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Tagebücher von Patricia Highsmith
Appetit auf Zerstörung

Wie ticken Krimi-Autorinnen und -Autoren privat? Welche Erfahrungen und Haltungen speisen die fiktiven Figuren und Verbrechen? Am Beispiel der Bestseller-Autorin Patricia Highsmith kann man dem jetzt auf den Grund gehen: Ihre Tage- und Notizbücher sind in Auszügen erschienen.

Von Uli Hufen | 31.10.2021
1. Juli 1953, New York: Patricia Highsmith ist 32 und nach zwei Jahren in Europa frisch zurück in den USA. Sie ist nicht allein. Die englische Soziologin Ellen Hill, seit zwei Jahren Highsmiths Geliebte, ist mit ihr in die USA gekommen. Das Lied, das in diesem Sommer aus jeder Jukebox schmalzt, zehn Wochen lang Nummer 1 der Billboard Charts, beschreibt den Zustand ihrer Beziehung gut, wenn auch zu süßlich: Misstrauen, Zweifel, Vorwürfe.
"When ever we kiss, I worry and wonder. Your lips may be near, but where is your heart?"
Alfred Hitchcock hatte Patricia Highsmiths Romandebüt "Zwei Fremde im Zug" 1951 verfilmt und die junge Autorin zu einem Weltstar gemacht. Der Erfolg von Buch und Film ermöglichte die lange Reise kreuz und quer durch Italien, Frankreich und Deutschland - mit Ellen Hill. Die beiden Frauen waren im Spätsommer 1951 in München ein Paar geworden. Auf Highsmith-typische Weise, wie die nun vorliegenden Tage- und Notizbücher zeigen:
"Ellen & ich streiten oder missverstehen uns in jedem Gespräch. Und vielleicht war ich zu betrunken zu merken, dass wir dabei waren, uns ineinander zu verlieben."
Patricia Highsmith: "Ladies"
Die US-amerikanische Schriftstellerin Patricia Highsmith gilt als Meisterin des psychologischen Kriminalromans. Die feine Mechanik ihrer Erzählkunst lässt sich bereits in den Kurzgeschichten der noch jungen Autorin bewundern.

"Dann nimm doch die Tabletten!"

Epische, bitterböse Streitereien waren in Highsmiths romantischen Beziehungen nichts Ungewöhnliches. Oft genug ausgelöst oder befeuert von Alkohol. Doch was sich am 1. Juli 1953 ereignete, war auch für Highsmiths Verhältnisse erstaunlich.
"Um 5 zurück bei Ellen. Heftiger Streit, bis ich um 7:30 ein Glas auf den Boden schmiss, um zu betonen, dass ich es ernst meinte, als ich sagte, ich wolle mich trennen. Sie hat alles versucht, von Sex über Alkohol und Tränen bis hin zu wilden Versprechen, mir in allem nachzugeben. Sie drohte mit Veronal[tabletten] & bestand darauf, 2 Martinis mit mir zu trinken, die sie runterkippte wie Wasser. Ich sagte, mach das nur mit dem Veronal. Sie stopfte sich gerade 8 Pillen in den Mund, als ich das Haus verließ. ‘Ich liebe dich so sehr‘, waren die letzten Worte, die ich hörte, als ich die Tür schloss."
Als Highsmith um zwei Uhr morgens nach Hause kommt, findet sie ihre Geliebte bewusstlos. Notarzt, Magen auspumpen, Krankenhaus, Ellen Hill überlebt. Der Leser aber fragt sich benommen, worüber er mehr staunen soll. Die mörderische Kaltblütigkeit, mit der Highsmith ihre suizidale Geliebte stehen lässt und geht. Oder die kühle Sachlichkeit, mit der sie die Ereignisse des Tages später niederschreibt und dabei auch ihre geschäftlichen Besprechungen nicht vergisst.
Nie zuvor und nie danach, so weit bekannt, wurde Patricia Highsmith den Helden ihrer besten Romane so ähnlich. Denn üblicherweise agierte Highsmith ihre Bosheit, ihre Wut, ihre Einsamkeit, ihre Hilflosigkeit und ihre Rachsucht auf dem Papier aus. Die Schriftstellerin Marijane Meaker, Anfang der 60er Jahre mit Highsmith liiert, erzählte in ihren Erinnerungen, dass Highsmith ihre verflossenen Geliebten gern ersatzweise in Romanen ermordete. Meaker wusste, wovon sie sprach, sie hatte sich wiedererkannt in der bösartigen Nicky, die Highsmith 1962 in "Der Schrei der Eule" mit Messerstichen erledigte. Hier aber, in dieser Nacht im Sommer 1953 wäre es um ein Haar in der Realität passiert. Patricia Highsmiths hätte beinah selbst getötet. Oder einen Tod zumindest wissentlich in Kauf genommen.

Wer denkt sich solche Monster aus?

Die Erkenntnisse, die Highsmiths LeserInnen aus ihren überaus sorgfältig editierten und kommentierten Tage- und Notizbüchern jetzt gewinnen können, betreffen vor allem dieses Problem: Die vertrackten Beziehungen zwischen Highsmiths Büchern und ihrem Privatleben. Zu Highsmiths Lebzeiten war immer unklar geblieben, wie viel private Erfahrungen in ihren soziopathischen, bei Bedarf kühl mordenden Helden steckten. Die Tage- und Notizbücher zeigen nun, dass die psychischen Landschaften von Highsmiths Helden tatsächlich in Vielem inspiriert waren von ihren eigenen seelischen Abgründen. Highsmiths berühmteste Figur, der überaus rationale und zivilisierte Mörder Tom Ripley zum Beispiel, kann gut als Selbstportrait der Autorin verstanden werden. Der talentierten Mrs Highsmith, wie ihre Biografin Judith Schenkar sie in Anspielung auf Tom Ripley nannte, war das bewusst. Zu ihren vielen Gaben, gehörte auch die schonungslose Selbstanalyse. Niemand wusste besser als Highsmith selbst, dass wohl nur die Literatur sie davor bewahrte, den Weg ihrer monströsen Helden zu gehen. Ein Leben ohne Bücher und Schreiben wäre für Highsmith unmöglich gewesen. Unmöglich, weil unerträglich.
"Noch nie habe ich so sehr schreiben wollen wie jetzt. Ich habe eine solche Hölle hinter mir von Falschheit, Tränen, Spott, künstlichen Glücksgefühlen, Träumen, Begierden und Ernüchterung, von schönen Fassaden, die Hässliches verbargen, von hässlichen Fassaden, die Schönes verbargen, von Küssen und von trügerischen Umarmungen, von Rauschmitteln und Flucht. Also will ich schreiben. Muss ich schreiben. Weil ich eine Schwimmerin bin, die gegen die Fluten ankämpft, und mein Schreiben [ist] die Suche nach einem Stein, auf dem ich mich ausruhen kann. Und wenn meine Füße ihn verfehlen, gehe ich unter."
Highsmith schrieb diese Zeilen am 21. Juni 1941. Einen Tag vor dem Deutschen Angriff auf die Sowjetunion. Aber der Weltkrieg war weit weg. Highsmith war gerade zwanzig, studierte am Barnard College für Frauen, einer New Yorker Eliteuniversität, Literatur und Zoologie und hatte Anfang des Jahres begonnen, Tagebuch zu führen. Die junge Frau, die uns da entgegentritt, ist umwerfend: eloquent, unternehmungslustig, politisch interessiert, witzig. Sie liest Joyce, Shakespeare und Stalin. Sie hört gern Mozart und Bach. Sie ist Redakteurin einer Studentenzeitschrift, schreibt Stücke und Geschichten, hat keine Angst, starke Meinungen zu formulieren und scheint sich ihrer selbst absolut sicher zu sein:
"Ich strotze nur so vor Selbstvertrauen & Ideen!"
Highsmiths Selbstvertrauen scheint auch ihre sexuelle Identität zu betreffen. Highsmith ist lesbisch und weiß es. Ihren Eltern erzählt sie nichts, aber sie kennt keine Scheu, ihre Sexualität auszuleben. Die frühen und mittleren 1940er Jahre sind für sie eine Zeit von endlosen Parties, himmlischem Sex und turbulenten Affären. Der Krieg hatte auch in den USA die Grenzen des Erlaubten erweitert. In Städten wie New York existierten nicht nur zahllose Bars, in denen Schwule und Lesben offen verkehren konnten.

Lesbische Bohème in New York

Es gab auch ein umfassendes Netzwerk lesbischer Künstlerinnen, Journalistinnen, Schriftstellerinnen und höherer Töchter. Highsmith, klug, schön und skrupellos wie sie war, fand leicht Zugang. Sie verliebt sich regelmäßig in andere Studentinnen, verdreht aber beinah noch häufiger und scheinbar nach Belieben älteren Frauen den Kopf. Frauen um die 30 oder knapp darüber. Der Leser verliert schnell den Überblick über all die Virginias, Helens, Marys, Allelas, Chloes, Naticas, Kathryns und Daisys. Highsmith aber scheint die Bälle für eine Weile zumindest souverän in der Luft zu halten. Sie tanzt und küsst und schläft sich durch die Stadt, träumt von Liebe und ist besessen von Sex. Im Sommer 1941 notiert sie:
"Ich finde, Sex sollte eine Religion sein. Ich habe keine andere."
Kurz darauf allerdings auch:
"Ich wünsche mir verzweifelt, zur Ruhe zu kommen, mich auf eine Liebe festzulegen, nicht gierig zu sein – aber ich kann es einfach nicht."
Je mehr man liest, um so offensichtlicher wird: Die selbstbewusste und toughe Pat ist real. Sie ist aber auch eine Fassade, ein sorgsam kultivierter Panzer, der tiefe Verletzungen, Unsicherheit und Angst verbergen soll. Highsmith hat schon als Kind erfahren, dass sie eigentlich abgetrieben werden sollte. Sie bleibt ihrer Mutter in einer lebenslangen, von beiden Seiten mit fanatischer Intensität geführten Hassliebe verbunden. Sie verachtet ihren Stiefvater Stanley, mit dem sie unter einem Dach leben muss. Und sie weiß, dass ihr Zugang zu den New Yorker Bohème-Kreisen prekär ist: Die Familie, die aus Texas stammt, ist arm. Ob die Studiengebühren fürs nächste Semester bezahlt werden, ist ein ums andere Mal unsicher, und wo das Geld nach dem Studium herkommen soll, ebenso. 1970 notiert Highsmith rückblickend:
"Meine Gefühle, meine Leidenschaften in Kindheit und Jugend waren genauso stark wie Mordlust und mussten genauso heftig unterdrückt werden."
Die Ängste und Zweifel, die Patricia Highsmith umtreiben, sind mächtig. Sie leidet wie ein Hund, wenn sie eine schlechte Note an der Uni bekommt. Und sie stellt Ansprüche an sich selbst, die kaum zu erfüllen sind.
"Ich sollte in meinem Alter kreativer, origineller sein. Ich zittere, wenn ich daran denke, dass ich 20 Jahre alt bin. – Nichts! Bis auf wirre Gefühle. Ich bin nicht einmal verliebt! Ich muss die Ideen zu Ende bringen, die ich bereits habe. Dann werden die anderen kommen wie ein reißender Fluss."
Auch Highsmiths sexuelle Identität ist deutlich instabiler, als es auf den ersten Blick scheint. Frauen interessieren sie definitiv mehr als Männer, sie sind das herrliche Geschlecht. Weshalb Highsmith männliche Homosexualität für Unfug hält. Trotzdem überlegt Highsmith immer wieder, ob sie heiraten soll, um ihrem Leben eine bürgerliche Fassade zu geben. Ende der 40er Jahre unternimmt sie zweimal Versuche, ihre Homosexualität durch Psychoanalyse zu "kurieren". Der gesellschaftliche Druck steigt mit Beginn des Kalten Krieges wieder. Selbst Hosen zu tragen ist ein Risiko. Es kann der Reputation schaden, es kann auch mit Arrest enden. Ihren zweiten Roman, die lesbische Liebesgeschichte "Salz und sein Preis", veröffentlicht Highsmith auf Rat ihrer Agentin unter Pseudonym. Das heikle Thema könnte die Karriere als Suspense-Autorin gefährden. Aber es gibt auch Hinweise auf Abgründe in den Tagebüchern, deren Ursprünge wohl nicht allein im bigotten Klima Amerikas Mitte des 20. Jahrhunderts gefunden werden können. Wie soll man erklären, dass eine junge lesbische Frau Folgendes denkt und schreibt:
"Ein Automobil zu haben ist, wie eine Frau zu haben. Sie sind fürchterlich teuer und bereiten einem jede Menge Sorgen, aber hat man einmal eins gehabt, will man nie wieder ohne sein."
Oder auch:
"Die Frau besitzt, vor allem dadurch, dass sie weniger Phantasie hat, weniger Leidenschaft."
Offensichtlich meint Highsmith sich selbst nicht, wenn sie so über Frauen schreibt. Aber bedeutet das, sie wäre lieber ein Mann gewesen? In Passagen wie diesen ahnt man, warum aus dieser munteren jungen Frau zwanzig, dreißig Jahre später die großartig abstoßende Weltklasse-Misanthropin werden konnte, die Highsmith im Alter war. Aber noch ist es nicht so weit. Denn die Mittel, die die junge Highsmith findet, um ihre Dämonen auf Distanz und ihre Ängste im Zaum zu halten, sie funktionieren: Kunst, Arbeit und Alkohol.
"Also trank ich und schrieb wie ein Künstler, der keine Freunde braucht! Und so ist es ja auch."

Besessen von Arbeit

Schon mit Anfang 20 legt Highsmith ein für alle Mal fest: Nichts auf der Welt ist wichtiger als Arbeit. Noch nicht einmal die Liebe. Und die einzige Arbeit, die in Frage kommt, ist die als Schriftstellerin:
"Ich will so viel machen … und zwar allein, ohne Mann und vielleicht auch ohne Frau an meiner Seite. In den nächsten paar Jahren werde ich jedenfalls niemanden brauchen."
Protestantische Ethik ist gar kein Begriff für Highsmiths Arbeitsfuror. Wie sie das selbst auferlegte Pensum körperlich bewältigt, bleibt ein Rätsel - vor allem angesichts der unaufhörlichen Trinkerei. Dramatischer aber ist, dass zumindest im Rückblick sofort die Widersprüche sichtbar werden, an denen ihr privates Leben zerschellen wird. Es gibt für Highsmith nur zwei sinnvolle Dinge im Leben: Liebe und Schreiben. Für das Schreiben aber meint Highsmith allein sein zu müssen. Den unlösbaren Konflikt wird sie in Alkohol ertränken. Immer wieder.
Aber noch ist Patricia Highsmith jung, noch hat sie Energie, um Enttäuschungen zu verwinden und ihr Glück immer neu zu versuchen. Und sie kommt voran. Nach der Uni finanziert sie für einige Jahre ihren Lebensunterhalt als Autorin in der boomenden Comic-Industrie. Stets in Angst, mit der Lohnschreiberei ihr Talent zu kompromittieren, aber erfolgreich. Sie kann zu Hause ausziehen und sie unternimmt erste Reisen. Nach Kalifornien, nach Mexiko und bald auch nach Europa. Dann der große Wurf: Schon der erste Roman "Zwei Fremde im Zug" ist ein Welterfolg. Auch "Salz und sein Preis" verkauft sich 1952 hervorragend, 1955 folgt der erste Ripley-Roman. Highsmith ist jetzt ein etablierter Star, vor allem in Europa. Bald verlegt sie auch ihren Wohnsitz in die Alte Welt. Allerdings lebt sie nun nicht mehr in Metropolen wie New York, sondern fast immer in großer Abgeschiedenheit auf dem Land. Erst in England, dann in Frankreich, schließlich in der Schweiz. Der Arbeit tut das gut. Als Highsmith 1995 stirbt, sind 22 Romane und zahllose Kurzgeschichten veröffentlicht. Doch ihr Privatleben ist ein Fiasko. Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt: das Pendel schwingt immer schneller hin und her. Hier ist Highsmith im Dezember 1962 mal wieder überzeugt, endlich die große Liebe gefunden zu haben:
"Schönheit, Perfektion, Vollendung – alles erreicht, alles erlebt. Als Nächstes kommt nur noch der Tod, nur einen Schritt entfernt. Ich möchte nichts mehr sehen, nichts mehr fühlen oder erleben. Alles, was noch kommt, kann nur eine Minderung sein und würde mich von einem Menschen in Gemüse verwandeln. Ich habe Schönheit gesehen, meine Lieben, mehr als ich – oder um die Wahrheit zu sagen, jeder andere auch – erwarten oder durch schnöden Loskauf von schnödem irdischen Verhalten hätte erpressen können."
Aber es kommt wie immer: die Geliebte Caroline ist wie so oft eine verheiratete Frau und hat keine Absicht, ihre Ehe für Highsmith zu beenden.

Abstieg und Fall der Patricia H.

Highsmith Tagebücher offenbaren den jahrzehntelangen, schmerzhaften Abstieg und Verfall, auch wenn sie nun deutlich seltener Einträge macht. Aus der sprühend intelligenten, gewiss verqueren, auch selbstzerstörerischen, aber doch lebenslustigen Patricia Highsmith der 1940er und 50er Jahre wird nach und nach ein emotionales und körperliches Wrack. Oder wie ein Freund in Anspielung auf den "Zauberer von Oz" sagte: The Wicked Old Witch of the West, die böse Hexe des Westens. Die obsessive Selbstbezogenheit wird immer deutlicher. Schon in den 50er Jahren hatte es in den Tagebüchern kaum Hinweise darauf gegeben, dass das Europa, durch das Highsmith zog, gerade in einem Weltkrieg zu Grunde gerichtet worden war. Selbst über die vielen Geliebten bliebe man als Leser weitgehend im Dunkeln ohne die einführenden Texte der HerausgeberInnen zu den einzelnen Etappen in Highsmiths Leben. Kaum ein Wort über ihre Berufe, Interessen, Herkunft, Ansichten. Was zählt ist einzig und allein das Befinden von Patricia Highsmith.
"Ich widme dieses Notizbuch dem Alkohol in all seinen verzaubernden Erscheinungen, seinen schönen Formen, seiner beseelenden Kraft, mit der er den dunklen, dichten Vorhang der Realität zerreißt, so dass der Mensch das wahre Ausmaß seiner Phantasie erkennen kann, seiner Kraft Schmerzen zu lindern und denen Mut zu spenden, die ihn nötig haben."
Jahrzehnte härtester Trinkerei verlangten ihren Tribut. Die Einsamkeit wohl auch. Wobei: Auch die alte Highsmith kann verblüffen. Sie ist erbarmungslos, aber klarsichtig. Finster, aber lustig:
"Ein Grund, Autos zu bewundern: Sie richten mehr Personenschaden an als ein Krieg."
Immer stärker werden nun Ressentiments, Bitterkeit, Menschenfeindschaft, Hass. Die Tagebücher dokumentieren das, auch wenn die HerausgeberInnen Highsmiths schlimmste Entgleisungen zensiert haben, um Rassismus und Antisemitismus, wie es im Vorwort heißt, keine Bühne zu geben. Doch auch so ist es eine zunehmend ermüdende und deprimierende Lektüre. Noch eine Amour Fou, die in Alkohol, Streitereien und gegenseitigen Vorwürfen enden wird. Noch ein neues Buch. Noch mehr Reisen. Was am Ende blieb, war außer den geliebten Schnecken, außer Katzen und Whisky nur noch das eine: Schreiben. Ein Ersatz, wie Highsmith früh wusste:
"Das Schreiben ist natürlich ein Ersatz für das Leben, das ich nicht leben kann, das zu leben ich nicht in der Lage bin."
Genau hier liegt vielleicht auch das letztlich nicht zu entschlüsselnde Geheimnis der Kunst von Patricia Highsmith. Ihr Leben war, wie die Tagebücher zeigen, beim besten Willen nicht langweilig. Und die engen Beziehungen zwischen Privatleben und Werk sind unübersehbar. Doch verblasst all das im Vergleich mit dem reichen fiktionalen Universum, dass Highsmith in ihrem Kopf entwarf und in einer lebenslangen Arbeits-Orgie in ihre Olympia SM3-Schreibmaschinen hämmerte. Acht Seiten pro Tag. Über mehr als 50 Jahre hinweg. Die Tagebücher der talentierten Mrs Highsmith sind eine hochspannende Lektüre, nicht nur für Fans. Aber ihre Romane bleiben unersetzlich. "Tiefe Wasser", "Der süße Wahn" und natürlich: "Der talentierte Mr Ripley".
Patricia Highsmith: "Tage- und Notizbücher"
herausgegeben von Anna von Planta
aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg
Diogenes Verlag, Zürich. 1376 Seiten, 32 Euro.