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Tabubruch und Lindenstraßendramatik

Am 16. Mai wird dem ägyptischen Autor Alaa Al-Aswani der neu gegründete "Coburger Rückert-Preis" verliehen. Geehrt wird Al-Aswani damit für seine Schilderung unterschiedlicher Milieus und Charaktere der ägyptischen Gesellschaft. Von dem Shooting-Star der ägyptischen Literatur erschien im Februar dieses Jahres sein zweiter Roman "Chicago" auch in deutscher Sprache. Die Kritik an der amerikanischen Gesellschaft fällt allerdings ein wenig zu platt aus.

Von Larissa Bender | 06.06.2008
    Die Ägypter lesen wieder. So stand es Anfang des Jahres in einer ägyptischen Zeitung geschrieben. Auslöser für diesen neuen Run auf die Belletristik in Ägypten war die Verfilmung des sehr erfolgreichen Romans "Der Jakubijan-Bau" von Alaa Al-Aswani. Al-Aswani, seines Zeichens Zahnarzt und Autor eines kleinen Kurzgeschichtenbandes, hatte mit diesem Sittenbild der Bewohner eines mehrstöckigen Hauses in der Kairoer Innenstadt im Jahre 2002 einen durchschlagenden Erfolg erzielt.

    Und die Verfilmung des Buches mit dem bekanntesten ägyptischen Schauspieler Adel Imam in der Hauptrolle machte den Autor zum Star in Ägypten.

    Letztes Jahr nun legte Al-Aswani seinen zweiten Roman vor, der bis Ende des Jahres bereits mehr als zehn Mal aufgelegt wurde und dieses Jahr in der Übersetzung von Hartmut Fähndrich auf Deutsch erschien.

    Wie schon im "Jakubijan-Bau" zeichnet der Autor in "Chicago" ein facettenreiches Bild der ägyptischen Gesellschaft. Angesiedelt sind die Ereignisse diesmal allerdings nicht in Kairo, sondern in Chicago - am Institut für Histologie der Universität Illinois, wo der Autor selber einst studierte. In "Chicago" trifft eine bunte Schar ägyptischer und amerikanischer Professoren und Medizinstudenten aufeinander, und der angekündigte Besuch des ägyptischen Präsidenten in der Stadt führt die Lebenslinien der Protagonisten zusammen.

    Da ist etwa Professor Rafaat Thabit, der so stolz darauf ist, seine, wie er es bezeichnet, "orientalische Rückständigkeit" hinter sich gelassen zu haben. Oder der Präsident der Vereinigung ägyptischer Studierender in Amerika, Achmad Danana, der seine Zeit mehr mit Spitzeldiensten für den ägyptischen Geheimdienst verbringt als mit seinem Medizinstudium. Und da ist Schaima, eine junge fromme ägyptische Studentin, die in Chicago die Liebe kennen lernt und hin- und her gerissen ist zwischen ihren Gefühlen und den Ansprüchen ihrer Religion.

    Warum beide Romane Al-Aswanis einen solch unglaublichen Erfolg in Ägypten verbuchen können, erklärt Hartmut Fähndrich, Al-Aswanis Übersetzer ins Deutsche, so:

    "Er schreibt einen flotten Stil, einen lesbaren Stil, im Gegensatz zu vielen anderen zeitgenössischen Autoren hat er keine spezifischen sprachlichen Ambitionen, und das macht die Lektüre einfacher, auch für Ägypter, ja, oder für Araber. Und deswegen kann man die Sachen runterlesen. Und dann hat er einfach ein Talent, Geschichten zusammen zu konstruieren, die dann auch irgendwie eingängig wirken für Lesende."

    Al-Aswani spielt in seinen Romanen bewusst mit Klischees. Die in "Chicago" geübte Kritik an der amerikanischen Gesellschaft fällt allerdings ein wenig zu platt aus: Die farbige Carol findet aufgrund ihrer Hautfarbe keinen Job. Sie endet als Fotomodell für Unterwäsche und muss beim Fotoshooting vor einem homosexuellen Fotografen nicht nur ihre Brust entblößen. Sarah hingegen, die einzige Tochter des ägyptischen Arztes Raafat Thabit, wird von ihrem amerikanischen Freund zum Cracknehmen verführt und wird drogensüchtig. Und Chris, die amerikanische Gattin von Doktor Muhammad Salach, erlebt höchste sexuelle Freuden mittels eines Vibrators, nachdem ihr Mann sich von ihr getrennt hat.

    Auf die Frage, ob diese Art der Darstellung der Amerikaner ein westliches Publikum nicht eher verschreckt, meint Hartmut Fähndrich:

    "Hier bekommt man, zugegebenermaßen etwas klischeehaft, den Spiegel vorgehalten. Ja, man erfährt endlich mal, ganz direkt und klar, wie einen die Ägypter sehen. Und das könnte uns ja auch zum Nachdenken veranlassen, dass wir nicht nur unsere Klischees auf den Nahen Osten akzeptieren als existent, sondern auch andersherum akzeptieren, okay, es gibt hier auch ein Klischee, offensichtlich werden gewisse Verhaltensmuster bei uns auch in anderen Teilen der Welt klischiert, auch wenn wir den Eindruck haben: Nein, so sind wir ja eigentlich nicht."
    Die Erzählweise des Romans erinnert ein wenig an die Lindenstraße: Die Handlungsstränge werden an einzelnen Personen festgemacht, und die Kapitel enden jeweils mit einem so genannten Cliffhanger, einer Andeutung auf die kommenden Ereignisse, so dass der Leser durchaus gespannt der Fortsetzung harrt und unermüdlich weiter liest.

    Dass der Roman nicht der ägyptischen Zensurbehörde zum Opfer gefallen ist, verwundert den westlichen Leser. Mutig bricht der Autor mit in der arabischen Welt gängigen Tabus, kritisiert unverblümt die ägyptische Regierung und ihr Staatsoberhaupt, prangert Korruption und Folter an und lässt auch die Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft nicht außen vor. Trotzdem versteht sich Al-Aswani, so Fähndrich, nicht als explizit politischer Autor:

    "Er trennt das gerne. Er sagt quasi, die Politik, die mache ich, wenn ich Kolumnen schreibe für irgendwelche Zeitungen, und sonst mache ich Literatur. Ich bin nicht ganz sicher, dass diese Trennung so sauber vollziehbar ist. Aber das ist zumindest sein Anspruch. Und ich meine, dass es nicht so sauber vollziehbar ist, sieht man natürlich in den Büchern. Das sind Auseinandersetzungen mit der sozialpolitischen Realität in Ägypten."

    Sein erster Roman, "Der Jakubijan-Bau" wurde bereits in zwölf Sprachen übersetzt, und vermutlich, so Fähndrich, schützt den Autor insbesondere sein internationaler Erfolg vor staatlicher Repression. Manch einer seiner Landsleute jedenfalls wurde bereits für verhaltenere Kritik an der ägyptischen Regierung verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt.


    Alaa al-Aswani: Chicago
    Roman aus Ägypten
    Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
    ISBN 978 3 85787 388 1