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Tanzgenuss messen

Neurologie. - Hirnforscher suchen inzwischen nach den neurologischen Grundlagen der Ästhetik. Auf dem Symposium "Tanz und Kognition" diskutieren Experten in Bielefeld neueste Ergebnisse der psychologischen und biologischen Tanzforschung.

Von Remko Kragt | 12.11.2009
    Aufführung eines Tanzes aus Indien. Die Tänzerin führt eine lange Folge genau einstudierter Bewegungen aus. Ihre Hände erzählen Geschichten. Wer die Symbolsprache erlernt hat, kann sie verstehen. Aber das Verstehen allein erklärt nicht die Faszination, die viele Zuschauer ergreift. Einem Tanz zuzuschauen ist ein Erlebnis, das auch diejenigen bereichern kann, die die Symbolik nicht verstehen. Schon die Wahrnehmung der bloßen Bewegungen bewegt auch das Publikum. Aber wie? Patrick Haggard beschäftigt sich an der Universität London mit der Frage, welche Tanzbewegungen Menschen besonders ansprechen. Dazu zerlegte er Videoaufnahmen einer Aufführung eines modernen Balletts von William Forsythe in kleinste, kaum wahrnehmbare Sequenzen. Seinen Probanden führt er jeweils eher ruhige und eher dynamische Ballettszenen vor. Ihre Aufgabe war, zu vergleichen, welche der vorgeführten Sequenzen ihnen eher gefiel. Sein verwirrendes Fazit:

    "Wir haben herausgefunden, dass Menschen dazu neigen, Tanzszenen zu mögen, in denen sich wenige Tänzer ruhig und gleichmäßig bewegen. Aber sie neigen auch dazu, ganz andere Stile zu mögen – energische, dynamische Teile des Stücks, in dem alle Tänzer sich schnell und in verschiedene Richtungen bewegen. Es gibt also nicht die eine schöne Tanzbewegung, sondern man könnte von multiplen ästhetischen Registern sprechen."

    Warum das so ist, kann Haggard allerdings nicht erklären. Es gehe um ganz persönliche Erlebnisse. Die aber, haben alle ihre biochemische Entsprechung im Gehirn, sagen Biologen . Das müsste der Schlüssel zur objektiven Messung von Emotionen sein, meint Bettina Bläsig, die an der Universität Bielefeld forscht.

    "Wenn ich etwas sehe, das ich schön finde, kann ich mich als Wissenschaftlerin fragen, ohne dass meine Erlebnisqualität dadurch eingeschränkt wird, warum finde ich das schön? Was passiert zum Beispiel im Gehirn, wenn ich eine Bewegung besonders schön, besonders ästhetisch finde, wenn sie mich emotional anspricht?"

    Corinne Jola etwa misst an der Universität Glasgow, welche Ströme im Gehirn fließen, wenn Menschen Tanzbewegungen sehen. Tatsächlich konnte sie feststellen, dass bestimmte Hirnareale von Tanzbewegungen unterschiedlich angeregt werden. Aber auch dabei tun sich Interpretationsprobleme auf. Corinne Jola:

    "Wir können die Hirnaktivierung, die wir kriegen, nur interpretieren mit unserem eigenen Verständnis von Stimuli. Also wenn ich einen Tanz, eine Bewegung sehe und eine gewisse Hirnaktivität habe, dann kann ich vom vorherigen Wissen, von anderen Forschern interpretieren, was die Hirnaktivierung eigentlich bedeutet."

    Die Tatsache, dass bestimmte Hirnareale bei der Beobachtung von Bewegungen angeregt werden, sagt eben noch nichts darüber aus, warum sie angeregt werden. Die Frage bleibt, was sich biochemisch im Gehirn abspielt, wenn Menschen zwischen schönen und weniger schönen oder gekonnten Bewegungsabläufen unterscheiden. Dieses zu klären haben sich zwei Forscher an der Universität Bielefeld vorgenommen. Sie statteten dazu Tänzer und Tänzerinnen mit zahlreichen reflektierenden Bällen aus, deren Bewegungen sie als Punkte aufnahmen. Die grafische Analyse der Bewegungmuster zeigte, dass etwa Drehbewegungen einer Pirouette keineswegs gleichmäßig, sondern ruckartig verlaufen. Auf die Verteilung dieser Ruckimpulse im Bewegungsablauf komme es an, vermuteten sie.

    Erneut wurden die Ergebnisse durchgerechnet und grafisch aufgearbeitet. Dabei zeiget sich: Fasst man die aufgezeichneten Bewegungen in Grafiken zusammen, dann zeigen sich mehr oder weniger geschlossenen geometrische Figuren. Und die Gestalt dieser Figuren war offensichtlich nicht zufällig verteilt. Die Pirouetten geübter Tänzer und Tänzerinnen erzeugten saubere Kubusformen in der grafischen Aufbereitung. Die grafische Ableitung der Bewegungen der ungeübten Tänzer dagegen waren zerfasert und wolkig. Die Wissenschaftler glauben deshalb: Es ist möglich, das, was wir als angenehm empfinden, auch mathematisch nachzuweisen.