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Tanz im Stasi-Knast

Auch in der ehemaligen Stasi-Haftanstalt Bautzen II wird am 9. November des Mauerfalls vor 20 Jahren gedacht. Jungen Leuten, die damals noch gar nicht gelebt haben oder kurz zuvor geboren wurden bereiten eine Tanzaufführung vor.

Von Alexandra Gerlach | 05.11.2009
    "Das ist schon ein großer Unterschied. Wir machen das heute zum ersten Mal hier, und es ist total anders. Man hat ganz andere Eindrücke. Wir kommen auch wirklich aus den Zellen, und gerade wenn man in den Zellen steht, hat man wirklich ein bedrückendes Gefühl, und somit ist es eine ganz andere Atmosphäre, auf jeden Fall."

    So wie dieser jungen Studentin, Jahrgang 1989, geht es fast allen Tänzerinnen und Tänzern, die an diesem Probenabend in der ehemaligen Stasi-Haftanstalt versammelt sind. Zum ersten Mal proben die jungen Männer und Frauen ihre Performance außerhalb der Dresdner Palucca-Schule:

    "Ja, also ich war heute auch das erste Mal hier. Als ich das betreten hab, war das ein merkwürdiges Gefühl, denn man hat so dran gedacht, was hat hier mal stattgefunden oder was war das Gebäude überhaupt mal, und von daher war das für mich überhaupt ein sehr mulmiges Gefühl."

    Der Ort hat auch 20 Jahre nach dem Mauerfall nichts von seiner düsteren Beklemmung verloren. 80 Prozent der einst hier Inhaftierten saßen aus politischen Gründen. Walter Janka war hier, Erich Loest und Wolfgang Harich und viele andere.

    Entrechtet, gedemütigt, ständig überwacht. Arrest und Isolation sowie ein straffer Tagesablauf kennzeichneten den Alltag der Bautzener Häftlinge mit dem Ziel, sie zu brechen:

    Die Tänzerinnen und Tänzer rennen an die Zellentüren im Erdgeschoss, laufen die Wände hoch, fallen, wälzen sich auf dem Betonboden, rappeln sich auf und rennen erneut gegen die massiven Türen.

    "Vom Feeling ist da eher ein bedrückendes Gefühl, finde ich, weil man halt weiß, was hier alles geschehen ist und was die Vergangenheit von diesem Gebäude hier ist."

    Wochenlang haben sich die Studierenden auf dieses Projekt vorbereitet, das nach dem Willen der Gedenkstätte einen neuen, emotionalen Zugang zu diesem düsteren Kapitel der deutschen Geschichte öffnen soll.

    Student: "Wir haben zum Beispiel eine Führung hier bekommen mit Videos anschauen, um halt zu sehen, wie es hier abgelaufen ist und wie die Bedingungen von den Häftlingen waren und mich erschüttern immer noch die Zellen am meisten, wenn ich da sehe, wie drei Betten übereinandergestapelt sind mit Holzgrundlage, und das ist echt, das hat mich am meisten erschüttert, echt."

    Studentin: "Es wird einem gleichzeitig klar, was diese Leute in der Vergangenheit eigentlich durchgemacht haben hier. Und was das für eine Befreiung eigentlich ist für unsere Generation."

    Betreut wird das Projekt von Anke Glasow. Sie ist Prorektorin an der Palucca-Schule, Dozentin für Improvisationstanz und Choreografin. Ohne gründliche inhaltliche Vorbereitung wäre die Performance mit den jungen Tänzerinnen und Tänzern gar nicht möglich gewesen, sagt Glasow, die selbst aus dem Osten stammt.

    "Sie sind alle größtenteils nach ´89 geboren, heißt, dass sie eigentlich diese Situation, eine Meinung zu äußern und dafür eventuell für Andersdenken bestraft zu werden, kennen sie gar nicht, und das war für mich der Auslöser zu sagen: Ich möchte mich mit dieser Thematik auseinandersetzen, sie an diese Örtlichkeit heranführen, ihnen das politische Hintergrundwissen vermitteln, die den Räumen anhaftet. Und es ist in dem Sinne keine Geschichte, sondern es sind Situationen, die hier passiert sind, die wir versucht haben, mit unseren tänzerischen Mitteln darzustellen."

    Studentin: "Also Aspekte wie Isolation oder Einengung. Auf der anderen Seite aber auch Hoffnung, wie in dem Duett oder bestimmte Gefühle und Aspekte einfach herausgepickt und die bearbeitet."

    Für die meisten der Palucca-Schüler gerät dieses Bautzener Projekt auch zu einer ganz eigenen Reise in die jüngste deutsche Vergangenheit. Vielfach geben sie zu Protokoll, dass in ihren Elternhäusern nur wenig über die Geschichte der DDR gesprochen wird.

    Student: "Ja, meine Großeltern reden sehr gerne darüber, aber so im Sinne von früher war alles besser."

    Studentin: "Nicht viel, also mein Heimatort ist zwar nicht weit von hier, in Bad Muskau, und von daher ist eigentlich meine ganze Familie aufgewachsen hier, aber die sind irgendwie nicht so die Geschichtenerzähler gewesen aus der Zeit."

    Das sei sehr typisch für die Nachwende-Generation, sagt Susanne Hattig von der Gedenkstätte Bautzen. Das Wissen über die DDR sei eher rudimentär:

    "Sie erfahren schon über die Schulen, dass die DDR eine Diktatur war, aber über die Familien erfahren sie meist etwas ganz anderes, nämlich, dass es damals ne Art von Sicherheit gab. Arbeitsplätze waren sicher, und man hatte eine besondere Form von Solidarität, die auch ein Stück weit durch Mangelwirtschaft entsteht."

    Viele junge Erwachsene seien angesichts dieser diffusen Informationslage verunsichert:

    "Was ist die Wahrheit? Das ist so eine Frage, die dann häufiger gestellt wird."

    Am 9. November werden die Tänzerinnen und Tänzer der Palucca-Schule gleich zweimal ihre verstörende und mit hoher Perfektion aufgeführte Performance mit dem Titel "Isolation - Sperrzone" im Lichthof der früheren Haftanstalt präsentieren. Am Ende wird sich mancher fragen, was der Begriff der "Freiheit" 20 Jahre nach dem Mauerfall eigentlich bedeutet.

    "Freiheit bedeutet mir alles eigentlich, weil ich weiß nicht, ich wüsste nicht, wenn ich hier einsperrt werden würde, das wäre ganz furchtbar, weil jeder Mensch braucht seine Freiheit, egal in welcher Hinsicht."