Freitag, 19. April 2024

Archiv


Tagelöhner mit Hungerlohn

Noch vor 30 Jahren war Italien ein klassisches Auswanderungsland - was kulinarisch weltweit spürbar ist. Inzwischen ist es selbst ein Immigrationsziel, auch für illegale Einwanderer. Von ihnen profitiert vor allem die Schattenwirtschaft. Doch die Illegalen beginnen, sich gegen die Ausbeutung zu wehren.

Von Nadja Fischer | 30.07.2010
    "Die Linke strebt ein multiethnisches Italien an. Wir wollen das nicht."

    Deutliche Worte von Ministerpräsident Silvio Berlusconi bei einem seiner Auftritte. Seine Regierung, fährt Berlusconi fort, wolle politische Flüchtlinge aufnehmen. Der Rest aber, die Wirtschaftsflüchtlinge, müssten zurück in die Ursprungsländer.

    Ein Italien ohne Einwanderer? Noch bis vor drei Jahrzehnten entsprach das im traditionellen Auswanderungsland Italien der Realität. Heute liegt der Ausländeranteil bei sieben Prozent und damit nur noch knapp unter dem europäischen Durchschnitt. Wie viele illegale Einwanderer sich zusätzlich in Italien aufhalten, weiß niemand. Klar ist aber: die Illegalen leben nicht nur in Italien, sondern arbeiten auch - in Italiens weitverbreiteter Schattenwirtschaft.

    Caserta, in der Region Neapels. Vor einem alten Fabrikgebäude stehen Hunderte Schwarzafrikaner: Männer, Frauen und Kinder. Die ehemalige Fabrik für Hanfpolsterungen ist heute in der Gegend die wichtigste Anlaufstelle für Einwanderer. Hier erhalten sie rechtliche Auskünfte, medizinische Hilfe und die Möglichkeit, sich zu versammeln, ohne von der Polizei behelligt zu werden.

    Ein Streiktag wird geplant, an dem die Illegalen ihre Arbeit niederlegen, um zu zeigen, wie viel heute in Italien nur noch funktioniert, weil die Schwarzarbeiter aus anderen Ländern da sind. Viele der anwesenden Männer arbeiten als Tagelöhner zu Hungerlöhnen auf den Plantagen, wo Gemüse und Obst für ganz Europa angebaut werden. Ohne die billigen Immigranten liefe in der süditalienischen Landwirtschaft gar nichts, sagt Mimma d'Amico, die das Sozialzentrum in Caserta seit 1995 mit aufgebaut hat:

    "Immigranten ernten Tomaten, Fenchel, Auberginen, Erdbeeren, Melonen - sie sind auf allen Plantagen anzutreffen. Auch große multinationale Firmen haben in dieser Gegend ihre Felder. Die Ausbeutung hat System: Diese Firmen brauchen die billigen und willigen Arbeitskräfte, die nie aufbegehren, weil sie häufig illegal in Italien sind und darum auf ihr kleines Einkommen aus der Schwarzarbeit angewiesen sind."

    Der Kampf gegen die Ausbeutung der Einwanderer sei immer auch ein Kampf gegen die Mafia, sagt die Sozialarbeiterin: ganz speziell in Caserta, einer Hochburg der Camorra:

    "Die Camorra und die anderen italienischen Mafias haben das Monopol auf Transport und Verpackung von Obst und Gemüse und zwingen den Bauern und Händlern überhöhte Preise auf. Diese wiederum geben den Druck nach unten weiter, an die Plantagenarbeiter, die illegalen Einwanderer, die zu Tiefstlöhnen arbeiten müssen."

    Italien habe eine lange Tradition der Ausbeutung, sagt Enrico Pugliese. Pugliese ist einer der anerkanntesten Soziologen Italiens, Professor in Rom und Experte für Migration. Er erinnert an die Frauen, die noch in den 40er-Jahren aus der Lombardei ins Piemont zogen, um dort - unter miserablen Bedingungen - auf den Reisfeldern Unkraut zu jäten. Neu für Italien sei, so Pugliese, dass Einwanderer ausgebeutet würden. Pugliese warnt davor, dieses Phänomen nur Süditalien zuzuschreiben:

    "Miserabel bezahlte Schwarzarbeit gibt es in ganz Italien - in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in den weltberühmten Kleiderschneidereien. Grundsätzlich gilt: In Italien sind Unternehmer stets international konkurrenzfähig geblieben, indem sie ihre Angestellten schlecht bezahlten: Früher gaben sich verarmte Süditaliener her, für nichts zu arbeiten, heute sind es die illegalen Einwanderer."

    Pugliese fordert, den italienischen Arbeitsmarkt vorsichtig zu öffnen: Für die Arbeitssuche soll es auch Nicht-EU-Bürgern für eine gewisse Zeit erlaubt sein, sich legal in Italien zu bewegen. Doch mit Machtantritt von Silvio Berlusconis Mitte-rechts-Allianz ist dieser Vorschlag in einer Schublade verschwunden.