Freitag, 29. März 2024

Archiv

Tagung zu Schattenorten
Wie historisch belastete Städte ihr Image konstruieren

Berlin, Nürnberg, Dresden, Dachau - auch Städte haben Biografien und in vielen davon finden sich dunkle Kapitel. Verdrängen, umdeuten oder aufarbeiten, jede geht unterschiedlich damit um. Auf einer Tagung am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam haben Historiker über diese Schattenorte diskutiert.

Von Andreas Beckmann | 19.02.2015
    Grablichter und Kerzen brennen während der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Bombardierung von Dresden. Im Hintergrund die wieder aufgebaute Frauenkirche.
    Grablichter und Kerzen brennen während der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Bombardierung von Dresden. Im Hintergrund die wieder aufgebaute Frauenkirche. (dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt)
    Es gibt keine Heldenstädte mehr in Deutschland. Selbst Leipzig als Ausgangspunkt der friedlichen Revolution in der DDR trägt diesen Titel nur noch ironisch. Eine ernsthaft zur Schau getragene heroische Attitüde würde der Stadt auch niemand abnehmen, erklärt Hanno Hochmuth vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Denn der Nationalstolz alter Prägung findet kaum noch Anklang, weder in der Bevölkerung noch in der Forschung.
    "Weil Geschichtswissenschaft die längste Zeit, bis Mitte des 20. Jahrhunderts definitiv, eine sehr affirmative Geschichtswissenschaft gewesen ist. Eine Geschichtswissenschaft, die vor allen Dingen dazu diente, den Nationalstaat zu legitimieren. Erst in den 70er-, 80er-Jahren, wo eine kritische Geschichtswissenschaft sich Bahn brach, gab es auch eine Aufmerksamkeit für Orte, die nicht zur Legitimation des Nationalstaates dienen, und das ironische an dieser Entwicklung ist, dass wir unsere Identität heute vor allen Dingen aus diesen gebrochenen Orten beziehen. Früher haben diese gebrochenen Orte die Identität eher gestört und heute haben wir eher eine kritische Identität, die genau diese bösen Orte, diese Schattenorte braucht und daraus ihr Selbstverständnis bezieht.
    Einst haben deutsche Historiker vor allem Schlachtfelder in den Blick genommen, auf denen Nationen begründet oder verteidigt und manchmal auch zerschlagen wurden. Inzwischen interessieren sie sich mindestens ebenso sehr für Schattenorte, die für Verbrechen oder mindestens Verstrickungen einer Nation stehen. Seit den 70er-Jahren habe sich in der Bundesrepublik eine Schamkultur ausgebreitet, so Hanno Hochmuth. Diese Entwicklung sei aber weniger von akademischen Gelehrten ausgegangen als von privaten lokalen Initiativen, die es nicht mehr hinnehmen wollten, dass vor allem die Verbrechen während der Nazi-Zeit totgeschwiegen wurden, obwohl die Tatorte oft buchstäblich vor der Haustür lagen.
    "Es ist eben gerade nicht so, dass diese Orte des Schreckens, dass die als Makel empfunden werden, sondern das ist genau das, was die Menschen sehen wollen, es ist genau das, womit sie sich auseinandersetzen wollen. Es gibt eben gerade nicht die Verdrängung, sondern die Schamkultur hat diese Schattenorte in das Zentrum der eigenen gesellschaftlichen Selbstverständigung gerückt."
    Dunkle Kapitel als Standortvorteil
    "Schattenort zu sein ist heute ein Standortvorteil."
    Alexander Schmidt forscht als Historiker am Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, das in erster Linie Forschungsstätte ist, aber auch ein wichtiger Faktor im Stadtmarketing. Er selbst hat an diesem Schattenort schon als Kind gespielt und erinnert sich noch gut, wie konsequent dessen Geschichte lange beschwiegen wurde, obwohl schon seit den 50er-Jahren Touristen aus dem In- und Ausland regelrecht dorthin strömten.
    "In der Tat sahen sich weite Teile der Stadtgesellschaft in den ersten Nachkriegsjahrzehnten als Opfer des Krieges an und blendeten die sehr prominente Rolle Nürnbergs als Stadt der Reichsparteitage nahezu komplett aus."
    Als Alexander Kluge und Peter Schamoni 1961 mit ihrem Kurzfilm "Brutalität in Stein" an diese Rolle erinnerten, lösten sie eine Welle der Empörung aus.
    "Ganz charakteristisch in der damaligen Zeit ist auch, dass die Nürnberger Prozesse in einem Atemzug mit den Rassegesetzen, mit den Parteitagen genannt werden, allesamt in gleicher Weise belastend."
    Mit den Nazis, ihren Inszenierungen und ihren Gesetzen gegen die Juden hatte die Stadt angeblich nichts zu tun. Und die Nürnberger Prozesse wurden noch in den 60er-Jahren als Siegerjustiz und Demütigung des deutschen Volkes abgetan. Seit 1993 erinnert dagegen die Kunstinstallation "Straße der Menschenrechte" daran, dass die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkriegs mit den Prozessen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit das Völkerrecht weiterentwickelten und seitdem Diktatoren überall auf der Welt damit rechnen müssen, juristisch belangt werden zu können. Gleichzeitig führt die "Straße der Menschenrechte" ganz nah an jenem Ort vorbei, an dem die Nazis die Nürnberger Gesetze verkündeten.
    "Der Ort stellt eigentlich keine Provokation mehr dar und Besucher sind eine Selbstverständlichkeit. Ein Standard im Tourismus, ein Standard im Bildungsprogramm, ein Standard für Schulklassen. Wir können jetzt nicht mehr irgendwelchen imaginären Gegnern ihre NS-Geschichte um die Ohren hauen, das ist vorbei."
    Schwierige Aufarbeitung in Dresden
    In Dresden dagegen ist man immer noch dabei, die eigene NS-Geschichte offen zu legen. Bis vor wenigen Jahren wurde dort das Gedenken an die Bombennächte vom Februar 1945 in dem Gefühl begangen, hier sei eine unschuldige Barockstadt ohne militärischen Sinn zerstört worden, erzählt Anne Fuchs, die an der University of Warwick Germanistik lehrt.
    "Die Dresdener selber haben sich natürlich am Ende des Krieges als Opfer empfunden. Es sind sehr viele Menschen bei dem Angriff umgekommen, 25.000. Gleichzeitig hat die DDR-Regierung jedoch diesen Opfermythos seit den 50er-Jahren im Kontext des Kalten Krieges für ihre Zwecke genutzt. Man sprach ab 1950 regelmäßig von den anglo-amerikanischen Terrorangriffen."
    Schon NS-Reichspropagandaminister Goebbels hatte unmittelbar nach dem Bombardement von "amerikanischen Luftgangstern" schwadroniert. Weil die SED dieses Bild weiter gepflegt hatte, konnten nach der Wende Neonazis wieder daran anknüpfen. Mit Transparenten, auf denen sogar von einem angeblichen "Bombenholocaust" zu lesen war, zogen sie durch die Stadt. Erst jetzt formierte sich ein breites Bürgerbündnis, das sich mit Menschenketten den Rechtsradikalen entgegen stellte. Und das daran erinnerte, dass gerade Dresden eine Hochburg der NSDAP gewesen war. Heute gibt es Stadtspaziergänge unter dem Motto: "Täterspuren suchen statt Opfermythen pflegen".
    "Die Stadt hat begonnen, ein Erinnerungskonzept zu entwickeln, das die Erinnerung an die Zerstörung der Stadt einbetten will in die Geschichte des Nationalsozialismus, sodass also die Zerstörung der Stadt am Endpunkt der Geschichte des Nationalsozialismus steht und die Verstrickung des Nationalsozialismus zum Teil dieser Geschichte wird. Das ist nicht mehr das unschuldige, barocke Dresden, das zerschossen wurde, sondern ein Kriegsziel im Kontext eines totalen Krieges, sodass der Mythos der unschuldigen Barockstadt, Elbflorenz und die anderen Sprachklischees dann doch erheblich zumindest angekratzt werden."
    Erinnerungsort oder Schattenort?
    Auch wenn der Begriff Schattenorte im ersten Moment eindeutig erscheint, weil er auf Schrecken und Leid verweist, bedürfen Schattenorte doch der Interpretation. Das wird nirgendwo deutlicher als in Berlin. Nicht nur, weil die Hauptstadt eine große Zahl an Schattenorten beider deutscher Diktaturen bereithält. Sondern auch, weil die städtische Kulturprojekte GmbH im vergangenen Herbst der ganzen Welt vorgeführt hat, wie man einen Schattenort wieder in schönstem Glanz erstrahlen lassen kann.
    "Die Lichterkette, die wir im November 2014 gesehen haben, ist ein sehr gutes Beispiel dafür, wie ein Schattenort wie die Berliner Mauer vermarktet wird. Ich würde nicht sagen, dass der Schattenort aufhört ein Schattenort zu sein, aber deutlich ist, dass dem Schattenort ein Gutteil seines Schattens genommen wird, wenn sich die Berliner Mauer durch eine Lichterkette zu einem leuchtenden Spektakel verwandelt."
    Als Historiker hat Hanno Hochmuth keine grundsätzlichen Einwände gegen derartiges Histotainment, wie es neudeutsch heißt. Schließlich war die Mauer ja nicht nur der Ort, an dem Menschen erschossen wurden, nur weil sie in Freiheit leben wollten. Die letzten Reste der Grenzbefestigung der DDR stehen heute auch symbolisch für den Einsturz des SED-Regimes. Gerade wegen solcher Ambivalenzen bevorzugen die meisten Historiker für solche Stätten den Begriff Erinnerungsort. Denn dieser Terminus legt nicht gleich fest, wie ein Ort zu bewerten ist. Er lädt vielmehr dazu ein, ihn kritisch zu befragen.