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"SZ"-Redakteur: Damokles-Schwert hängt über Guttenberg

Verteidigungsminister zu Guttenberg hat sich selbst "erlegt", sagt Heribert Prantl von der "Süddeutschen" mit Blick auf das Aufklärungsverhalten des Ministers. Entscheidend sei, wie sehr Guttenbergs Glaubwürdigkeit gelitten habe.

Heribert Prantl im Gespräch mit Peter Kapern | 24.02.2011
    Peter Kapern: Der Doktortitel, den Karl-Theodor zu Guttenberg so gern los werden wollte, erwies sich dann doch als klebriger, als ihm lieb war. Er ließ sich einfach nicht ablegen, nicht einmal vorübergehend, denn Doktorentitel werden von Universitäten verliehen und notfalls eben auch wieder aberkannt. Gestern Abend wurde zu Guttenberg dann endlich von seinem, wie er es gesagt hatte, in jahrelanger Kleinarbeit erarbeiteten akademischen Titel erlöst.
    Wenn Karl-Theodor zu Guttenberg sein Plagiat als Zitierfehler verharmlost, so wird im Internet gewitzelt, dann wird als Nächstes wohl der Ladendiebstahl zum Einkaufsfehler umetikettiert. Das klingt fast schon nach Galgenhumor, weil es einfach nicht gelingen will, den Verteidigungsminister zum Amtsverzicht zu bewegen, und das, obwohl die Opposition spätestens gestern im Bundestag auf Frontalangriff umgeschaltet hat. Ein paar Ausschnitte:

    "Jeder Lehrer, jeder Siemens-Manager hätte nach einem solchen unglaublichen Betrug sofort seine Kündigung gesehen!" – "Ja dann kann der auch betrunken fahren, sie hat ihn ja auch nicht als Fahrer eingestellt. Das kann doch wohl nicht wahr sein, meine Damen und Herren!" – " ... , sondern wer das macht, der betreibt die vorsätzliche und planmäßige Übernahme fremden Gedankengutes." – " ... und dann stellt sich Karl-Theodor zu Guttenberg hier hin und erklärt dem Deutschen Bundestag, das alles sei passiert, ohne dass ihm das bewusst gewesen wäre!"

    Kapern: Tondokumente aus der Abteilung Attacke. – Im Studio in München Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Guten Morgen!

    Heribert Prantl: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Prantl, das war ja gestern eine Debatte, die wurde eher mit dem Säbel als mit dem Florett geführt. Hatten Sie mal Mitleid mit Karl-Theodor zu Guttenberg?

    Prantl: Nun ist es ja so: Erfahrungsgemäß, wenn ein politischer Kommentator, wenn ein politischer Journalist Mitleid hat mit einem Politiker, dann ist es um ihn geschehen. Das ist eine Erfahrung aus den letzten 25 Jahren, die ich so gemacht habe. Und ich frage mich immer noch, ob er sich tatsächlich halten kann, auch wenn sich die Union sehr fest und sehr stark um ihn schart. Es ist wohl so: Solange man glaubt, man brauche ihn, wird man versuchen, ihn zu halten, und entsprechend hat die CDU/CSU gestern agiert und entsprechend reagiert auch die Kanzlerin. Das Ganze wird offensichtlich in seiner Bewertung durch die Partei zu Guttenbergs sehr abhängig gemacht von den Umfragen. Wenn die Umfragen fallen sollten, und ich rechne damit, dann glaube ich nicht, dass das politische Überleben zu Guttenbergs schon gesichert ist.

    Kapern: Schauen wir doch noch mal, Herr Prantl, auf die Entscheidung der Universität Bayreuth von gestern. Karl-Theodor zu Guttenberg argumentiert, er habe gravierende Fehler gemacht, aber er habe nicht mit Absicht getäuscht. Nun hat ihm die Universität gestern den Doktortitel entzogen, sagt aber gleichzeitig, eine Entscheidung, ob getäuscht wurde oder nicht, habe sie nicht gefällt. Wie bewerten Sie das? Ist das ein Gefälligkeitsgutachten der Uni oder ein salomonisches Urteil?

    Prantl: Weder noch. Es ist weder Gefälligkeit, noch salomonisch. Es ist ein bisschen dürftig in der wissenschaftlichen Begründung. Die Universität Bayreuth beruft sich auf Artikel, auf § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Da steht drin, dass ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen werden kann. Über die Rechtswidrigkeit sagt die Stellungnahme ziemlich wenig und der Universitätspräsident sagt in seiner Presseerklärung etwas sehr Eigenartiges. Er spricht von einer objektiven Täuschungslage. Nun ist der Präsident kein Jurist, aber das hat mit Juristerei nichts zu tun, was er hier sagt. Es gibt keine objektive Täuschungslage, weil in der Täuschung – und das ist die juristische und die strafrechtliche Lehre seit Hegel – steckt ein subjektives Element. Man wollte ganz offensichtlich nicht auf die Frage eingehen, hat zu Guttenberg zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, was war das Motiv seines Handelns, und das ist das eigentlich Spektakuläre an dem Fall. Ich kann mir bei dem Umfang des Plagiats – es sind ja auf 270 von 393 Textseiten unausgewiesene Quellen benutzt worden – nicht vorstellen, dass es sich um bloße Fahrlässigkeit, um Nachlässigkeiten handelt, so wie es zu Guttenberg darstellt.

    Kapern: Wer klärt denn die Frage jetzt, Herr Prantl, ob es vorsätzliche Täuschung war oder nicht?

    Prantl: Es wird nicht mehr vom Promotionsausschuss geklärt werden. Der hat ja gestern abschließend entschieden und mit einer sehr weichen Erklärung die Promotion widerrufen. Es wird dieses Wissenschaftsgremium zur Klärung von Ethik in Wissenschaftsfragen weiter prüfen, das es an der Universität Bayreuth gibt, und das wird noch ziemlich lange dauern.

    Kapern: Das Damokles-Schwert schwebt also weiter über dem Minister?

    Prantl: Das Damokles-Schwert, glaube ich, schwebt auch unabhängig von diesem Ethikverfahren in der Wissenschaft über ihm. Dafür ist die Sache viel zu spektakulär, dafür ist die Öffentlichkeit zu aufgewühlt, dafür wird in viel zu vielen Familien und in den Schulen zurecht über den Fall diskutiert. Der ganze Wissenschaftsmarkt, die ganze Wissenschaftsgemeinde ist nach wie vor zurecht sehr alarmiert. Das lässt sich nicht einfach mit einem Einkassieren des Doktortitels beruhigen.

    Kapern: Herr Prantl, lassen Sie uns noch kurz über einen anderen Aspekt dieser Geschichte reden. Zu Guttenberg und seine Verteidiger üben ja auch eine heftige Medienschelte. Es wird der Vorwurf der Kampagne erhoben. Ihre Zeitung macht heute auch wieder auf mit diesem Thema. Der Artikel steht rechts oben auf der Seite, da wo die Leser als allererstes hinkommen, ist also höherrangig eingebaut auf die Titelseite als beispielsweise der Artikel über die Lage in Libyen. Haben Journalisten bei der Jagd auf zu Guttenberg eine rote Linie überschritten?

    Prantl: Nein! Es gibt keine Jagd auf Guttenberg. Herr Guttenberg hat sich, wenn ich in diesem etwas seltsamen Bild bleiben will, selber erlegt. Er war es, der in seiner Doktorarbeit furchtbare Fehler – und auch Fehler ist schon beschwichtigend – gemacht hat. Ein Wissenschaftler hat es bei der Rezension seiner Arbeit entdeckt, ein Wissenschaftler hat die Presse informiert, die Presse zusammen mit der Internet-Gemeinde hat nachrecherchiert, das ist ja so, als ob man den Boten für seine Nachricht abstraft. Es gab in dieser Angelegenheit keine Kampagne und wenn Sie die heutige Seite Eins der Süddeutschen Zeitung anschauen: Der Aufmacher handelt von Libyen und das Bild darüber und der zweite Aufmacher, wenn Sie so wollen, von Guttenberg. Das ist angesichts der Dimension, die die Sache hat, vernünftig und gut so. Ich denke, das Publikum ist der Gestalt interessiert und alarmiert, dass man sie in dieser Weise unterrichten muss, und ich glaube nicht, dass in der Art und Weise, wie kommentiert wurde, gehässig weder bei uns noch bei anderen großen Zeitungen, kommentiert wurde. Es wurde deutlich kommentiert, weil ja auch die Werte, die die CDU/CSU und Guttenberg immer hochgehalten haben, Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, weil all diese Werte mit diesem Handeln infrage gestellt worden sind.

    Kapern: Vielleicht liegt ja die Kampagne auch an einer ganz anderen Stelle. Die Bildzeitung hat gestern eine Telefon- und Fax-Aktion gemacht, deren Ergebnis verkündet sie heute auf Seite Eins. 87 Prozent derer, die sich da beteiligt haben, wollen, dass zu Guttenberg bleibt. Dieselbe Zeitung, Bildzeitung, macht online eine Umfrage, an der sich bis zu dieser Minute 636.113 Menschen beteiligt haben. Da verlangen 55 Prozent den Rücktritt zu Guttenbergs. Diese Information findet sich in der Bildzeitung aber nicht.

    Prantl: Nun ja, es ist vielleicht ein kleiner Hinweis darauf, dass man Umfragen nicht so wahnsinnig ernst nehmen soll. Über rechtswidriges Verhalten entscheidet immer noch das Recht in diesem Lande und nicht Volksabstimmungen dieser Art und nicht Umfragen, die in Zeitungen abgehalten werden.

    Kapern: Den Menschen – das muss man ja festhalten – ist es ja offenbar egal, wie Karl-Theodor zu Guttenberg zu seinem Doktortitel gekommen ist. Sie halten ihm die Stange. Das könnte ja auch ein Zeichen dafür sein, dass sie sich von Titeln, Honoratioren und Autoritäten einfach nicht mehr beeindrucken lassen. Ist das also so was wie ein Anzeichen für eine Emanzipation von Obrigkeitlichem und eine Konzentration auf das Menschliche?

    Prantl: Das haben Sie schön gesagt. Ich weiß nicht, ob Titel und der akademische Betrieb etwas Obrigkeitliches ist. Es geht ja doch wohl zunächst einmal darum, dass die Menschen in diesen Politiker eines neuen Typus, wie man immer gemeint hat, so viele Hoffnungen gesetzt haben, und man will sich diese Hoffnungen so schnell nicht wegnehmen lassen. Man hält sich an sein Idol und will es nicht entidealisieren. Ich glaube, da werden wir noch einiges Bröckeln und Bröseln erleben, auch in den Umfragen, und die Umfragen – wir haben ja gerade darauf hingewiesen – laufen da durchaus verschieden. Was wir derzeit sehen ist eine Art, das macht die Partei zu Guttenbergs, das macht auch ein Teil der Öffentlichkeit, eine Art Persönlichkeitsspaltung. Man unterscheidet in den Doktoranten Guttenberg, der gefehlt hat, der furchtbare wissenschaftliche Fehler gemacht hat, der geistiges Eigentum gestohlen hat – das ist die eine Seite, die böse Seite -, und auf der anderen Seite ist der gute Guttenberg, dem man all das zugutehalten will, das man ihm bisher auch zugute gehalten hat. Auch Guttenberg selber macht ja so ähnlich, indem er von dem Blödsinn geredet hat, den der andere Guttenberg irgendwie gemacht hat. Ich glaube, dass man diese Persönlichkeitsspaltung nicht wird durchhalten können. Es steht halt eine einzige Persönlichkeit vor uns, die man mit seinen Fehlern und mit seinen Schwächen und mit seinen Pluspunkten insgesamt beurteilen muss, und dann geht es halt darum, ob das Defizit an Glaubwürdigkeit und an Ehrlichkeit, das er in dieser Frage der Doktorarbeit und vor allem des Umgehens damit in der vergangenen Woche gezeigt hat, ob dies nicht auch seine und sehr stark seine Glaubwürdigkeit als Politiker betrifft.

    Kapern: Heribert Prantl, vielen Dank für die Einschätzungen, die Sie uns gegeben haben.

    Prantl: Bitte schön.

    Kapern: Danke nach München.

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