Donnerstag, 18. April 2024

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Syrische Botschaft in Deutschland
"Gelder für Pässe gehen direkt an Assad"

Dass syrische Flüchtlinge für Reisepassverlängerungen persönlich in der syrischen Botschaft vorsprechen sollen, sei nicht zumutbar, sagte der Politologe Usahma Darrah im Dlf. Bei der Praxis gingen Daten von Geflüchteten ans Assad-Regime, Sicherheit und Eigentum von Angehörigen seien dadurch bedroht.

Usahma Darrah im Gespräch mit Peter Sawicki | 17.12.2018
    Schild der Botschaft der Arabischen Republik Syrien, Residenz in Berlin | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
    Syrische Botschaft in Berlin - "Das ist keine normale Botschaft", sagte Politologe Usahma Darrah im Dlf (imageBROKER / picture alliance)
    Peter Sawicki: Mehr als sieben Jahre dauert schon der Bürgerkrieg in Syrien. Und immer noch ist nicht absehbar, wann dort wirklich Frieden einkehrt. Für die etwa 800.000 geflüchteten Syrer in Deutschland bedeutet das vor allem Ungewissheit. Für viele kommt auch eine Rückkehr in die Heimat auf absehbare Zeit überhaupt nicht Frage. Denn in der Heimat droht ihnen häufig Haft und Folter. Wegen Verrats - das sagt zunindest das Auswärtige Amt. Und trotzdem soll es für sogenannte subsidiär-schutzbedürftige Syrer in Deutschland zumutbar sein, für Reisepassverlängerungen persönlich in die syrische Botschaft zu gehen. Das sagt das Bundesinnenministerium. Darüber haben wir vor der Sendung mit Usahma Felix Darrah gesprochen. Er sitzt im Vorstand des Verbandes deutsch-syrischer Hilfsvereine, und er ist Mitunterzeichner eines Appells an den Berliner Innensneator, diese Praxis zu ändern. Die erste Frage an ihn war, warum ein Gang in die syrische Botschaft nicht zumutbar ist.
    Usahma Darrah: Es gibt eine Reihe von Gründen, warum dies ganz klar als nicht zumutbar gelten sollte. Zunächst ist da der Sicherheitsaspekt zu nennen, denn das ist ja keine normale Botschaft, sondern die Botschaft eines Regimes, das nachweislich die schwersten Verbrechen gegen die eigene Zivilbevölkerung begangen hat und den größten Fluchtgrund auch darstellt. Das heißt, ein Gang in die Botschaft hier in Berlin beinhaltet eine Überprüfung aller Personen durch den repressiven Sicherheitsapparat in Damaskus. Die Daten werden in Datenbanken über Oppositionelle, die Angehörigen und über ihr Eigentum gespeichert. Das heißt, es gibt sehr viele Geflüchtete, die gute Gründe haben, dem Regime nicht mitzuteilen, wo sie sich aufhalten.
    "Politischer Druck gegen Geflüchtete"
    Sawicki: Das heißt, was droht da konkret unter Sicherheitsaspekten?
    Darrah: Also nennen wir mal beispielsweise die Pfändung von Eigentum dort. Wenn man weiß, die Person ist hier, kann man dort jemanden kontaktieren, der das Haus besetzt und es dann einfach pfändet. Beziehungsweise es ist auch oft so, dass Druck ausgeübt wird auf Oppositionelle hier, auf aktive Aktivisten durch die Familie dort. Das ist eine Bedrohung auch für die persönlichen Lebensumstände der Geflüchteten hier. Sie müssen aufgrund des Geschäftsgebarens der Botschaft stundenlang unter einem Assad-Bild sitzen, und das ist eine Art von politischem Druck gegen die Geflüchteten.
    Sawicki: Gut, aber kann man das wirklich als ausreichenden Grund auffassen, da nicht in die Botschaft gehen zu können, wenn man sozusagen, überspitzt formuliert, unfreundlich behandelt wird?
    Darrah: Ich habe ja den Sicherheitsgrund genannt. Das Geschäftsgebaren ist Teil dieses Problems. Es gibt aber auch andere gute Gründe, zum Beispiel den finanziellen Aspekt. Deutschland hat das Ziel, die syrische Opposition und die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Es kann dies aber nicht tun, wenn es hunderttausende Syrer gleichzeitig zur Botschaft hier schickt, um einen der teuersten Pässe der Welt zu kaufen. Die meisten Geflüchteten in Deutschland beziehende Syrer beziehen Leistungen nach Sozialgesetzbuch II und dürfen gar keine Gelder besitzen. Das heißt, oftmals ist das indirekt durch den Steuerzahler sogar finanziert. Wenn man das hochrechnet, bei knapp 750.000, 800.000 Syrern, die Hälfte hat subsidiären Schutz, sind wir da recht schnell bei dreistelligen Millionensummen.
    "Bis zu 2.000 Euro für einen syrischen Pass"
    Sawicki: Wie viele sind das konkret? Also von wie vielen Menschen sprechen wir da konkret derzeit?
    Darrah: Also es sind derzeit gemeldet, ich glaube, 720.000. Es sind noch einige in der Pipeline sicherlich, aber jene mit subsidiärem Schutz, die ja jetzt aufgefordert werden, dort hinzugehen, sind etwa 400.000. Und dort müssen die einen syrischen Pass kaufen für, es beginnt ab 250 Euro. De facto und in der Praxis haben unsere Mitgliedsvereine uns berichtet, dass da sehr viele Syrer kommen, die sagen, sie haben 1.000 Euro verlangt oder 2.000 Euro dort bezahlt. Das ist die alltägliche Praxis, und diese Gelder gehen direkt an Assad. Das ist auch ein Aspekt, der bei der Zumutbarkeit natürlich zu sehen ist. Mal abgesehen davon, dass es auch die außenpolitischen Ziele untergräbt. Man kann nicht sagen, man möchte einen politischen Übergang in diesem Lande auf Verhandlungsbasis erreichen und gleichzeitig ein kriminelles Regime mit hohen Devisenwerten ausstatten. Das macht keinen Sinn.
    Sawicki: Was sehen Sie denn für Alternativen?
    Darrah: Wir sehen dort eine Rückkehr zu der bis im Mai diesen Jahres praktizierten Verfahrensweise, nämlich dass es für Syrer eine Ausnahmestellung gibt. Es ist für sie nicht zumutbar, denn es handelt sich hier nicht um einen normalen Staat, und der Konflikt ist noch nicht vorüber, und es wird über die Zukunft des Landes noch verhandelt. Um die Geflüchteten zu schützen und um ihre Menschenwürde zu schützen und um die eigenen Interessen in Deutschland auch zu schützen, sollte man dies für unzumutbar erklären.
    Sawicki: Aber dann bleibt ja immer noch die Frage, wie Syrer, die in Deutschland sind, an persönliche Dokumente zum Beispiel kommen sollten, wenn die verlängert werden müssten. Wie könnte man dieses Dilemma dann lösen?
    Darrah: Die Verlängerung des Aufenthaltes ist schon geklärt, da sie einen Aufenthaltstitel bereits besitzen. Dafür braucht man keinen Pass. Es handelt sich nur um die Mitwirkungspflicht bei der Besorgung von einem Reisepass, und das ist mit der Zumutbarkeit verbunden. Wenn diese entfällt, wird den syrischen Geflüchteten hier ein Reiseersatzpapier ausgestellt, und das würde reichen. Das hat man ja in der Vergangenheit auch sehr erfolgreich gemacht.
    "Kein Bewusstsein für Lebensrealität der Syrer"
    Sawicki: Warum wurde das dann geändert aus Ihrer Sicht überhaupt?
    Darrah: Ich glaube, das war eine Initiative des Innenministeriums. Dort hat man eine bundeseinheitliche Handhabung angemahnt - offenbar. Das macht aus deren Sicht auch Sinn, aber es muss natürlich das Gesamtpaket geprüft werden.
    Sawicki: Und ist dann aber auch nicht der Innensenator in Berlin der falsche Ansprechpartner, wenn sozusagen das Bundesinnenministerium federführend war bei dieser Änderung?
    Darrah: Das Bundesinnenministerium hat uns noch nicht geantwortet auf unsere Anfrage, und wir leben in Berlin, das heißt, der nächste Ansprechpartner ist zunächst mal das Land. Die Länder sind ja auch hier bei der Durchführung frei und haben sich nicht Maßgaben des Bundes zu unterwerfen, wenn man so möchte. Die können das handhaben wie sie wollen, und es ist auch relativ leicht, das zurückzusetzen auf die Zeit vor dem Mai diesen Jahres.
    Sawicki: Und wieso tut man das bisher nicht aus Ihrer Sicht?
    Darrah: Ja weil kein Bewusstsein besteht dort für die echte Lebensrealität auf dem Boden. Es besteht kein Bewusstsein darüber, wie das Geschäftsgebaren dieser Botschaft ist, und sie sehen auch den Zusammenhang nicht zu den außenpolitischen Fragen oder zur Sicherheitslage in Syrien.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.