagte Al-Mousllie. Das Land habe ein Interesse an Ruhe und Einfluss in der Region. Der Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland zeigte sich überzeugt, dass Washington weiterhin eine Strategie für Syrien habe. Ob die Optionen aber umgesetzt würden, müsse man abwarten.
    Al-Mousllie zeigte Verständnis dafür, dass die USA Islamisten nicht unterstützen würden. Man müsse aber gezielt mit der moderaten Opposition -und der Freien Syrischen Armee - zusammenarbeiten.
    Russland und dem Assad-Regime warf er vor, die Vermittlungspause genutzt zu haben, um weiter Fakten in Syrien zu schaffen. "Man möchte Hunger als eine Waffe einsetzen, das ist die Strategie des Regimes", sagte er im Deutschlandfunk, "unterstützt leider Gottes durch die russische Mentalität".
    Al-Mousllie lebt seit zwanzig Jahren in Deutschland und arbeitet als Zahnarzt in Braunschweig. 2012 schloss er sich der syrischen Opposition an.

    Christine Heuer: War es das jetzt mit ernsthaften Friedensbemühungen für Syrien? Die USA und Russland hätten etwas erreichen können, gemeinsam, doch ihre Zusammenarbeit, der Versuch einer gemeinsam vermittelten und gehaltenen Waffenruhe in dem Bürgerkriegsland hielt nur wenige Tage. Danach wurde und wird vor allem Aleppo stärker bombardiert als je zuvor. Die Zivilbevölkerung ist in einer furchtbaren Lage. Die Vereinten Nationen sprechen von Kriegsverbrechen. Und just auf diesem traurigen Höhepunkt verabschieden sich Washington und Moskau in eine neue Eiszeit. Erst hat Russland einseitig das gemeinsame Abkommen zur atomaren Abrüstung gestoppt, danach brachen die USA förmlich die direkten Gespräche mit Russland über Syrien ab. Und die Syrer? Was bedeutet das für sie? Fragen jetzt an den in Braunschweig lebenden Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat, einem Oppositionsbündnis gegen das Assad-Regime. Guten Morgen, Herr Al-Mousllie.
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Die USA und Russland arbeiten nicht mehr zusammen. Welche Folgen hat das schon jetzt für die Zivilbevölkerung in Syrien? Hören Sie etwas von Ihren Kontaktleuten zum Beispiel in Aleppo?
    Al-Mousllie: Na ja, die Lage in Aleppo hat sich in den letzten Tagen nicht gebessert und die Eskalation und die Bombardierung durch russische Flugzeuge und Flugzeuge des Regimes hat immer zugenommen. Gestern wurde auch ein Krankenhaus wieder gezielt bombardiert und immer mehr versucht man, die Bevölkerung in die Enge zu treiben, um auch den Willen zu brechen und auch sie dazu zu bringen, aus ihren Häusern in andere Orte dann auszuwandern.
    "Hunger als Waffe ist die Strategie des Regimes"
    Heuer: Sind Hilfslieferungen zum Beispiel nach Aleppo jetzt nicht noch unwahrscheinlicher geworden?
    Al-Mousllie: Leider und unter dieser Lage in der Tat. Es ist schwieriger geworden. Wir haben aber auch gesehen, dass die Russen und das syrische Regime gezielt auch dagegen gearbeitet haben, um die Bevölkerung unter Druck zu setzen. Man möchte Hunger als eine Waffe einsetzen, das ist die Strategie des Regimes, unterstützt durch leider Gottes die russische Mentalität. Wir müssen auch hier sehen, dass die Russen kein Vermittlungspartner beziehungsweise als Druckmittel gegen das Regime fungiert haben, wie ja die Amerikaner gehofft haben, sondern die haben die Diplomatie genutzt, um weiter Fakten auf dem Boden zu schaffen, und damit sind sie praktisch auch eine Besatzungsmacht für Syrien, insbesondere nachdem sie diese Raketensysteme S300 und S400 auch eingebracht haben und immer mehr Soldaten auf den Boden in Syrien bringen.
    "Die Russen haben das Machtvakuum genutzt, das Obama geschaffen hat"
    Heuer: Das ist jetzt eine neue Entwicklung, müssen wir noch erklären. Ein Raketen-Abwehrsystem, das die Russen in Tartu stationieren wollen, also in Syrien. - Aus allem, was Sie erzählen, Herr Al-Mousllie, ergibt sich doch die Frage nach der jüngsten Entwicklung, ob die USA die Syrer nun Russland und Assad überlassen.
    Al-Mousllie: Ich glaube nicht, dass die USA sich das leisten kann, komplett aus der Bühne auch weg zu sein. USA hat ein vitales Interesse, dass diese Region eine gewisse Ruhe hat beziehungsweise, dass die USA einen gewissen Einfluss auf diese Region hat. Natürlich: Die zurückhaltende Politik von Obama, die bis jetzt ein Paradebeispiel dafür ist, was auch an negativen Ergebnissen rauskommen kann - das hat man ja gesehen, dieses Machtvakuum, das auch Obama geschaffen hat mit seiner Zurückhaltung -, haben die Russen wunderbar ausgenutzt und haben dann auch ihren Mann in Syrien unterstützt. Das wäre Assad. Aber die USA werden mit Sicherheit ihre eigene Strategie noch haben. Wir hören es auch jetzt und wir hören es auch von den Sprechern des Weißen Hauses, dass schon durchaus andere Optionen angesprochen werden beziehungsweise überlegt werden. Nur ob sie wirklich umgesetzt werden, das werden wir sehen in den nächsten Tagen und Wochen.
    Heuer: Worauf konkret hoffen Sie denn da, Herr Al-Mousllie, auf welche neue Option?
    Al-Mousllie: Hoffen würde ich, ehrlich gesagt, nicht mehr so viel, gerade bei der jetzigen Administration. Ich hoffe, dass einfach das Rotlicht, das auch gegenüber den Rebellen in Syrien bis jetzt aufrechterhalten worden ist, dass die entsprechend bewaffnet werden, damit sie sich verteidigen, ich hoffe, dass dieses rote Licht zumindest verschwindet. Wir brauchen kein grünes Licht, um auch die Rebellen entsprechend dann auszustatten. Es gibt genug Staaten wie die Türkei zum Beispiel, die auch hier die Entscheidung genommen haben und im Norden Syriens jetzt agiert, mit Hilfe natürlich auch des der Freien Syrischen Armee oder umgekehrt die Türken helfen der Freien Syrischen Armee. Da kann man schon was tun! Die USA hat bis jetzt nicht nur einfach zurückhaltend reagiert, sondern sie hat auch andere Staaten davon abgehalten, regionale Staaten davon abgehalten, den Syrern wirklich effektiv zu helfen.
    "Den Russen zeigen, dass sie nicht alleine die Luftherrschaft haben"
    Heuer: Und da sollen die Rebellen mit Waffen ausgestattet werden, die zum Teil und immer mal wieder mit dschihadistischen Islamisten zusammenarbeiten. Ist auch problematisch, oder?
    Al-Mousllie: Das ist in der Tat problematisch. Deswegen haben wir seit 2012 dafür geworben und aufgerufen, dass man das koordiniert mit der moderaten Opposition und auch gezielt dann arbeitet, damit man nicht in dieses Machtvakuum reinkommt. Es gibt aber auch jetzt - und man sieht das auch und die Geheimdienste wissen das -, diese moderate Opposition ist durchaus da, die Freie Syrische Armee ist auch da. Man muss eine Linie ziehen und hier den Russen zeigen, dass sie nicht nur alleine die Luftherrschaft haben, sondern man kann hier auch dagegen vorgehen, und dann werden Sie sehen, dass die auch die Gespräche beziehungsweise dass die Russen gesprächsbereiter sein werden, auch wenn sie natürlich erst mal strampeln werden. Aber Sie werden sehen, dass ihr Mann in Syrien nicht weiterkommen kann, denn die Bevölkerung steht dahinter, und das haben wir gesehen, als die Waffenruhe kam für nur ein paar Tage, dass die Bevölkerung, die Zivilbevölkerung auf die Straßen gegangen ist und hat gegen Assad demonstriert, unter den Trümmern. Aber sie haben ihr Wort gesagt und haben gesagt, dieses Regime hat bei uns nichts zu suchen.
    Heuer: Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und