Freitag, 19. April 2024

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Szene-Gastronom Charles Schumann
"Saufen kann in den seltensten Fällen Kultur sein"

Charles Schumann hat mit der "Schumann's Bar" in München ein Refugium für Promis und Kreative geschaffen. Bald startet die Dokumentation "Schumanns Bargespräche" in den Kinos, in der der 76-Jährige die Hauptrolle hat. Im Gespräch mit dem Dlf wirft Schumann einen ziemlich nüchternen Blick auf sein Lebenswerk.

Charles Schumann im Corsogespräch mit Andi Hörmann | 04.10.2017
    Charles Schumann in seiner Bar "Schumann's" am Hofgarten in München.
    Charles Schumann in seiner Bar "Schumann's" am Hofgarten in München. (imago / Karo)
    Andi Hörmann: Herr Schumann, was ist eine Bar eigentlich? Ein Ort zum Trinken, der Einsamkeit in Geselligkeit, eine Zwischenwelt, eine Parallelwelt? Passiert hier Kultur?
    Charles Schumann: Das klingt ja unglaublich! Also eine Bar ist auf keinen Fall mehr ein Ort der Einsamkeit. Vielleicht noch eine Hotelbar oder eine heruntergekommene Bar, wo man alleine sitzt mit dem Barbesitzer zusammen oder mit dem Barkeeper, das könnte noch ein Ort der Einsamkeit sein. Auch keine Kultur-Schickeria, da gibt es vielleicht zwei, drei Bars, die das sind. Ansonsten sind das Bars für jedermann, Orte für jedermann.
    Hörmann: Man spricht auch von Bar-Kultur.
    Schumann: Na ja, von Bar-Kultur kann man nicht sprechen. Also Kultur ist immer so ein Begriff: Was ist Kultur? Also Saufen oder Trinken kann in den seltensten Fällen eine Kultur sein, sondern das ist Amüsement. Man geht aus, trinkt, redet. Aber kultiviertes Trinken würde ich jetzt mal sagen gibt es in den wenigsten Fällen.
    "Man muss viele Dinge gelassener sehen"
    Hörmann: Aber jetzt vom Allgemeinen ins Spezielle: Das Schumann's ist vielleicht sogar die bekannteste Bar der Welt, zumindest die bekannteste Bar in Deutschland. Sehen Sie den Beruf des Barkeepers als einen Menschen, der sich eher zurücknimmt oder teilnimmt an dem Geschehen? Was sind die Themen hier im Schumann's? Bekommen Sie von den Gästen viel vorgejammert, jammern die Leute viel?
    Schumann: Ich rede mit den paar Leuten, die ich sehr gut kenne, immer. Da wird schon auch über Privates geredet oder gejammert. Politik, da wird natürlich entsetzlich gejammert. Über die Zeit wird auch gejammert. Ja, vielleicht sollte man es einfach sein lassen und sagen: Es ist wie es ist, ich mach' das Beste draus.
    Wir haben noch länger mit Charles Schumann gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Hörmann: Was ist für Sie Gelassenheit?
    Schumann: Ich! Ich in guten Stunden. Gelassenheit ist etwas, das muss man eigentlich - ich möchte jetzt nicht sagen antrainieren - aber man muss einfach viele Dinge gelassener sehen. Ich habe immer, immer, immer gesagt: Lass uns eine Nacht darüber schlafen. Also das Schlimmste ist, wenn man eben jammert oder schimpft, und das mache ich natürlich auch, wenn man momentan in einer schlechten Verfassung ist oder wenn man seine Wut raus lassen will, das ist keine gute Eigenschaft. Was viele nicht mehr können: Zuhören. Wenn man zuhören kann, dann kann man wahrscheinlich auch gelassener sein."
    "Viele Künstler verlieren sich heute in der Menge"
    Hörmann: Das Schumann's hat sich über die Jahre oder Jahrzehnte auch zu einem Ort für Künstler und Intellektuelle entwickelt. Warum?
    Schumann: Das sehe ich jetzt nicht so. Nein, sehe ich nicht so. Das Schumann's war das sicher mal. Und da kann man aber auch ein Fragezeichen dahinter setzen. Also das alte Schumann's war natürlich der Platz der Journalisten, der Künstler, da gibt es jetzt nicht mehr so viele. Viele sind schon tot oder liegen im Sterben oder viele wollen sich gar nicht als Intellektuelle sehen. Ich kenne keine einzige Bar in München, wo man sagen könnte: Da ist die Intelligenzija.
    Wer etwas auf sich hält, kommt in die Schumann's Bar am Münchener Hofgarten.
    Wer etwas auf sich hält, kommt in die Schumann's Bar am Münchener Hofgarten. (imago / Karo)
    Hörmann: Aber es war in den letzten Jahrzehnten so, dass viele hier waren. Und warum war das so?
    Schumann: Ja, das war natürlich so, weil es die Ersten waren, die so etwas überhaupt angenommen haben. Es gibt ja in der Literatur unglaublich viele Beispiele, wo Leute gerne getrunken haben und mit dem Kopf tätig waren. Und das haben wir schon auch gepflegt und das war auch so. Aber wie gesagt: Gerade wenn ich daran denke, wie viele Leiter von Verlagen jetzt plötzlich nicht mehr tätig sind, weil sie die Altersgrenze erreicht haben. Vielen ist das auch zu groß hier. Aber wir haben nach wie vor eine große Zahl von Gästen, die schreiben, die Kunst machen. Das haben wir nach wie vor auch, aber das verliert sich in der Menge.
    "Wir füllen niemanden ab"
    Hörmann: Als Barbetreiber beschäftigt man sich täglich mit Alkohol - eine Droge. Ist das auch nicht, gerade in so einer Kult-Bar wie dem Schumann's, eine Art Verharmlosung?
    Schumann: Also wir denken natürlich nicht ernsthaft darüber nach. Aber wo wir immer aufgepasst haben, und das machen wir auch weiterhin, wir füllen niemanden ab. Also bei uns kann niemand trinken bis zum Umfallen. Das gibt es nicht. Und was wäre das Leben, wenn es überhaupt keine Drogen mehr gibt? Na dann, aber hallo! Also Alkohol ist sicher eine Droge, die gefährlicher ist als wir uns das vorstellen können, mit der wir jeden Tag zu tun haben. Aber da muss man einfach aufpassen.
    Charles Schumann an der Theke seiner Bar "Schumann's".
    Charles Schumann an der Theke seiner Bar "Schumann's". (imago / Michael Westermann)
    Hörmann: Sie wirken jung geblieben und verlebt zugleich - wenn ich das sagen darf - charismatisch, aber auch grummelig. Oder soll ich sagen: In Würde gealtert? Wie würden Sie Ihren Charakter selber beschreiben?"
    Schumann: Ich sehe mich nicht in Würde gealtert. Ich sehe mich nicht alt, obwohl ich es bin. Also im Vergleich zu früher wäre ich ja schon uralt. Aber es gibt viele Menschen in meinem Alter, die noch ziemlich fit sind. Ich gehöre sicher zu denen, die besonders fit sind. Aber dafür muss man ja auch was tun. Ich habe immer was getan. Obwohl ich Alkohol ausschenke, trinke ich nicht sehr viel. Ich pass auf mich auf. Es wäre das Schlimmste für mich, wenn ich hier immer noch stehen würde und schon halb umfallen würde. Das würde ich nicht machen. Wenn ich das Gefühl habe, ich habe hier nichts mehr zu suchen, gehe ich nicht mehr hier her.
    "In München gibt es viele Menschen, denen es nicht so gut geht"
    Hörmann: Mit der Stadt München bringt man in den letzten Jahren immer mehr die Attribute "High Society", "versnobt" und "Glanz und Gloria" in Verbindung. Was ist München für Sie?
    Schumann: München ist ein Ort, an dem ich schon sehr lange lebe. Ich könnte sagen: Wo es mir gut geht, da lebe ich. Aber das stimmt natürlich nicht. Weil ich nach wie vor finde, dass es einem manchmal, um wieder auf die Füße zu kommen, auch nicht ganz so gut gehen darf. München ist eine Stadt, in der es - das weiß man gar nicht oder will man nicht wahr haben, wenn man so eine Stellung hat wie wir es haben - viele Menschen gibt, denen es nicht so gut geht. Wenn man das im Hinterkopf hat, dann ist man einfach auch bescheidener.
    Hörmann: Sind Sie ein bescheidener Mensch?
    Schumann: Aber natürlich! Ich habe nichts. Ich brauche auch nichts. Das interessiert mich alles nicht. All die Dinge, die Mensch glauben, brauchen zu müssen, brauch' ich nicht.
    Hörmann: Wir leben ja in einer Gesellschaft, die ewig jung bleiben möchte, vielleicht sogar ewig leben möchte. Jugendwahn und Selbstoptimierung bestimmen immer mehr unser Leben. Wie sehen Sie das?
    Schumann: Gruselig. Also diese ewig Jungen, die gehen mir auf den Wecker. Ich möchte sicher immer frisch bleiben, lieber gesund sterben als krank. Aber ich weiß, dass es irgendwann zu Ende ist. Und damit habe ich nicht so viele Probleme - noch nicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Ab 12. Oktober im Kino: Die Dokumentation "Schumanns Bargespräche" von Marieke Schroeder begleitet den Barkeeper Charles Schumann bei seinem Besuch von Bars auf der ganzen Welt.