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Tag der Linkshänder
Unentdeckte Linkshändigkeit macht Grundschülern Probleme

Eine bestehende Linkshändigkeit darf nicht verändert werden, so steht das heutzutage in praktisch allen Schulrichtlinien. Im Gegenteil: Linkshänder sollen gefördert und akzeptiert werden. Nur muss man sie erst einmal erkennen - und damit haben Kitaerzieher und Grundschullehrer weiterhin Schwierigkeiten.

Von Benjamin Dierks | 13.08.2019
Ein linkshändiges Mädchen malt mit Buntstiften in einem Ausmalbuch
Eltern oder Kita-Erzieher müssen sehr genau hinschauen, um Linkshändigkeit zu erkennen - beim Mädchen auf dem Bild ist die Frage aber offensichtlich geklärt (imago / Westend61)
In diesem Sommer ging beim Hamburger Senat eine kleine Anfrage ein: Die CDU-Fraktion wollte von der SPD-geführten Regierung wissen, wie es um Linkshänder an Hamburger Grundschulen bestellt ist. Die Initiative dafür kam vom Unternehmensberater Dennis Recknagel:
"Wie weit wird denn Linkshändigkeit überhaupt im Lehramtsstudium thematisiert? Oder wie weit wird denn bei Fortbildungen für Lehrkräfte das Thema Linkshändigkeit auf den aktuellen Stand gebracht? Was gibt es da speziell, genauso für die Ausbildung von Erziehern?"
Auch welche Beratungsmöglichkeiten Eltern haben, sollte die Anfrage zutage fördern. Recknagel vermutete schon: Viele sind es nicht. Die Zeiten, in denen Linkshänder mit mehr oder weniger viel Druck gezwungen wurden, mit der rechten Hand zu schreiben, sind vorbei. Aber immer noch wird eine Linkshändigkeit oft nicht erkannt – mit häufig verheerenden Folgen für das Kind. Recknagel hat selbst erfahren, was es heißt, nicht ins Schema zu passen:
"Die Idee ist dazu zustande gekommen, weil ich selber umgeschulter Linkshänder bin und ich kenne die Thematik seit meiner Grundschule in- und auswendig, mit den Zurücksetzungen, mit den Verunglimpfungen, mit den Vorurteilen, die man erlebt, wenn man das selbst erstmal nicht weiß und dann als dumm oder faul hingestellt wird."
Thema kommt zu kurz bei der Ausbildung der Lehrkräfte
Die Antwort des Senats bestätigte Recknagels Befürchtungen: Dass kein Linkshänder umgeschult werden solle, sei den Lehrkräften bekannt und man wolle – so wörtlich – "spezifische Merkmale wie Linkshändigkeit" berücksichtigen. Schon bei der Ausbildung der Fachkräfte aber wird die Auskunft recht schmallippig und Beratung für Eltern gibt es der Antwort zufolge eigentlich erst dann, wenn ein Arzt schon festgestellt hat, dass ein Kind seine starke Hand links hat. So oder so ähnlich sieht es in allen Bundesländern aus: Wer als Linkshänder in die Schule kommt, soll so akzeptiert und gefördert werden. Aber das sei meist nur die schöne Theorie, sagt die Berliner Psychotherapeutin Marina Neumann, die unerkannte Linkshänder behandelt. Die Probleme nämlich begännen schon früher:
"Ich habe hier mit unendlich vielen Kindern – ich habe fast jeden Tag mindestens ein Kind hier zum Testen – zu tun, bei denen die Linkshändigkeit im Vorschulalter einfach untergegangen ist, und zwar deshalb, weil die Erzieherinnen in den allermeisten Ausbildungen nicht wirklich konfrontiert worden sind mit dem Thema. Das heißt, wenn ein einjähriges, anderthalb- oder zweijähriges Kind in die Krippe oder Kita kommt, wissen die Erzieherinnen nicht, wie man Linkshändigkeit erkennt."
Linkshändige Kinder passen sich rechtshändigem Umfeld an
Wenn Kinder in der Kita nämlich beobachteten, dass Erzieherinnen und andere Kinder den Stift oder andere Dinge mit Rechts halten, täten auch sie das - selbst wenn sie von sich auch lieber mit Links zugegriffen hätten. Eine sanfte Umgewöhnung nennen Fachleute das. Wer in diesem Alter feststellen wolle, ob ein Kind linkshändig ist, müsse genau hinschauen, sagt Marina Neumann. Deshalb blieben viele Linkshänder unerkannt, wenn sie in die Schule kommen:
"Und dann fängt es eben an. Beim Schreibenlernen ist es oft schwierig, man hat nicht die feinmotorische Geschicklichkeit, es fühlt sich nicht gut an, es macht auch keinen Spaß. Und dann kommt häufig sowas wie Verweigerung oder die Kinder sind viel zu langsam, auch wenn sie sich anstrengen, und kommen nicht so gut mit, können sich auch nicht so gut konzentrieren."
Leistungsprobleme auch noch in weiterführenden Schulen
Neumann untersucht viele Vorschulkinder, deren Eltern aufmerksam geworden sind, aber auch ältere Kinder von weiterführenden Schulen, wenn sich Leistungsprobleme aufgrund der unerkannten Linkshändigkeit schon zugespitzt haben. Die Psychologin fordert deshalb, dass Schulen Linkshänder nicht nur akzeptieren. Sie müssten vor allem mehr tun, um sie zu erkennen: Öffnet ein Kind die Federtasche mit links oder blättert es mit der linken Hand ein Buch? Lehrer achteten meist nur darauf, ob ein Kind den Stift mit links greife. Unentdeckte Linkshändigkeit sei vielen noch nicht bekannt.