Dienstag, 19. März 2024

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Tagespraktikum als Klavierrestaurator
Ein Job für gute Stimmung

Einen Tag lang hat unser Moderator einen Klavierrestaurator bei der Arbeit begleitet. Er hat Tasten poliert und ganz genau die Ohren gespitzt. Sein Fazit: Bei diesem Job ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.

Von Christoph Vratz | 20.08.2018
    Klavierstimmer Frank Stinder sitzt an einem Bechtein-Flügel
    Klavierbauer Frank Stinder braucht für seinen Job ein feines Gehör (Deutschlandradio / Christoph Vratz)
    Morgens früh. Die Autobahn ist noch weitgehend leer. Die Fahrt führt ins Bergische Land. Idylle: Singvögel, Wiesen, Blumen, blauer Himmel. An der angegebenen Adresse steht die Tür sperrangelweit offen. Den Hausherrn Frank Stinder finde ich unter einem Klavier hockend, auf dem Boden, wo er an einer Saite zupft. Schräge Klänge. Neue Musik? Nein, Werkstatt-Sound.
    Frank Stinder: "Es gibt ein Störgeräusch. Da ist ein Kontakt zwischen einer Stützschraube, die die andere Platte stützt und auf Abstand hält vom Resonanzboden, und da stecke ich gerade mit einem feinen spitzen Instrument, das steck ich in den Spalt, erweitere den etwas."
    Nachbau alter Tasteninstrumente
    Stützschraube, Resonanzboden. Wir sind mitten drin im Tagesgeschäft. Kein langes Verweilen. Es ist kein normales Klavier, sondern ein Doppelklavier mit zwei Tastaturen. Nicht sehr hoch gebaut, damit sich die beiden Spieler noch, einander gegenüber, ansehen können. Ein Eigenbau, Marke: Frank Stinder. Von Haus aus ist Stinder Musiker, Klavier und Orgel. Doch seit vielen Jahren gilt seine Passion der Restauration und dem Nachbau alter Tasteninstrumente.
    Autor: "Das klingt ja wie Neue Musik."- Stinder: "Ja, das reizt auch viele Leute, Neue Musik zu machen. Wir Klavierbauer sehen das nicht gerne, wenn Saiten mit den Fingern angefasst werden, denn, was viele Laien sich gar nicht vorstellen, wie schnell die oxydieren, und dann Rostflecken ansetzen, Rostnarben bilden – und dann auch reißen."
    Ein Blick quer durch den Raum macht mir klar: das ist halb Werkstatt, halb Museum. Denn überall begegnet mir Klavierbaukunst von vor über hundert Jahren. Direkt vor mir steht eingehüllt ein großer Flügel:
    "Das hier ist ein Bechstein-Flügel, 2 Meter 40, von 1870. Der ist verkauft, der geht ins Schloss nach Darmstadt. Das klingt sehr romantisch und rund, jetzt schön mit Decken abgedeckt, damit man nicht die schöne Schellackpolitur noch wieder beschädigt, durch Sachen, die man drauf fallen lässt."
    Wir gehen in ein Nebengebäude. Auch hier, mehrere hochgeklappte Flügel, separat aufgereiht die Beine, dazu an den Wänden Spulen, Feilen, Bohrer, Lackdosen.
    Stinder: "Also hier steht zum Beispiel noch mal ein Flügel." - Autor: "Cramer." - Stinder: "Ja, bei Cramer, fällt Dir was ein?" - Autor: "Nee." - Stinder: "Aber Du kennst die Cramer-Etüden?" - Autor: "Ach so." - Stinder: "Das war der. Der Mann war ähnlich wie Pleyel in Paris Pianist und Verleger, und der war ein völlig genialer Klavierbauer. Allerdings ist das Ding so schwer hier. Man sieht das schon der enorm starken Gussplatte, die auch hinten wieder riesige Felder hat im Bassbereich um das da auszusteifen. Das ist fast so schwer wie ein Panzer. Als ich den kaufte, wusste ich gar nicht, wie ich den abtransportiere. Zum Glück waren in dem Raum zwei Anstreicher, die habe ich gefragt, das habe sie auch bereitwillig gemacht, weil sie nicht wussten, was auf sie zukam. Das ist ein richtiger Kracher, mit dem könnte man heute CD-Aufnahmen machen. Das klingt wie ein ganz moderner Flügel, obwohl er von 1914 ist.
    Schnell ist klar: Hier könnte man stundenlang stöbern, entdecken. Aber schließlich soll ich ja selbst aktiv werden. Seitwärts steht ein Steinway-Konzertklavier von 1884. Frank Stinder legt ein Filzband um die Saiten und ich höre etwas von bereits gelegter Stimmung.
    Autor: "Was heißt: Die Stimmung ist gelegt?" - Stinder: "Nein, ist nicht gelegt, ist nur ungefähr auf Höhe gezogen. Also von Stimmung kann man da noch nicht reden."
    Praxistest wartet
    Auf Höhe gezogen, aha. Frank Stinder nimmt einen Filz.
    "Den so genannten Temperaturfilz, den ich zwischen die Saitenchöre stecke."
    Vielleicht sollte ich mir besser ein Vokabelbuch anlegen?! Bis zum Abend werde ich alle Begriffe wieder vergessen haben. Doch zunächst wartet der Praxistest.
    "Mit dem Stimmhammer ziehe ich vorsichtig, mal rauf, mal runter. Ein ungemein feines Gehör ist gefragt. Denn jeder Ton setzt sich aus drei Saiten zusammen. Alles ist auch eine Sache von Erfahrung."
    Nach ein paar Tönen unterbrechen wir das Ganze. In einer Ecke steht eine einzelne Tastatur, leicht angestaubt. Elfenbein. Frank Stinder nimmt eine einzelne Taste heraus.
    "Beliebt sind die Elfenbeinbeläge, weil die Wasser abtransportieren, sich glatt anfühlen. Aber die altern sehr, haben kleine Kratzer."
    Fingerspitzengefühl gefragt
    Diese Taste muss poliert werden. Jetzt geht es an die automatische Schleifmaschine. Auch hier sind Vorsicht und Fingerspitzengefühl gefragt. Zwischendurch kommt ein Mitarbeiter herein. Alles geht hier ruhig seinen Gang. Hektik wäre ein falscher Ratgeber. Ob die richtige Konsistenz von Lacken, die Beschaffung alter Saiten oder deren passende Bespannung mit mehreren Tonnen Zugkraft – Klavierrestaurator sein ist weit mehr als für die richtige Stimmung sorgen. Frank Stinder und seinen Ausführungen könnte ich stundenlang zuhören. Diese Tastenwelt ist ein Faszinosum, denn jedes Instrument hat – anders als heute – einen eigenen Klang. Zuletzt entdecke ich noch ein Hochklavier:
    "Da steckt eigentlich der Nachbau eines Erard-Konzertflügels von 1855 drin. Ist nicht gestimmt jetzt, wird aber noch Töne machen."
    Auch das ein Unikat à la Frank Stinder, nachgebaut nach historischen Vorlagen. Ein Flügel platzsparend für die eigene Wohnung, nicht tiefer gebaut als ein Klavier, nur höher. Eine eigene Welt. Fasziniert steige ich wieder ins Auto. Verlasse das Bergische Idyll und bin mir sicher: Bei Klavieren höre ich nun mit anderen Ohren hin.