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Tagesschau auf TikTok
"Die Plattform wird vorsichtig sein, Inhalte zu zensieren"

Sorgt die Tagesschau für mehr Offenheit bei TikTok? Oder sorgt Deutschlands renommierte Nachrichtenredaktion dafür, dass die Plattform Legitimation erhält? Dass große Medien TikTok nutzen, könne unterschiedlich gewertet werden, sagte IT-Journalist Stephan Scheuer im Dlf.

Stephan Scheuer im Gespräch mit Bettina Schmieding | 26.11.2019
Das Logo der Kurzvideo-App TikTok auf einem Handybildschirm.
Die beliebte Kurzvideo-App TikTok gehört zu dem chinesischen Konzern ByteDance. (picture alliance/dpa)
Bettina Schmieding: Spätestens seit die Tagesschau letzte Woche auf TikTok äußerst erfolgreich startete, überlegen auch andere deutsche Medien, ob an dieser Plattform ein Weg vorbeigeht, wenn man junge Nutzer erreichen will. In einem Mini-Video ist unser aller Tagesschau-Sprecher Jan Hofer in einem animierten Clip dabei zu beobachten, wie er sich eine Krawatte aussucht. Stephan Scheuer ist Redakteur beim Handelsblatt, war China-Korrespondent. Sie sagen, TikTok will in Deutschland gut Wetter machen - wie genau kann das funktionieren?
Stephan Scheuer: Der Fokus von TikTok hier in Deutschland liegt ganz klar auf Themen, die sehr vorausschauend sind, also beispielsweise Body Positivity. Das ist ja so ein Bereich, in dem sich gerade auch Medienmacher damit auseinandersetzen, dass eben Menschen, die vielleicht nicht einem klassischen Schönheitsideal entsprechen, dafür nicht diskriminiert werden sollen, sondern das als etwas Positives dargestellt wird. Und da hat TikTok eine ganze Reihe von Videoaktionen angestoßen, um genau dieses Thema voranzubringen. Und das ist etwas, wo wir uns ja auch alle drauf einigen würden, dass es was Gutes ist, Menschen, die von der Norm abweichen, nicht zu diskriminieren.
Schmieding: Trotzdem gibt es ja diese Vorwürfe und die lassen nicht nach: dass TikTok oder die chinesische Führung über TikTok, wenn es diese Verbindung denn gibt, zensiert, vielleicht auch manipuliert in der Art und Weise, wie dort Inhalte moderiert werden. Wird TikTok aus Peking gelenkt? Was meinen Sie?
Scheuer: Das halte ich für ziemlich unwahrscheinlich. Aber das, was man sich immer vor Augen führen muss, ist, dass in China alle Unternehmen, die sich gerade mit Inhalten und gerade auch mit Medienproduktion, also mit Nachrichten, beschäftigen, sehr, sehr strengen Vorgaben unterworfen sind. Und ich halte es für unwahrscheinlich, dass jetzt irgendwie der chinesische Staat TikTok lenkt. Allerdings ist TikTok eben ein Unternehmen, das all diesen Regeln unterworfen ist. Und wenn TikTok international negativ auffallen sollte, für beispielsweise die Verbreitung von chinakritischen Inhalten, besteht natürlich immer die Gefahr, dass das zu Verwerfungen auf dem Heimatmarkt führt. Sprich, dass TikTok dafür Ärger bekommt, was auf der Plattform im Ausland stattfindet.
"Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Regeln"
Schmieding: Also wenn TikTok politische Inhalte zum Beispiel unterdrückt, würde die App das proaktiv tun, weil sie nach chinesischen Regeln handelt?
Scheuer: Wir müssen da ein bisschen unterscheiden. Also: Wenn TikTok jetzt international als Plattform für besonders chinakritische Inhalte gelten sollte, ist die Gefahr sehr groß, dass das zu negativen Konsequenzen in China führen könnte. TikTok selbst hat natürlich die Schwierigkeit, wie auch alle möglichen anderen Plattformen aus den USA, dass sie in sehr vielen unterschiedlichen Ländern aktiv sind, in denen unterschiedliche Regeln gelten. Das, was TikTok derzeit versucht, ist, Moderationsregeln für einzelne Länder anzupassen. Und eine dieser Ideen geht dahin, sich gerade auf Themen zu stürzen, die eben nicht so kontrovers sind.
Schmieding: netzpolitik.org konnte in diese Moderationsregeln hineinschauen, hat mit einer Quelle aus TikTok selber gesprochen. Was konnten Sie daran erkennen? Wie geht TikTok hier in Deutschland mit chinakritischen Inhalten um?
Scheuer: Was interessant ist an dieser Bereitstellung der Moderationsregeln über netzpolitik.org ist, dass eben ein großer Teil dieser Überprüfung von Inhalten in Deutschland gar nicht in Deutschland selbst geschieht. Also TikTok hat zwar ein Team von Menschen, die sich Inhalte anschauen, die in Berlin sitzen, allerdings wird auch ein großer Teil dieser Kontrolle in Spanien bzw. auch in China vollzogen. Was dort dann auch von netzpolitik.org aufgedeckt wurde, ist, dass diese Moderationsregeln sehr, sehr vage sind. Und gerade solche vagen Regeln, wissen wir natürlich auch immer wieder, führen auch dazu, dass der eine oder andere Regeln vielleicht noch viel, viel strenger auslegt. Und genau das ist, was dort passieren könnte.
Wo laut netzpolitik.org einer der Bereiche besteht, die sehr kritisch gesehen werden, sind politische Auseinandersetzungen generell. Das heißt, bei ganz vielen Bereichen, wo nicht klar ist, ob das jetzt in Ordnung ist oder nicht, wird vermutlich ein Moderator eher versuchen, Inhalte zu unterdrücken oder nicht zirkulieren zu lassen. TikTok selbst betont die ganze Zeit, dass man auch über Hongkong kritisch reden kann. Es gibt zwar, wenn man die Plattform anschaut, auch Inhalte zu Hongkong - das ist allerdings nicht besonders viel.
"Gelingt es, kritische Berichterstattung zu trannsportieren?"
Schmieding: Das, was Sie sagen, im Hinterkopf, Herr Scheuer: Ist es aus Ihrer Sicht sinnvoll, dass die Washington Post beispielsweise oder auch die Tagesschau bei TikTok mitmischen?
Scheuer: Das ist unglaublich spannend, weil man da aus zwei Perspektiven draufschauen kann. Das Eine ist erst einmal der Ansatz, zu sagen: Na gut, wenn die Tagesschau auch TikTok nutzt, dann wird TikTok auch sehr, sehr vorsichtig sein, Inhalte der Tagesschau dort zu zensieren. Von daher kann sowas wie das Auftreten großer Medien dazu führen, dass diese Plattform auch offener wird und auch mehr Diskussion zulässt. Auf der anderen Seite führt natürlich die Tagesschau, die jetzt TikTok nutzt, dazu, dass die Plattform eine Legitimation bekommt. Ich finde, man muss sich das sehr, sehr genau angucken und muss auch sehr genau angucken, ob es der Tagesschau denn gelingt, genauso eine kritische Berichterstattung, wie sie sie normalerweise vorantreibt, auch auf TikTok zu transportieren.
"Peking hat einen anderen Blick darauf, was Journalisten sollen"
Schmieding: Ein aktueller Anlass für diese kritische Art der Berichterstattung wäre jetzt die Recherche zu "China Cables". Wie gespalten das Verhalten der chinesischen Führung zu Medien ist, wie ja auch die Tagesschau eines ist. Das kann man bei "China Cables" erkennen: Eine journalistische Recherche wie diese, die hat herausgefunden, dass die Minderheit der Uiguren in Internierungslagern einsitzt. Die erste Reaktion von China war: Die Medien sind schuld, sie stören die Ordnung. Ist das typisch, Ihrer Erfahrung nach?
Scheuer: Was wir in den letzten Jahren gesehen haben, ist, dass die Arbeit für uns als ausländische Journalisten, aber auch gerade für unsere chinesischen Kollegen und Kolleginnen immer weiter eingeschränkt worden ist. Das heißt, Peking gibt immer weniger Möglichkeit für Journalisten, sich auch kritisch mit der chinesischen Politik auseinanderzusetzen. Und ganz im Gegensatz dazu wird häufig betont, dass Journalisten doch eine Rolle spielen sollen dabei, ein positives Bild der Gesellschaft zu zeichnen. Und genau diesem Narrativ entspricht dann natürlich der Blick auf solche Skandale.
Peking hat einen anderen Blick darauf, was Journalisten sollen. Sie sollen eben nicht unabhängig und kritisch berichten, sondern sie sollen eher dafür sorgen, dass Harmonie in der Gesellschaft herrscht. Aber das hat aus unserer Sicht natürlich überhaupt gar nichts damit zu tun, was die Kernaufgabe von Journalismus ist. Und das ist sehr gefährlich.
Schmieding: Ist es trotzdem möglich, dass solche Recherchen wie die zu "China Cables" in irgendeiner Weise Veränderungen der chinesischen Politik nach sich ziehen?
Scheuer: Das Interessante dabei ist, dass die Dokumente von chinesischer Seite mit Journalisten geteilt worden sind. Kristin Shi-Kupfer vonm Mercator-Institut für China-Studien hat sich damit auseinandergesetzt und hat gesagt: Das könnte doch ein Hinweis darauf sein, dass es eben in China auch Kräfte gibt, die das eben auch sehr kritisch sehen, was dort von der Parteiführung vollzogen wird. Und die gerade deswegen den Weg über internationale Medien gesucht haben, um dort auf Missstände hinzuweisen. Also: Ja, es scheint schon möglich zu sein, dass es dort auch Veränderungen gibt. Und es scheint dort auch Menschen zu geben, die genau diese Politik sehr, sehr kritisch sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.