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Tabubruch oder rassistische Entgleisung?

"Nigger" hat ein bekannter Fernsehschauspieler bei einem Comedy-Club-Auftritt einige Zuschauer genannt, die ihn störten. Der Auftritt fand ins Fernsehen, und die Debatte nahm ihren Lauf. Hat die Political Correctness das Land noch fest im Griff, handelte es sich um einen kalkulierten Tabubruch oder um eine Entgleisung?

Von Gregor Peter Schmitz | 08.12.2006
    Vielleicht hat Michael Richards ja einfach auf den "Beep" gewartet. Diesen kurzen metallischen Ton, der jedes Mal erklingt, wenn im amerikanischen Fernsehen jemand flucht oder ein schmutziges Wort zu benutzen wagt. Dann wäre nämlich nur "beep, beep, beep" zu hören gewesen, als der einstige TV-Star Richards (Darsteller des liebenswert schusseligen Cosmo Kramer in der Hitserie "Seinfeld") in einem Comedy Club in Los Angeles ausrastete. Einige junge schwarze Männer hatten Richards während seines Live-Auftritts immer wieder mit Zwischenrufen unterbrochen - und der war humorvoll genug, sie dafür minutenlang als "Nigger" zu beschimpfen, die man früher einfach am Baum aufgehängt hätte.

    Die rassistische Tirade landete von der Handy-Kamera eines Zuschauers im Internet, und von da auf sämtlichen US-Fernsehkanälen und Titelseiten. Richards hat zwar seither immer wieder beteuert, kein Rassist zu sein und er hat bei führenden schwarzen Bürgerrechtlern um Vergebung gebeten. Doch die öffentliche Debatte in den USA hat den Schauspieler längst überrollt, und eigentlich dreht sie sich gar nicht mehr um die profane Frage, ob Richards Karriere ganz vorbei ist oder nur halb (ähnlich wie bei Filmstar Mel Gibson, der vor einigen Monaten bei einer Festnahme wegen Trunkenheit am Steuer die jüdische Weltverschwörung lautstark kritisierte). Nun nämlich dient der Richards-Ausraster den US-Feuilletons und Talkshows schon als Vorlage für eine viel breitere Debatte - über das böse "N-Wort" an sich. Soll man "Nigger" (den Begriff, den in Zeiten der Rassendiskriminierung und Lynchjustiz weiße Amerikaner für Schwarze verwendeten) heute noch ungestraft in Amerika sagen dürfen? Bürgerrechtler Jesse Jackson, der sich des Falls publikumswirksam angenommen hat, will das Wort nicht länger dulden. "Nigger" zu sagen sei vom "First Amendment" nicht gedeckt, verkündete Jackson seine persönliche Interpretation des berühmten amerikanischen Verfassungszusatzes zur Redefreiheit. Jackson hat bereits Treffen mit Musikern, Schauspielern und den großen Filmstudios arrangiert, um einen Bann über das Wort zu erreichen. Die Ehre seiner afro-amerikanischen Ahnen wolle er mit dem Vorstoß retten, kündigte Jackson an.

    Allerdings muss der Bürgerrechtler erst einmal die Mitglieder seiner eigenen Gemeinschaft überzeugen. Denn keine Gruppe in Amerika verwendet das "N-Word" so häufig und so selbstverständlich wie Afro-Amerikaner selbst. In Hip-Hop-Songs wimmelt es davon, unter schwarzen Jugendlichen gilt es als eine beinahe liebevolle Neckerei. Gerade Comedy-Künstler haben es bislang oft wie im Stakkato von der Bühne gerufen. Alles vorbei? Jack Mooney, ein schwarzer Kabarettist, kündigte bereits öffentlich Buße an. Er bezeichnet sich als einen "N-Wort-Süchtigen", der nun eine Entziehungskur beginne - denn durch den Richards-Zwischenfall habe er gemerkt, welch hässliches Potential hinter diesem Wort stecke. Der Besitzer des Clubs, in dem Richards auftrat, hat ebenfalls nun einen Bann für das Wort verhängt. Jeder Künstler, der es noch auf der Bühne verwende, darf dort künftig sechs Monate lang nicht mehr auftreten.

    Nicht bei allen Afro-Amerikanern freilich kommen solche Schranken gut an. Randall Kennedy, Professor in Harvard und Autor eines Buches über die Geschichte des Begriffes "Nigger", fragt laut, ob man nun künftig alle Hip-Hop-Platten und sein Buch verbieten wolle. Der bekannte schwarze Kabarettist Dick Gregory, der sogar seine Biographie "Nigger" genannt hat, fürchtet gar noch heiklere Konsequenzen. Es gleiche doch Geschichtsfälschung, wettert er, wenn man künftig statt "Nigger" nur noch verschämt vom "N-Wort" spreche. Das sei genauso absurd, als wenn Juden auf einmal Konzentrationslager als "K-Wort" bezeichneten. Gregory will dem Verbots-Appell mit drastischen Schritten begegnen: Er drohte an, bei künftigen Auftritten nun sein Buch "Nigger" einer weißen Frau aus dem Publikum in die Hand drücken und ihr sagen, sie solle diesen "Nigger" ruhig mal mit in ihr Bett nehmen.

    Aber solche Chuzpe können sich nicht viele leisten. Der Kabarettist Andy Dick versuchte es bei einem Auftritt in der vorigen Woche in Los Angeles. In einer Kopie des mittlerweile legendären Ausrasters von Michael Richards stürmte Dick die Bühne und beschimpfte das Publikum als "Nigger". Nach heftiger öffentlicher Kritik gab der Künstler schon wenige Stunden später eine Pressemitteilung heraus. Er habe, hieß es darin, einen Witz gemacht über ein Thema, das nicht witzig sei.