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Tanzhaus NRW
Recherchieren fürs Tanztheater

Die Tanzrecherche NRW fördert ausgewählte internationale Nachwuchstänzer. Dabei steht der kreative Prozess im Vordergrund. Es ginge nicht um die fertige Produktion zum Schluss, sagte Projektleiter Christian Watty dem Dlf. Es sei ein "Bedürfnis der Künstler, eben mal frei arbeiten zu können."

Christian Watty im Corsogespräch mit Juliane Reil | 15.12.2017
    Tanzrecherche-Projektleiter Christian Watty
    Tanzrecherche-Projektleiter Christian Watty (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Juliane Reil: Das Weltkunstzimmer in Düsseldorf ist eine ehemalige Fabrik, die Künstlern öffentlichen Raum zur Gestaltung bietet. Drei bis vier Mal im Jahr finden dort verschiedene Projekte statt. Eines dieser Projekte: das des belgischen Choreografen und Tänzers Mohamed Boujarra zusammen mit dem lettischen Fotographen und Maler Atis Jacobsons. Sie arbeiten im Rahmen der Tanzrecherche NRW. Die Tanzrecherche des NRW Kultursekretariats wiederum fördert junge Tänzer und Choreografen und gibt ihnen die Möglichkeit, mehrere Wochen in NRW zu arbeiten und zu recherchieren. Christian Watty ist Projektleiter der Tanzrecherche. Schön, dass Sie heute Zeit haben. Guten Tag zum Corsogespräch.
    Christian Watty: Guten Tag.
    Reil: Tanz-Recherche ist ein ungewöhnlicher Begriff in Zusammenhang mit Tanz.
    Watty: Na, das ist nicht ungewöhnlich, weil seit den 90er-Jahren im Tanz der Prozess der Entwicklung eines neuen Stückes anders geworden ist, als es früher war, und dass Choreografen heute viel mehr eben recherchieren, viel mehr wirkliche Forschung betreiben und Themen recherchieren, um zu ihren Stücken, um zu ihren Themen, zu ihrem Material zu kommen.
    Reil: Wie muss man sich das konkret vorstellen? Wie recherchieren die? Jetzt zum Beispiel die zwei Teilnehmer ihrer Tanzrecherche.
    Watty: Die führen Interviews, die gehen in Forschungsinstitute. Es gibt Künstler, die ich kenne, die arbeiten viel in Krankenhäusern oder in Altenheimen oder in verschiedensten Institutionen, in Museen, in Archiven, um sich zu bereichern, um Ideen zu finden für ihre Stücke und um daraus dann Material zu erarbeiten für ihre Kreationen.
    Recherche ohne Termindruck
    Reil: Was ist denn das konkrete Thema jetzt bei der Tanzrecherche?
    Watty: Also die Tanzrecherche generell - das möchte ich noch sagen - ist eben nicht produktionsorientiert. Das heißt, am Ende einer Recherche kommt kein fertiges Stück raus, sondern eher Bruchstücke, Ideen, Material für ein zukünftiges Stück. Also eigentlich ein Stadium, in dem das einfach nur Material schafft für eine zukünftige Arbeit, so Grundlagenforschung.
    Reil: Warum ist Ihnen das so wichtig eine Materialforschung zu unterstützen und nicht einen Abschluss sehen zu wollen?
    Watty: Ja, weil das einfach ein Bedürfnis der Künstler ist, eben mal frei arbeiten zu können. Das heißt jetzt konkret, die beiden konnten eben sieben Wochen lang eben einfach ein Thema mal untersuchen, ohne ständig diesen Druck im Rücken zu haben, dass in sieben Wochen eben eine Premiere auf der Bühne stehen muss. In der Regel wird ja immer gefördert wirklich mit einem konkreten Premierendatum. Und die Tanzrecherche NRW hat eben dieses spezielle Merkmal, dass eben wirklich die künstlerische Arbeit und auch das Erforschen von neuen Arbeitsweisen von experimentellen Formen unterstützen will, um Künstlern eine Möglichkeit zu geben, ganz neue Wege zu gehen, ganz neue Ansätze zu finden für ihre Arbeit.
    Künstler und Bevölkerung zusammenbringen
    Reil: Jetzt haben Sie mich sehr neugierig gemacht, wie das Thema denn ist für diese Recherche.
    Watty: Also das Thema heißt 'common practice' und die beiden Künstler haben eben - Atis und Mohamed - ihre Recherche kreist um die Frage, was ein kreativer Akt ist und in welchem Umfeld, also sowohl spirituell, geistig, gedanklich, sich abspielen kann in künstlerischen oder alltäglichen Situationen. Und die beiden haben zusammen die ganze Zeit immer wieder im Austausch auch gestanden mit verschiedenen Gruppen in der Bevölkerung, also mit eben mit Weltkunstzimmer, zum Beispiel. Das ist ja so eine Musikszene, die da angesessen ist.
    Reil: Nicht nur, glaube ich, oder?
    Watty: Außerdem, ja hauptsächlich in der Musikszene. Da gibt es ja unterirdisch, glaube ich, 50 Tonstudios. Und in den Räumen oben gibt es eben sehr viel zeitgenössische Kunstausstellungen. Wolfgang Schäfer, der Leiter, ist ja selber auch bildender Künstler, ein großer Butoh Fan, deswegen finden da regelmäßig auch Butho-Festivals oder so was statt. Also bekannt ist es hauptsächlich für die Musiker, also als Ort, aber eben auch für viele Ausstellungen und so was.
    Reil: Und dort sind eben auch Ihre beiden Künstler untergebracht gewesen.
    Watty: Die wohnen da. Unser Hauptpartner ist das Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Und für jede Recherche versuchen wir immer möglichst viele Partner zusammenzubringen, damit einfach die Künstler mit möglichst vielen Leuten in der Stadt auch zusammenkommen. Und da gibt es eben dann das Tanzhaus NRW, das Weltkunstzimmer und Zitty, das ist so ein Kulturort in Düsseldorf, der verschiedenste Gruppen aus der Gesellschaft, Bevölkerungsgruppen zusammenbringt, ältere Leute, jüngere Leute aus verschiedenen Kulturkreisen. Und das war eben auch einer der Orte, wo die ihr Zelt sozusagen aufgeschlagen haben, um zu arbeiten.
    Reil: Also der Tänzer hat sich mit dem Fotografen zunächst mal auseinandergesetzt, und dann mit den anderen Künstlern. Aber wie muss man sich das vorstellen, dass das dann konkret auf den Tanz übertragen wird diese Recherche, diese Erkenntnisse?
    Watty: Ja es geht eigentlich uns auch gar nicht so darum, dass es wirklich direkt auf ein konkretes Stück umsetzbar ist. Es geht wirklich um so eine Grundlagenforschung. Und es geht also wirklich um Verfahren, um eine Technik, mit der man Stücke erstellen kann. Aber es wird nicht ein Stück erwartet, dass das heute Abend da aufgeführt wird.
    "Es geht auch ein bisschen darum, die Welt durch Kunst zum Besseren zu verändern"
    Reil: Ein weiterer Punkt, der glaube ich wichtig ist, ist auch die Orientierung an Joseph Beuys.
    Watty: Ja, Joseph Beuys war ja auch so ein Schamane, - also so habe ich ihn zumindest immer wahrgenommen -, der so ein Prediger in Sachen Kunst war, wenn ich den auf YouTube auf Videos sehe. Das ist ja auch nicht einfach nur so ein Maler oder ein Bildhauer, sondern der hat ja auch so eine große Spiritualität um sein Leben und um sein Werk entwickelt, was glaube ich auch ganz wichtig ist, um zu verstehen, was er gemacht hat und was er gemeint hat.
    Reil: Und Ideen und Konzepte von Joseph Beuys waren auch entscheidend für die Teilnehmer der Tanzrecherche, konnte ich lesen. Und auch das Mitgestalten der Gesellschaft und der Politik, was ja Joseph Beuys sehr stark in seinen Arbeiten auch geprägt hat.
    Watty: Also bei Joseph Beuys war es auch Politik. Ich glaube, den beiden geht es jetzt nicht wirklich um Politik, aber um eine gewisse, gemeinsame künstlerische Praxis, um gewisse künstlerische Praktiken zu teilen unter sich und eben auch mit, in Workshops eben auch mit verschiedenen Amateuren oder Leuten, die eben nicht Künstler sind im Hauptberuf. Es geht natürlich schon ein bisschen darum, die Welt auch zu verändern zum Besseren durch Kunst, indem man eben einfach in sich selbst eine gewisse 'Awareness' heißt das im Englischen, 'Bewusstsein' schafft, dass man bewusster in der Welt ist und eben also durch Praktiken wie Meditation oder so was, dadurch eben sich dafür bereit macht.
    Reil: Das bezieht sich aber jetzt aber auf die Künstler. Glauben Sie, dass Tanzen auch eine ähnliche Wirkung haben kann, oder eine Tanzperformance, auf das Publikum, und in irgendeiner Form die Welt verbessern kann?
    Watty: Schwierige Frage. Ich glaube, sonst würde ich nicht in dem Bereich arbeiten, wenn man nicht irgendwie die Hoffnung hat.
    Reil: Und das Ergebnis der Tanzrecherche NRW in der 22. Ausgabe kann man dann heute Abend sehen. Die Arbeit des belgischen Choreografen und Tänzers Mohamed Boujarra und dem lettischen Fotografen und Maler Atis Jacobsons, heute Abend im Tanzhaus NRW. Christian Watty, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Watty: Danke, Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.