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Tag zur Abschaffung der Sklaverei
Gezwungen zur Sexarbeit

Millionen Menschen werden weltweit zur Arbeit, zur Heirat oder zur Prostitution gezwungen. Auch in Deutschland floriert die moderne Sklaverei - durch die Sexarbeit. Aber nur wenige Hundert Frauen trauen sich jedes Jahr, vor deutschen Behörden gegen die Menschenhändler auszusagen.

Von Dorothea Jung | 02.12.2014
    Eine Frau wartet in einem Bordell auf einen Freier.
    Eine Frau wartet in einem Bordell auf einen Freier. (pa/dpa/Chinafotopress)
    Geboren wird Luisa in einer kleinen Stadt irgendwo in Afrika. Die Mutter stirbt früh, das Mädchen wächst bei ihrem Vater auf. Mit 13 Jahren ist Luisa Vollwaise. Zwar kann sie bei einer verwandten Nachbarsfamilie wohnen, für ihren Lebensunterhalt muss sie aber selbst sorgen. Den ganzen Tag schleppt sie Wasser zum Markt und verkauft
    Mit 13 Jahren ist Luisa Vollwaise. Zwar kann sie bei einer verwandten Nachbarsfamilie wohnen, für ihren Lebensunterhalt muss sie aber selbst sorgen. Den ganzen Tag schleppt sie Wasser zum Markt und verkauft es. Eines Tages spricht sie dort ein Mann an und macht ihr ein verlockendes Angebot.
    "Er hat mir erzählt, er kann mich nach Europa bringen. Dort würde ich zur Schule gehen, und nach der Schule, wenn ich erwachsen bin, könnte ich arbeiten gehen und dann könnten wir heiraten. Das hat er mir versprochen - und deswegen hatte ich den Mut, ihm hierher zu folgen."
    In den Fängen von Menschenhändlern
    Als Gegenleistung verlangt der Mann von Luisa einen Treue- Schwur vor einem Voodoo-Priester und sie willigt ein. Luisa weiß nicht, dass der Mann, dem sie sich anvertraut hat, Mitglied eines international operierenden Menschenhändlerringes ist. Bereits am zweiten Tag nach ihrer Ankunft in Deutschland soll die 13-Jährige für ihn anschaffen gehen.
    "Da bin ich vor ihm in die Knie gegangen und hab ihn angefleht, dass ich immer noch Jungfrau bin und dass ich das vorher noch nie gemacht habe. Er hat gefragt: ´Was? Du bist wirklich noch Jungfrau? Okay. Ich werd' jetzt mit dir Sex haben, dann bist du keine mehr.` Und so hab ich meine Jungfräulichkeit durch diesen Mann verloren. Dann sagt er: ´So, nun kannst du morgen arbeiten gehen. Und wehe, du bringst kein Geld nach Hause, dann bring ich dich um. Kein Mensch wird nach dir fragen.`"
    Wenn sie nicht genügend Freier bedient, schlägt er sie grün und blau. Seitdem ist sie auf einem Auge nahezu blind. Aus Angst, sich mit HIV anzustecken, flüchtet Luisa nach einem Jahr in eine andere Stadt. Doch der Menschenhändler ruft sie wenig später an:
    "´So, du denkst, du kannst weglaufen? Vergiss ja nicht, dass ich weiß, wo Deine Familie in Afrika lebt!` Ich hab gesagt: ´Das bedeutet doch gar nichts. Ich weiß genau, dass du meinen Verwandten in Afrika nichts tun kannst. Du bist doch allein hinter mir her.`"
    Aber Luisa irrt. Die Verwandten in Afrika, die sie nach dem Tod ihres Vaters bei sich aufgenommen haben, werden ermordet. Luisa telefoniert mit Nachbarn und Bekannten, ihr Verdacht erhärtet sich.
    "Er sagt zu mir: ´Das war jetzt nur ein ganz kleines Ding, was du erlebt hast. Du wirst mehr erleben als das. Ich bin derjenige, der die Leute zu Deiner Familie geschickt hat, damit sie das tun.` Ich hab ihm gesagt, dass ich zur Polizei gehen werde, weil er das meinen Verwandten angetan hat. Da meint er, ich sollte ja nicht vergessen, dass ich den Voodoo-Schwur geleistet habe. Und dann habe ich mich daran erinnert."
    Der Mann verlangt von Luisa 50.000 Euro. Wenn sie die nicht zahlt, werde er ihre kleine Kusine ermorden, aus der Nachbarfamilie in Afrika.
    Hilfe bei der Polizei
    Da nimmt die damals 14-jährige Luisa ihren ganzen Mut zusammen und wendet sich an die deutsche Polizei. Von dem Moment an geht es ihr richtig schlecht.
    "Ich hab ja beim Voodoo geschworen, dass in meinem Leben nichts mehr so sein würde, wie es war, wenn ich zur Polizei gehe oder irgendjemand davon erzähle. Und das erleb ich jetzt. Seitdem ich mich daran erinnere, habe ich ständig Blutungen."
    Luisas Voodoo-Schicksal ist kein Einzelfall. Opferanwältin Änne Ollmann sagt die psychischen Folgen eines Voodoo-Kults würden von Europäern oft unterschätzt. Im Grunde fürchten die Frauen, dass sie verwirrt werden, dass sie krank werden, dass sie vielleicht sogar sterben könnten.
    Luisa lebt seit drei Jahren in einem Zeugenschutzprogramm in Süddeutschland und bekommt therapeutische Unterstützung. Doch jeden Euro, den sie von ihrer Sozialhilfe sparen kann, schickt sie ihrer kleinen Kusine in Afrika. Das Mädchen soll es sich leisten können, ständig seine Wohnung zu wechseln. Damit die Mitglieder des Menschenhändlerringes es nicht aufspüren und töten können.